Glenn E. Pearson: «Eigentlich hatte ich keine Chance»
Glenn E. Pearson ist inzwischen 71 Jahre alt, er arbeitete jahrzehntelang im Gesundheitswesen, zuletzt als Executive Vice President der Georgia Hospital Association und er hat eine wunderbare Familie und geniesst es längst, Opa zu sein. Doch all das ist nicht selbstverständlich für ihn, denn seine Ausgangssituation war katastrophal.
Vor einigen Jahren suchte er deswegen das Gespräch mit einem Seelsorger, um diese Zeit aufzuarbeiten und zu verstehen. Dessen Antwort war nach einigen Treffen: «Ich kann Ihnen da nichts erklären. Nach meiner fachlichen Meinung müsste jemand mit Ihrem Hintergrund arbeitsunfähig, dreimal geschieden, andere missbrauchend, ein Alkoholiker oder auf andere Art süchtig sein. Die Tatsache, dass Sie nichts von alledem sind, ist ein Zeugnis für Gottes unglaubliche Gnade.»
Der Maulwurf im Spiel
Glenns Kindheit war nicht schön. Die Situation verschlechterte sich allerdings noch, als er zwölf Jahre alt war und sein Vater die Mutter wegen einer anderen Frau verliess. Wo andere versuchen, wenigstens einen Draht zu ihren Kindern zu bekommen, verweigerte Glenns Vater alles: Es suchte keinerlei Kontakt und schickte keine Geburtstagsgrüsse oder Geschenke – er war einfach nicht mehr da.
Bereits vorher hatte er seine drei Kinder zumindest verbal misshandelt – und Glenn am meisten. Für den Vater war er nur das «Idiotenkind». Als Glenn später einmal den Bibelvers aus der Bergpredigt hörte, wo Jesus rhetorisch fragt: «Oder ist ein Mensch unter euch, der seinem Sohn, wenn er ihn bittet um Brot, einen Stein biete?» (Matthäus, Kapitel 7, Vers 9), war er versucht zu sagen: «Ich kenne da einen…»
Im Rückblich vergleicht Glenn seine Kindheit mit dem Spiel «Whac-A-Mole». Dabei tauchen aus einem Kasten an verschiedenen Stellen immer Maulwürfe auf, die man so schnell wie möglich mit einem Prügel wieder ins Loch zurückschlagen muss. Aus seiner Sicht war er dieser Maulwurf und alle anderen droschen auf ihn ein.
Probleme haben Geschichte
Dysfunktionale Familien entstehen nicht spontan, meist wachsen sie aus gestörten Familienverhältnissen der Eltern. Bei Glenn war es auf jeden Fall so. Als sein Vater als Kind den Grossvater bat, ihm Elektrizität zu erklären, drückte der ihm eine Büroklammer in die Hand und forderte ihn auf, sie in die Steckdose zu schieben, dann würde er es schon verstehen. Die Familie der Mutter war nicht besser: Die Männer dort waren labil, alkoholkrank, buchten Sexurlaub in Thailand oder lebten als Einsiedler.
Als Fazit dieser Zeit hält Glenn heute fest: «Ich fühlte mich von meiner Familie nur selten akzeptiert und musste mich vor den meisten von ihnen in Acht nehmen.»
Gibt es einen Ausweg?
Gleichzeitig war Glenn schon immer klug. In der Schule war er der Liebling der Lehrer und erhielt regelmässig irgendwelche Auszeichnungen und Stipendien dafür – was ihn bei den Mitschülerinnen und -schülern nicht gerade beliebt machte. So konnte er selbstverständlich College, Highschool und Universität besuchen, wo er meist mit Spitzenleistungen abschnitt.
Mit Religion und Bibel hatte Glenn eigentlich keinerlei Berührungspunkte, er war eher für «vernünftige» Ansätze, trotzdem wusste er intuitiv, dass sein Leben in die falsche Richtung ging. Als er am College Christen kennenlernte, luden die ihn zu einer Veranstaltung ein. Er liess sich darauf ein. Dort war es ihm plötzlich egal, dass es ums Christsein ging: Auf einen Schlag erkannte Glenn, dass das Evangelium wahr war – und er wollte dazugehören. Ohne genau zu wissen, «wie man das macht», versprach er Jesus sein Leben.
Kurz danach kam es zu einem Streit mit seinem Zimmergenossen im College, der sich mit einem Aushang an der Tür über ihn lustig machen wollte. Doch bevor er ihn dafür zur Rechenschaft ziehen konnte, wurde Glenn bewusst, dass er ihn vorher immer wieder verächtlich behandelt und gereizt hatte. Es war das alte Familienerbe, nur dass er jetzt derjenige war, der den Maulwurf schlug.
Als er darüber nachdachte, hatte er den Eindruck, als ob er auf dem Dachboden seiner Mutter wäre und dabei eine bisher unbekannte Tür mit einem neuen Raum entdeckte. Glenn kann nicht erklären, ob das eine Vision war oder nur ein Gedanke, der ihm durch den Kopf ging, aber das war ihm egal: Er hatte verstanden. Mit Christus würde so einiges in seinem Leben neu werden.
Fragen über Fragen
Der Glaube war neu für Glenn und er wollte noch so viel wissen. In den ersten Jahren löcherte er die Christen, die er kennenlernte, regelrecht. Bei Kleingruppentreffen stellte er so viele Fragen, dass er manchmal den Eindruck hatte, nur noch geduldet zu sein. Ein Begleiter aus dieser Zeit meinte: «Manchmal dachte ich, du hättest ein Fragezeichen als Gehirn.» Als Folge davon schrieb er Jahre später ein Buch dazu: «That's a Great Question: What to Say When your Faith is Challenged» (Das ist eine grossartige Frage – Was man antworten kann, wenn der eigene Glaube herausgefordert wird). Er wollte ein Buch schreiben, wie er es sich damals gewünscht hätte.
Ein echter Vorteil seiner zerstörerischen Kindheit und Jugendzeit ist, dass Glenn sich wunderbar in die Probleme seiner Mitmenschen hineinversetzen kann. So pflegte er in den vergangenen Jahren etliche Mentoringbeziehungen zu jüngeren Männern. Dabei hat er kein Programm, das er durchziehen möchte, stattdessen setzt er sich mit ihnen zum Essen zusammen und probiert, sie zu verstehen und ihnen von der Bibel her und aus seiner Erfahrungswelt heraus hilfreiche Perspektiven zu bieten. Glenn weiss: «Im Grunde biete ich diesen Männern etwas an, das ich selbst nie hatte. Und das ist nur eine Art und Weise, wie Gott das, was ein Fluch für mein Leben hätte sein können, immer wieder zum Segen für andere einsetzt.»
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