Mythos: Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott

Betende Frau
Wie viel muss ich eigentlich selbst tun, schaffen und erledigen? Segnet Gott das, was ich mache? Interessiert er sich für mein Vertrauen? Und was sagt die Bibel zum Thema Selbsthilfe?

Es gibt einige Klischees, die sich sehr fromm oder gar biblisch anhören. Eines davon ist das Sprichwort «Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott». Immerhin geht es um Gott, oder? Und ein guter Teil von protestantischer Arbeitsethik lässt sich auch darin abbilden: hart arbeiten, fleissig sein und einiges mehr. Wenn man den Gedanken allerdings in der Bibel selbst sucht, dann findet man ihn so nicht – mehr noch: Er widerspricht einigen grundlegenden biblischen Aussagen. Darauf weist auch der Pastor und Podcaster Stuart Delony hin, von dem einige Gedanken in diesen Artikel einfliessen. Bereits vor Jahren hat Livenet eine Umfrage dazu gemacht, ob und wie biblisch die Aussage ist – mit interessanten Ergebnissen.

Der Ursprung des Gedankens

Entgegen der landläufigen Meinung findet sich der Satz «Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott» nirgends in der Bibel. Er stammt vielmehr aus dem antiken Griechenland. Äsop, der bekannte griechische Fabeldichter, machte die Idee populär. In seiner Fabel «Herkules und der Ochsentreiber» fleht der Mann zum göttlichen Herkules, sein festgefahrenes Gespann zu befreien, woraufhin dieser ihn auffordert, selbst aktiv zu werden und danach erst zu beten. In moderner Zeit steht vor allem der US-Staatsmann Benjamin Franklin für die Aussage und verlieh ihr durch seinen Status einen Anschein staatstragender Weisheit.

Widersprüche zur Bibel

An einer Stelle der Bibel gibt es einen Gedanken, der sich ähnlich wie die Spruchweisheit anhört. Als Jesus am Kreuz hängt, spotten die Priester und Schriftgelehrten: «Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten!» Der Selbsthilfegedanke kommt ansonsten allerdings nicht vor. Stattdessen unterstriecht die Bibel immer wieder Gottes Eingreifen zugunsten von Machtlosen und Bedürftigen, die eben nichts für sich selbst tun können – die Bibel spricht hier von Gnade.

  1. Gott steht den Hilflosen bei, wie es in Psalm 72, Vers 12 heisst: «Denn er wird den Armen retten, wenn er um Hilfe schreit, und den Elenden, der keinen Helfer hat.»
  2. Gottes Gnade unterstützt keine Faulheit, aber sie fordert gerade keine Werke, das unterstreicht Paulus z.B. in Epheser, Kapitel 2, Vers 8-9: «Denn aus Gnade seid ihr errettet durch den Glauben, und das nicht aus euch — Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme.»
  3. Jesus betont immer wieder die Abhängigkeit von Gott und keine Autonomie oder Selbstgenügsamkeit. In Johannes, Kapitel 15, Vers 5 sagt er: «Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun.»

Folgen dieses Missverständnisses

Nun gibt es zahlreiche Dinge, die man missverstehen kann, ohne dass dies gravierende Folgen hätte – die gesteigerte Eigenverantwortung gehört allerdings nicht dazu. Delony zeigt drei Schwierigkeiten auf:

  • Barmherzigkeit wird vernachlässigt. Wer die eigene Leistung überbetont, reduziert seine Anstrengung, Schwachen zu dienen und sie zu unterstützen, denn nach dieser Auffassung sind sie ja eigentlich selbst an ihrer Situation schuld.
  • Wohlstand wird zum Evangelium. Wer viel erreicht hat, muss wohl gesegnet sein. Gottes Segen wird dabei an die eigene Anstrengung geknüpft. Seine bedingungslose Liebe und Versorgung spielen nur noch eine untergeordnete Rolle.
  • Die Gemeinschaft nimmt ab. Stattdessen gewinnt das Ethos des Individualismus vor einer Verantwortung füreinander.

Worum es in der Bibel geht

Noch einmal: In der Bibel ist wenig Akzeptanz für Faulheit zu spüren, allerdings geht es für Christinnen und Christen immer wieder darum, Gottes Liebe weiterzugeben – sehr konkret durch Zuwendung für Bedürftige und Gemeinschaft durch Hilfe und Mitgefühl. Ein «Hilf dir selbst», das sich selbst in den Mittelpunkt stellt, ist ihr fremd.

Im Kern geht es im Christentum darum, die Liebe und Gnade Christi zu verkörpern, sich den Bedürftigen zuzuwenden und Gemeinschaften aufzubauen, die auf gegenseitiger Hilfe und Mitgefühl beruhen. Der eigentliche biblische Auftrag besteht nicht darin, sich selbst zu helfen, sondern darin, anderen als Spiegelbild der Liebe Gottes zu dienen. Stattdessen stellt Jesus heraus, dass gerade der Dienst an Bedürftigen sein eigenes Wesen zutiefst widerspiegelt wie in seiner bekannten Endzeitrede in Matthäus, Kapitel 25: «Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich beherbergt…» Mit Blick auf die bedingungslose Liebe Gottes und auf die Vorgaben von Jesus für seine Nachfolgenden kommt Stuart Delony mit vielen anderen Christinnen und Christen zum Schluss: «Es ist an der Zeit, den Satz ‘Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott’ aus unserem geistlichen Wortschatz zu streichen.»

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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