Besuch beim Unternehmer Jesus

Werkstatt
Was hätte Jesus getan, wäre er ein Unternehmer gewesen? Das fragen sich einige seiner Anhänger, die selber Manager sind. Schauen wir uns doch mal seine Firma näher an. Wir konnten der Möbelmanufaktur JC & Daughter in Tiberias einen Besuch abstatten.

Alle hier im Quartier nennen ihn JC. Die meisten denken, das stehe für Jean-Claude – einfach für etwas Fremdländisches. JC's genaue Herkunft ist nämlich ein Mysterium. Er spricht zwar den typischen Jordantal-Dialekt, aber scheint dennoch von weit her gekommen zu sein. Auch von seiner Frau Maria M. weiss man nichts Genaueres. JC's Möbelmanufaktur, die 144 Menschen beschäftigt, liegt etwas erhöht über der brütend heissen und staubtrockenen Stadt. Sie bietet eine Aussicht auf Tiberias, die Golanhöhen und den See Genezareth.

Ein Unternehmer, der polarisiert

JC polarisiert. Bei den in Tiberias stark vertretenen Orthodoxen hat er sich unmöglich gemacht – obwohl die Möbelmanufaktur JC & Daughter am Sabbath zu bleibt. Das Problem: JC hält nicht mit seiner Meinung zurück. Das sei eine alte, aber auch etwas gefährliche Angewohnheit von ihm, sagt er dem Journalisten vom «Forum» entschuldigend. Bekannt geworden ist etwa sein Ausspruch, das mit der organisierten Religion sei schön und gut. Aber sie langweile Gott, den vermeintlichen Adressaten des ganzen Zirkus. Und zuweilen sei der Allmächtige sogar etwas angewidert. Das kam nicht so gut an.

Markus Städeli, Wirtschaftsredaktor bei der «NZZ am Sonntag»

Auch für Lokalpolitiker, die der rechtspopulistischen Regierung in Jerusalem nahestehen, ist JC ein rotes Tuch. Das hat auch damit zu tun, dass JC's Tochter Dalit, die designierte Geschäftsführerin, mit einem arabischen Israeli liiert ist. Und dass sich JC zwar immer sehr wohlwollend über seinen Schwiegersohn und dessen Familie äussert, aber die Politik des Landes mitunter scharf kritisiert. Er ist ein Unternehmer, der sich regelmässig zu politischen und gesellschaftlichen Themen äussert.

Spezieller Mitarbeitertrupp

Die Wahl seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt in Tiberias ebenfalls zu reden: In der Schreinerei arbeiten Militärdienstverweigerer, körperlich und geistig Behinderte und sogar Personen mit einer kriminellen Vergangenheit. Ein Mann, der zuvor obdachlos war und eine Frau, die bis vor ein paar Jahren übermässig der Frucht des Weinstocks zugesprochen hatte, gehören der Geschäftsleitung an. JC bietet zudem Lehrstellen für Schulabbrecher an und kümmert sich persönlich um diesen zweifelhaften Nachwuchs. Kurz: Irgendwie zieht JC lauter Gesindel an. So zumindest formulieren es lokale Gewerbetreibende.

Es ist ein Wunder, dass die Schreinerei dennoch den Ruf für tadellose Arbeit hat. Übrigens: Wenn immer jemand von Wundern spricht, scheint das JC speziell zu belustigen. Er hat ohnehin einen schrägen Humor. So trägt JC Vollbart, halblange Haare und Birkenstock-Sandalen – für diesen Look liess er sich von einem erfolgreichen Jesus-Film inspirieren. 

Und als JC aus der Zeitung erfuhr, dass der nordisraelische Waffenproduzent Arms Inc. den Finanzchef wegen Veruntreuung auf die Strasse gestellt hatte, lachte er laut, als er dessen Namen las: Judas T. «Nomen est Omen», habe JC gemurmelt, so ein Geschäftsleitungsmitglied der Schreinerei. Danach habe er sich dessen Wohnadresse besorgt, sei hingefahren und habe mit ihm ein längeres Gespräch unter vier Augen geführt. Seither führt Judas T. bei der Möbelmanufaktur JC & Daughter die Bücher.

