Ein Flüchtling wird Heimleiter
Die Jugendwohngruppen im Park befinden sich tatsächlich in einem Park, nämlich jenem des Bethesda-Spitals in Basel. Sie sind die Heimat von rund 16 Jugendlichen in herausfordernden Lebenssituationen. «80 Prozent unserer Bewohnerinnen und Bewohner haben einen Migrationshintergrund. Aufgrund meiner eigenen Herkunft kann ich sie sehr gut verstehen», erklärt Heimleiter Mustafa Yesildeniz. Für sie ist er ein wichtiges Vorbild, einer, der es geschafft hat, trotz seiner Herkunft.
Kurdisch verboten
Mustafa wuchs in einem kleinen kurdischen Dorf auf. Seine Mutter war armenische Christin, sein Vater kurdischer Muslim. Früh entschied er sich für den christlichen Glauben, obwohl diese Entscheidung mit Schwierigkeiten verbunden war. Aus religions-politischen Gründen war es beispielsweise in der Türkei nicht möglich, eine ganze Bibel zu kaufen. Es waren immer nur einzelne Bücher erhältlich.
Die ersten sechs Jahre waren für Mustafa wie im Paradies: «Bis ich in die Schule kam. Dann begann der Ernst des Lebens.» In der Schule in Diyarbakir hörte Mustafa zum ersten Mal Türkisch. Seine Muttersprache Kurdisch war verboten.
Wegen Rede ins Gefängnis
«Ich merkte, wenn ich vorwärtskommen will, muss ich Türkisch beherrschen.» Der Einsatz lohnte sich: Mustafa wurde an der Universität zugelassen. Er studierte Literatur und türkische Sprache und wurde Lehrer. Aber seine Karriere endete schnell. Nachdem er einige Artikel zur Situation der Kurden in der Türkei in einer Lehrerzeitung veröffentlicht hatte und an einer Kundgebung als Redner aufgetreten war, wurde er verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Sein Beamtenstatus wurde annulliert und das Lehrerdiplom aberkannt. Ihm blieb nur die Flucht.
In der Schweiz stellte Mustafa Antrag auf Asyl und wurde Ende 1981 als Flüchtling anerkannt. Mustafa engagierte sich politisch und suchte den Kontakt zu anderen Flüchtlingen. Immer noch hatte er die Hoffnung, dass er wieder in seine Heimat zurückkehren könne. Aber die Situation für die Kurden in der Türkei änderte sich nicht. 16 Jahre nach seiner Flucht wagte er sich zum ersten Mal wieder in die Türkei. Obwohl er mittlerweile Schweizer war, wurde er auf dem Flughafen verhaftet. Erst als die Schweizer Botschaft intervenierte, wurde er wieder ausgeflogen.
Mit seiner Flucht verlor Mustafa seine Heimat, seine Familie und seine Karrierechancen. Trotzdem fühlte er sich immer geborgen, egal wo er war: «Das verdanke ich meinem christlichen Glauben.» Sogar als die Schweizer Behörden seinen Asylantrag zunächst abgelehnt hatten, war für ihn klar: Gott schaut zu mir. Mittlerweile hatte er sich in Basel eingelebt. Er heiratete und gründete eine Familie. Weil sein Deutsch für den Lehrerberuf zu schlecht war, machte er ein Praktikum als Sozialpädagoge in einem Kinderheim. Viele Kinder im Heim stammten aus der Türkei. «Ich war der Einzige, der mit ihnen reden konnte. Schliesslich bestand ich die Aufnahmeprüfung für die Heimerziehungsschule, obwohl mein Deutsch so schlecht war.»
Jugendliche kommen vorbei und erzählen
Mehrere Jahre leitete Mustafa das Basler Lehrlingsheim des CVJM. 2013 wagte er noch einmal einen Sprung und wurde Leiter der Jugendwohngruppen im Park. Rund 80 Jugendliche begleitete Mustafa ins Erwachsenenleben. «Ich bin froh und dankbar, wenn ehemalige Jugendliche mit ihren Familien vorbeikommen und von ihrem Job erzählen.» Diesen Sommer wird Mustafa Yesildeniz pensioniert. Jetzt hat er wieder mehr Zeit, sich gesellschaftlich, politisch und kulturell zu betätigen. «Es wird nicht langweilig. Denn ich liebe das Leben!»
Die Stiftung Jugendsozialwerk Blaues Kreuz BL engagiert sich in der Präventionsarbeit, sowie in der sozialen und beruflichen Integration. Zum Auftrag gehören Kinder- und Jugendförderung, betreutes Wohnen und Programme zur Arbeitsintegration.
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin IDEA Schweiz.
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Datum: 02.07.2021
Autor: Mirjam Jauslin
Quelle: IDEA Schweiz