Hilfe für bedrohte und misshandelte Frauen

Anette Bauscher gründete den Verein «Perlenschatz»
Anette Bauscher aus Mittelhessen engagiert sich interkulturell für Frauen, die von Misshandlung betroffen oder bedroht sind. Dafür gründete sie den Verein «Perlenschatz». Mit ihrem Team bietet sie denen Hilfe, die sonst kaum Zufluchtsorte finden.

Darija war einmal eine schöne Frau. Die über 40-Jährige, die in Wirklichkeit anders heisst, wirkt 20 Jahre älter, sieht verhärmt aus und ist eingeschüchtert. Hinter jedem Menschen vermutet sie einen Feind. Die Narben ihres zertrümmerten Kiefers und eine Schiene, die einen komplizierten Armbruch stabilisieren soll, zeigen etwas von dem, was die Frau aus Südosteuropa durchleiden musste. Weil sie sich von ihrem Mann trennen wollte, sperrte der sie wochenlang in den Keller und folterte sie. «Das tut eine Frau nicht. Du bringst Schande über mich», erklärte er ihr, obwohl sie es längst wusste, und drohte, sie umzubringen.

Irgendwann konnte Darija in ein Frauenhaus fliehen. Doch die Sicherheit dort war nur vorübergehend. Sie hatte in Deutschland kein Aufenthaltsrecht. Keine Behörde war für sie zuständig, und selbst bezahlen konnte sie ihren Aufenthalt nicht. So fand sie sich nach einer knappen Woche verängstigt auf der Strasse wieder. Verzweifelt wandte sie sich an eine Bekannte, die ihr früher schon einmal zur Seite gestanden hatte, als ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Diese Christin war damals ebenfalls von Darijas Mann bedroht worden, doch sie hilft ihr auch ein weiteres Mal: Sie vermittelt Darija an Perlenschatz. In deren Zufluchtshaus findet sie erst einmal eine Unterkunft, Verständnis und Hilfe.

Anette Bauschers Geschichte

Anette Bauscher hätte viele Geschichten wie diese zu erzählen. Aus Rücksicht auf ihre Gäste, und um sie zu schützen, ist sie damit sehr zurückhaltend. Der sensible Umgang mit verfolgten, misshandelten und von «Ehrenmorden» bedrohten Frauen ist ihr längst in Fleisch und Blut übergegangen. Die meisten von ihnen haben einen muslimischen Hintergrund, doch Perlenschatz hilft allgemein über Kultur- und Religionsgrenzen hinweg.

Im Gespräch erklärt sie, dass ihr diese Arbeit nicht in die Wiege gelegt war. Aufgewachsen in einer Unternehmerfamilie, leitete die gelernte Kauffrau zunächst die väterliche Firma mit. Dann investierte sie sich zehn Jahre lang in Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising des christlichen Medienunternehmens ERF und baute anschliessend die deutschen Bürostrukturen des Missionskrankenhauses Diospi Suyana in Peru auf. Als diese Arbeit «stand», überlegte sie weiterzuziehen, doch wohin? «Gott, was hast du mit mir vor?» Diese Frage begleitete sie eine ganze Weile, denn nach einer mehrjährigen Glaubenspause in früheren Jahren wollte sie sich nur noch für Projekte einsetzen, die direkt mit dem Bau von Gottes Reich zu tun hatten.

Stück für Stück kristallisierte sich ihr Weg heraus. Erst erhielt sie den Bibelvers aus Matthäus, Kapitel 6, Vers 33 als Zusage: «Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes…», kurz danach sah sie vor ihrem inneren Auge ein Frauenhaus mit einer verschleierten Frau davor. Aber Anette Bauscher war ja nicht vom Fach, also bat sie Gott um weitere Bestätigung, die sie auch erhielt, und informierte sich inzwischen, was für solch eine Sozialarbeit nötig war. 2014 gründete sie dann Perlenschatz als eigetragenen Verein und später auch eine Stiftung. Die Beratungstätigkeit findet deutschlandweit vom Hauptbüro in Mittelhessen aus statt, ein Anlaufpunkt ist seit einiger Zeit auch die Beratungsstelle in Offenbach.

