Eine faszinierende Reise an den Anfang unserer Erde

Heino Falcke
In einem Restaurant kommen Redaktor Martin Buchholz und Heino Falcke auf den berühmten «Stern über Bethlehem» zu sprechen, von dem das Matthäus-Evangelium erzählt. Nur eine Legende? Nicht unbedingt, meint der renommierte Astrophysiker...

Du bist Astrophysiker geworden, und dir ist mit einem weltweiten Forscherteam etwas gelungen, das selbst Albert Einstein nicht für möglich gehalten hatte: Ihr habt 2019 mit Radioteleskopen das erste Bild von einem Schwarzen Loch fotografiert. 55 Millionen Lichtjahre entfernt von der Erde. Wie hat das dein Leben verändert?
Falcke:
Es hat mein Leben schon 25 Jahre vorher verändert. Denn dieses Bild war das Ergebnis eines langwierigen Prozesses mit vielen Umwegen. Als junger Wissenschaftler hatte ich Mitte der 1990er-Jahre eine Art Eingebung. Mir wurde plötzlich klar, es könnte tatsächlich funktionieren, ein schwarzes Loch abzubilden. Aber dazu brauchen wir eine Technik, die damals noch gar nicht vorhanden war, wir brauchen ein weltweites Netzwerk von Kollegen, die daran mitarbeiten und wir brauchen mindestens acht super teure Radioteleskope… Doch entscheidend für diesen langen Weg zum Ziel war der erste Impuls, den ich meinen «Amazing Grace»-Moment nenne: «I was blind, but now I see» heisst es in dem alten Lied. «Ich war blind, doch nun sehe ich». Und als dieser Traum dann endlich Realität wurde, da beschlich mich ein Gefühl der Ehrfurcht. Hier schaust du einem Stück Geschichte ins Gesicht. Kein Wissenschaftler versteht die ganze Welt, aber ich habe ein kleines Stückchen besser verstanden.

Goethe schreibt in seinem Drama «Faust»: «Ich will wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält.» Es gibt in unserer Gesellschaft eine Form von Wissenschaftsgläubigkeit, die sagt: Irgendwann werden wir auch die letzten Rätsel lösen. Glaubst du das auch?
Nein. Mit unserem «Foto» haben wir gezeigt, dass diese super schweren schwarzen Löcher tatsächlich existieren, aber es gibt noch so viel mehr, was wir nicht wissen und niemals erfahren werden. So ein schwarzes Loch zum Beispiel, das alles in sich hineinzieht, aber aus dem nichts wieder herauskommt, beschreibt eine dieser fundamentalen Grenzen. Ich werde wahrscheinlich nie erfahren, was da wirklich im Zentrum eines Schwarzen Loches passiert. Da gibt es einen Zustand, der ähnlich unfassbar ist wie beim Urknall, ganz am Anfang des Universums, den ich auch nicht messen kann.

Kommt die moderne Physik trotz ihrer grossen Erfolge an Grenzen?
Ja! Die Grenzen sind fundamentale Teile unserer Erkenntnis. Die Grundfrage: «Wo kommt alles her?» kannst du wissenschaftlich gar nicht beantworten. Keine wissenschaftliche Schöpfungsgeschichte beginnt bei null oder mit nichts. Du fängst vielleicht an mit einem Quantenschaum im Vakuum, der da hin und her fluktuiert in kleinsten Skalen, oder du beginnst mit den Naturgesetzen, die dann aus «beinah Nichts» etwas erschaffen. Dann kannst du agnostisch sagen: «Woher die kommen, kann ich nicht beantworten.» Ich glaube als Christ an Gott, den Schöpfer.

Der kritische Wissenschaftler Heino Falcke glaubt an Gott?
Warum nicht? (lacht) Das haben doch viele Astronomen vor mir auch getan. Johannes Kepler zum Beispiel hat im 17. Jahrhundert die Planetenbahnen um die Sonne richtig beschrieben und hat letztlich dafür gesorgt, zusammen mit Galileo und Kopernikus, dass wir unser heliozentrisches System haben, also die Sonne in der Mitte unseres Sonnensystems. Für Kepler war das auch eine spirituelle und theologische Entdeckung, weil er sagte: Dieses Sonnensystem verweist auf den Baumeister Gott, der die Welt mit diesen Naturgesetzen und in dieser Ordnung angelegt hat.

Aber ist es nicht Ziel der Wissenschaft, die Welt so zu erklären, dass man die Annahme eines Gottes nicht mehr braucht?
Ja, aber Wissenschaft kann eben nicht die ganze Welt erklären. Wenn ich schwarze Löcher besser verstehe, habe ich noch nicht begriffen, was mein Wert als Mensch in dieser Welt ist, wo ich herkomme, was mein Ziel ist und wie ich umgehe mit all den grossen Fragen des Lebens: Was ist meine Aufgabe? Wie muss ich mich dir gegenüber eigentlich verhalten? Und ist da ein Gott, der etwas von mir will? Ich finde, das sind Fragen, mit denen sich jeder Mensch beschäftigen sollte, dann aber nicht mit Radioteleskopen.

