Jünger machen, die Jünger machen
Letzte Worte haben bekanntlich besonderen Wert. Und wenn Jesus selbst seinen besten Freunden nach der Auferstehung noch etwas zu sagen hat, dann lohnt es sich zuzuhören. Kein Wunder also, dass der sogenannte Missionsbefehl seit Jahrhunderten starke Beachtung findet. Darin heisst es: «Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. So geht nun hin und macht zu Jüngern alle Völker, und tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie alles halten, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Weltzeit!» (Matthäus, Kapitel 28, Vers 18-20) Zu diesem Auftrag, andere zu Jüngern zu machen, stellt der Apostel Paulus später noch das Prinzip der Multiplikation, indem er in 2. Timotheus, Kapitel 2, Vers 2 unterstreicht: «Und was du von mir gehört hast vor vielen Zeugen, das vertraue treuen Menschen an, die fähig sein werden, auch andere zu lehren.»
Immer wieder stellen engagierte Christinnen und Christen dazu Systeme vor, die «fast von selbst» funktionieren und das Ausbreiten des Evangeliums «noch in dieser Generation» ermöglichen sollen. Nun hat sich der christliche Glaube bereits deutlich ausgebreitet, doch offensichtlich hat eine völlige Durchdringung der Welt noch nicht stattgefunden.
Mission als göttlicher Auftrag
Zum Teil liegt dieses noch nicht erreichte Ziel daran, dass Menschen sich nicht im Vorbeigehen «bejüngern» lassen. Was Jesus in seinem Missionsauftrag anspricht, ist nämlich keine kosmetische Veränderung, sondern die Transformation von Menschen. Sie beginnt mit dem Hingehen, was im griechischen Original jedoch keine Haupttätigkeit ist, sondern so etwas wie die selbstverständliche Grundlage: «Während des Gehens» sollen Menschen von der lebensverändernden Botschaft Gottes hören. Nach diesem Ruf zur Umkehr und in die Nachfolge folgen die Taufe als sichtbares Zeichen des Neuanfangs und dann die Lehre, denn Ziel des Jüngerwerdens ist von Anfang an auch das Jüngermachen, das mit dem eigenen Wachstum im Glauben beginnt und mit dem Prozess des Weitergebens noch lange nicht endet. Auf diesen Zusammenhang weisen die meisten Autoren hin, die sich mit Jüngerschaft beschäftigen. «Making disciples who make disciples» nennt zum Beispiel Roydon Ng dieses Prinzip, Jünger machen, die Jünger machen.
Jüngerschaft als Rechenspiel
Jünger zu machen ist damit kein einmaliges Ereignis, es ist ein fortlaufender Prozess. Reife Jünger sind nicht nur dazu aufgerufen, selbst zu wachsen, sondern auch den Prozess zu wiederholen, indem sie andere anleiten und ihrerseits zu Jüngern machen. Dieser Multiplikationseffekt ist es, der den Missionsbefehl auszeichnet. Es ist ein Aufruf, geistliche Eltern zu werden, die andere auf ihrem Glaubensweg fördern und sie anleiten.
Diesen Kreislauf erklärt Paulus im Timotheusbrief und stellt die Briefempfänger damit in die Reihe der Verantwortungsträger: Alle haben die gute Nachricht irgendwoher gehört und geben sie weiter an andere, die sie ihrerseits weitergeben. Findige Menschen haben hieraus allerdings ein Rechenspiel konstruiert, das motivierend wirken soll, aber der Wirklichkeit nicht standhält. Wenn man im ersten Jahr einen Menschen zum Glauben führt, sind es schon zwei; im zweiten Jahr tun beide dasselbe und es sind danach vier; im dritten Jahr sind es acht, im zehnten bereits 1024 und im 33. Jahr 8,6 Milliarden – damit wäre die Weltbevölkerung «erreicht». Dieses Idealwachstum lässt sich sehr einfach errechnen: 2n, wobei n die Zahl der Jahre ist; allerdings ist unsere Welt nicht ideal, deshalb sieht die Wirklichkeit anders aus.
In Menschen investieren
Wer beim Gedanken an Jüngerschaft mit Zahlen jongliert und von gewaltigen Wachstumsraten träumt, hat das Wesen des Ganzen missverstanden. Paulus und Jesus sprechen nicht von Zuwachsraten, sondern von Menschen, die dem Leben begegnen und eine echte Transformation erleben. Das mag manchmal nebenbei geschehen, meist dauert es allerdings längere Zeit, aber es ist jeden Aufwand wert.
Trotzdem ist der Gedanke an Multiplikation hilfreich: Er unterstreicht, dass aus kleinen Anfängen durchaus etwas Grosses wachsen kann. Jüngerschaft hat nie das Etikett «Erfolg sofort», aber der Prozess, Menschen zum Glauben einzuladen und sie zu begleiten, erzeugt nachhaltiges Wachstum. Menschen begegnen Gott, sie erfahren seine Vergebung und Liebe, sie werden von Gottes Wesen geprägt und verändert und damit setzen sie positive Akzente, die andere Menschen wahrnehmen. Das Ergebnis ist weder ein Aktionsplan noch ein Rechenspiel, es ist echte Jüngerschaft.
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