Ökologisches und soziales Engagement

JC's Überzeugungen, was den Umweltschutz angehen, gelten als extrem. Man erzählt sich in Tiberias, er sei gegenüber einem lokalen Unternehmer, der unbehandeltes Abwasser in den See geleitet hatte, fast handgreiflich geworden. Manche Beobachter denken, JC beschäftige sich intensiv mit modernen Nachhaltigkeitsprinzipien wie Zero Waste oder Circular. Aber ihm selbst scheinen solche Begriffe nicht geläufig zu sein. Er zeigt sich im Gespräch sogar besonders wortkarg, was sein ökologisches und soziales Engagement angeht.

JC wollte auch geheim halten, dass seine Firma das Kinderheim um die Ecke und andere Sozialeinrichtungen des Ortes unentgeltlich mit Mobiliar ausstattet. «Mein Dad ist halt der Ansicht, dass der Grundsatz 'Do good things and talk about it', veraltet ist», erklärt seine Tochter Dalit. «Er hält es eher mit Nike und findet 'just do it'».

JC will auch nicht erklären, wieso er Gebrauchtmöbel zurücknimmt und instand stellt – ein Geschäft, das unmöglich rentieren kann. In Umweltfragen scheint JC in einer anderen Dimension zu leben. So hat er mit einem Biotech-Professor der Universität Haifa kürzlich eine Forschungszusammenarbeit im Bereich Präzisionsfermentation aufgegleist, um biologische Farbstoffe, Leime und Lacke zu entwickeln. Erklärtes Ziel sei, sagt der Professor, bis 2026 in der Möbelproduktion ganz auf chemische Stoffe verzichten zu können – die Technologie wolle JC dann auch anderen Unternehmen zur freien Lizenzierung anbieten.

JC's Möbelmanufaktur läuft gut, ist sich ein lokaler Konkurrent sicher. Ob sie auch Geld abwirft, weiss aber niemand so recht. Falls JC unternehmerischen Erfolg hat, ist ihm dieser zumindest nicht anzusehen. Neben seinen Heilandsandalen – ein Ausdruck, den JC besonders amüsiert – trägt er ausgewaschene T-Shirts und Khakihosen. Auch bei Temperaturen über 40 Grad kommt er jeweils mit einem Velo angeradelt, das schon bessere Tag gesehen hat. Meist benutzt Maria M. den abgehalfterten Familien-Toyota. Der klapprige Fuhrpark der Unternehmerfamilie steht so in einem merkwürdigen Gegensatz zum ultramodernen Maschinenpark der Fabrik, inklusive betriebseigenem 5G-Funknetz und einer Solarpanel-Bedachung mit einem besonders hohen Wirkungsgrad.

Nah an den Mitarbeitern

Schon bevor klar war, dass Dalit die operative Führung übernehmen würde, konzentrierte sich JC fast ausschliesslich auf das Coaching seiner Kaderleute und die Ausbildung von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Er höre vor allem zu und stelle Fragen, sagen sie übereinstimmend. Das tue er auch am Mittag in der betriebseigenen Kantine, die neben grilliertem Petrusfisch mit einer eigens entwickelten Marinade auch den besten Hummus in Tiberias auftische. Oder beim Feierabendbier in der Bar um die Ecke.

Trotz oder vielleicht gerade wegen solch ausgedehnten Gesprächen lässt JC seinen Angestellten völlig freie Hand. Ob Veränderungen bei Produktionsprozessen oder in der Lagerhaltung, ob neue Designs oder ein Tweak beim SEO-Management: Solche betrieblichen Entscheide hat JC schon seit längerem an die erweiterte Unternehmensleitung delegiert. Er habe sein Geschäftsleben lang darauf hingearbeitet, sich selbst überflüssig zu machen, sagt er im Gespräch mit dem «Forum». Er weiss, wie seine Mitarbeiter ticken. Sie wissen, was ihm wichtig ist. Im Zweifelsfall konsultieren sie ihn.

Seiner Tochter gegenüber hat JC sein Führungsprinzip einmal als Management durch Jüngerschaft bezeichnet. Aber Dalit schaute ihn damals nur verständnislos an, erinnert sie sich. Seither rede ihr Vater von «Management by Empowerment». So verpacke man alten Wein in neue Schläuche, sagt JC dazu. Und lächelt dabei verschmitzt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Forum für integriertes Christsein

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Autor: Markus Städeli
Quelle: Forum integriertes Christsein

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