Ein Zufluchtshaus

Das Betreiben von Frauenhäusern ist in jedem Fall eine Herausforderung. Diese steigt noch deutlich an, wenn es um interkulturelle Hilfe geht. Frauen aus patriarchalen Strukturen sind es kaum gewohnt, ihr Leben selbstständig zu gestalten und brauchen hier zusätzliche Hilfe. Anette Bauscher wusste von Anfang an: «Ich brauche nicht nur ein Haus, sondern auch noch geeignete Hauseltern, die als Ansprechpartner vor Ort sind.» Neben einer eher ambulanten Hilfe und Beratungstätigkeit, die direkt beginnen konnte, bildet dieses Zufluchtshaus den Kern der Arbeit. Doch ein Haus hat ja niemand übrig, oder doch? Eine Familie hatte das elterliche Anwesen aus der Erbmasse herausgenommen, weil sie es Gott zur Verfügung stellen wollten. Erst waren sie skeptisch, ob die Frauen, die da zu ihnen kamen, die geplante Arbeit bewältigen würden, doch Gott schien es ihnen gegenüber bestätigt zu haben: Perlenschatz erhielt das Haus.

Dort könnten ungefähr zwölf Frauen mit Kindern unterkommen – wenn genügend Mitarbeiterinnen verfügbar wären. Hier werden gerade erfahrene und interkulturell geschulte Kräfte gesucht, die das Team vervollständigen, auch eine Sozialarbeiterin. Das scheint in der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation unmöglich zu sein, doch «unmöglich» war schon so vieles bei Perlenschatz. Anette Bauscher denkt daran zurück, als sie in einem TV-Interview auf ihren Bedarf angesprochen wurde und von 250'000 Euro für ein Haus erzählte. Die Moderatorin lachte damals und meinte: «Wer braucht das nicht?», doch kurz darauf meldete sich jemand, der ihr erklärte: «Ich weiss zwar nicht, ob das Geld für ein Haus reichen wird, wie Sie es brauchen, aber 250'000 Euro bekommen Sie von mir.» Weil das erste Haus ein Geschenk war, ist das Startkapital fürs nächste bereits vorhanden. Für ein weiteres betet sie.

Doch Anette Bauscher und ihr Team bei Perlenschatz denken nicht in erster Linie an Häuser und Grundstücke, sondern an Frauen, die Hilfe benötigen. Oft beherrschen diese die deutsche Sprache nicht gut. Eine Rückführung ins Heimatland würde vielfach ihren Tod bedeuten. Das häufig verbriefte Recht auch gewalttätiger Väter, ihre Kinder zu sehen, macht einen Neustart ohne Bedrohung extrem schwierig. All das sind die täglichen Herausforderungen bei Perlenschatz.

Perlenschatz

Der für europäische Ohren ungewohnte Name soll die Ziele des Vereins bildlich unterstreichen, denn Perlen stehen im Orient für etwas Besonderes, geliebte Frauen werden so genannt, gleichzeitig stehen sie auch für Tränen. Mit dem Namen Perlenschatz sollen hilfesuchende Frauen Wertschätzung, Liebe, Würde, Schutz, Heilung, Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit verbinden.

Am 14. September feiert der Verein sein zehnjähriges Jubiläum. «Leider», unterstreicht Anette Bauscher, «wird die Arbeit von Perlenschatz noch eine ganze Weile nötig sein.» Viel zu viele Frauen fallen in Deutschland durch alle Raster, weil manche Hilfsangebote ihren kulturellen Hintergrund nicht genügend berücksichtigen. «Darija zum Beispiel konnten wir helfen, aber sie ist immer noch nicht ausser Gefahr. Ihr ehemaliger Mann hat sich in seiner alten Heimat bereits einen Rückzugsort gebaut, in den er fliehen kann, nachdem er sie umgebracht hat. Aber das werden wir mit Gottes Hilfe verhindern.»

Zur Website:
Perlenschatz

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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