Wie kam es dazu, dass dich persönlich diese Fragen des Glaubens beschäftigen?
Ich bin in Frechen bei Köln in einer der ältesten protestantischen Gemeinden des Rheinlands aufgewachsen. Nach der Konfirmation wurde ich gebeten, beim Kindergottesdienst mitzuarbeiten. In dieser Zeit habe ich für mich entdeckt: Die Bibel will erzählt werden. Das sind interessante Geschichten. Und ich fing an, drüber nachzudenken: Was bedeuten die für mich? Und dann habe ich noch diffus in Erinnerung: Ich war so 14, 15 Jahre alt, als ich eines Morgens aufwachte und das starke Gefühl hatte: Gott ist Liebe und diese Liebe gilt mir persönlich! Ich war ganz ergriffen von diesem Gedanken. Damals begann ein Prozess, der mich bis heute begleitet. Ich arbeite mit im CVJM und bin ehrenamtlicher Predigthelfer in unserer Kirchengemeinde in Frechen. Das heisst: Ich wurde ordiniert wie ein Pfarrer, und darf Gottesdienste, Trauungen, Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen gestalten. Und ich merke dabei immer wieder, wie wertvoll es ist, Menschen etwas zuzusprechen und sie im Namen Gottes zu segnen.

Als kluger Kopf kindlich glauben. Wie geht das?
Als Wissenschaftler weiss ich: Es gibt in den Weiten des Universums mindestens so viele Sterne wie Sandkörner an allen Stränden unserer Erde. Und du bist als einer von acht Milliarden Menschen nur ein Staubkorn auf einem Staubkorn in den Weiten des Alls. Doch keiner von all diesen unermesslich vielen Sternen bringt das in die Welt, was wir Menschen ausstrahlen können: nämlich Glaube, Hoffnung und Liebe. Rational kann ich Liebe nicht beweisen, doch ich kann sie erfahren. Ohne Liebe können wir nicht leben. Am Ende hängt mein ganzer Glaube an dem «Ja», das Gott zu mir gesprochen hat und das ich zu Gott spreche. Dieses «Ja» trägt mich bis heute. Glauben heisst für mich: Sicherheiten loszulassen und mich einzulassen auf etwas Grösseres.

Das klingt nach einer grossen Erkenntnis. Hast du damit auch konkrete Erfahrungen gemacht?
Neben vielen privaten Momenten gibt es eine berufliche Etappe in meinem Leben, in der ich das stark so empfunden habe. Ich habe einige Jahre als Wissenschaftler sehr glücklich und erfolgreich in Amerika gearbeitet. Das war auch für uns als Familie, für meine Frau und unsere drei Kinder, eine schöne Zeit. Bis uns klar wurde: Wir wollen zurück nach Deutschland. Unsere Kinder sollen dort erwachsen werden. Dafür habe ich in Deutschland Geld für meine Forschung beantragt und ein lukratives Jobangebot in Amerika ausgeschlagen. Das Geld in Deutschland war noch nicht bewilligt, aber wir haben gesagt: Wir gehen jetzt einfach und legen das Ganze in Gottes Hand. Zurück in Deutschland erfuhr ich: Der Antrag ist abgelehnt – und ich stand plötzlich ohne Job da. Doch dann hat mir jemand innerhalb von zwei Tagen eine andere Stelle angeboten, und das beantragte Geld kam ein halbes Jahr später doch noch…

…womit wissenschaftlich bewiesen wäre: Es lohnt sich, auf Gott zu vertrauen…?
(lacht) Natürlich nicht. Im Nachhinein kannst du immer sagen: Alles Zufall! Glück gehabt! Aber es ist für mich immer eine gute Basis meines Lebens gewesen, auf Gott zu vertrauen und mit Gott im Dialog zu bleiben. Um dann zu gucken, was daraus wird und das anzunehmen und zu akzeptieren, was kommt.

Als Radioastronom beschäftigst du dich ständig mit dem Unvorstellbaren. Welche Vorstellung von Gott brauchst du, um damit leben zu können?
Ich habe inzwischen meinen Frieden gemacht mit der Dreieinigkeit, Gott in diesen drei verschiedenen Erscheinungsformen und Erfahrungsformen. In der Grösse und Unermesslichkeit des Weltalls erkenne ich den Schöpfergott, der am Anfang steht in seiner unverfügbaren Grösse. Dann ist da der ohnmächtige, der menschliche Gott, der in Jesus auf diese Welt gekommen ist und uns in Liebe und Hingabe ganz nah kommt. Ausserdem erfahre ich Gott im Wirken des Heiligen Geistes, der uns auch als Menschen untereinander verbindet. Für mich sind es diese drei Bilder von Gott, mit denen ich gut leben kann.

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Autor: Martin Buchholz
Quelle: Magazin Faszination Bibel Sonderheft 2024, SCM Bundes-Verlag

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