Ein Kamel durchs Nadelöhr

Passt ein Kamel durch ein Nadelöhr?
Es gibt biblische Bilder, die hängenbleiben: Der Vergleich mit dem Kamel im Nadelöhr gehört dazu. Viele Erklärungsversuche hören sich hilfreich an, führen aber eher auf Abwege. Was meinte Jesus mit dieser Aussage?

Das provokative Kurzgleichnis kommt in drei von vier Evangelien vor. Dabei erzählte Jesus es immer im Zusammenhang mit seiner Begegnung mit einem reichen jungen Mann, der sich letztlich gegen die Nachfolge und für sein Geld entschied. Das kommentierte Jesus folgendermassen: «Wie schwer werden die Reichen ins Reich Gottes hineinkommen! Denn es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht, als dass ein Reicher in das Reich Gottes hineinkommt. Da sprachen die, welche es hörten: Wer kann dann überhaupt errettet werden? Er aber sprach: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.» (Lukas, Kapitel 18, Vers 24-27)

Der eigentliche Gleichnisteil ist sehr kurz, es ist nur ein Satz. Wegen der radikalen Ablehnung des Reichtums wurde er in der Vergangenheit und wird er auch bis heute gern mit so etwas wie einem tieferen Sinn «aufgeladen». Doch hören sich diese Deutungen nur gut an oder sind sie tragfähig? Dies hier sind die häufigsten Erklärungsversuche:

Das Kamel ist ein Seil

Dass ein Kamel, egal wie kleingewachsen es ist, durch irgendein Nadelöhr hindurch kann, ist völlig abwegig. So entstand schon recht früh die Auffassung, dass hier durch eine Ausspracheverschiebung eigentlich kein Kamel (griech. «kamelos») gemeint sei, sondern ein Schiffstau oder Seil (griech. «kamilos»). Der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide vertrat diese Auffassung. Tatsächlich unterscheiden sich die beiden Worte nur durch einen Buchstaben, aber das ist auch bei vielen anderen Begriffen der Fall und bis auf eine frühe Bibelübersetzung ins Armenische gibt es keinen Hinweis darauf, dass «kamilos» das ursprünglich verwendete Wort sein könnte.

Das Nadelöhr ist ein Tor

Sehr populär wurde die Erzählung, dass es in Jerusalem eine Art Nachttor gegeben hätte, durch das Kamele auf den Knien hindurchrutschen konnten, wenn die eigentlichen Stadttore bereits verschlossen waren. Ihre Lasten mussten dazu abgeladen werden. So ähnlich stellte man sich die Möglichkeiten, in den Himmel zu kommen, für reiche Menschen auch vor: ablegen, niederknien, eintreten. Weil diese Geschichte so eingängig ist, wurde sie sogar am Torbogen der Dortmunder Bonifatiuskirche als Plastik dargestellt. Auch in Kinderbibeln liess sich diese Szene wunderbar abbilden. Da konnte der anreisende Händler schieben, drücken und ziehen, ohne das Kamel in die Stadt hineinzubekommen. Das war erst nach dem Abladen möglich. Ein massives Problem dieser Erklärung ist jedoch: Es gibt keinen einzigen Beleg dafür, dass solch ein Tor jemals existiert hat, weder in Jerusalem noch anderswo. Die Idee verbreitete wohl der mittelalterliche Theologe Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert.

Und wenn es so gemeint ist, wie es dasteht?

Abgesehen davon, dass die zwei oben erwähnten Erklärungen nicht belegbar sind, haben sie noch einen entscheidenden Nachteil: Sie passen beide nicht zur Botschaft des Gleichnisses und dem Schrecken, den es bei den Jüngern auslöste. Beide lassen das Unmögliche und die Frage «Wer kann dann überhaupt errettet werden?» unbeantwortet. Sollte das Herausfinden des tieferen Sinnes also ein Missverständnis sein? Vieles spricht dafür. Wie bereits gesagt, gibt es keine Belege für die Umdeutung des Gleichnisses. Jesus scheint auch nicht gemeint zu haben, dass man nur ein bisschen probieren (Seil) oder seine Lasten erst ablegen und sie dann wieder aufnehmen müsste (Tor), um in Gottes Reich hineinkommen zu dürfen. Viel krasser und deutlicher sprach er davon, dass selbst reiche Menschen ihre Rettung nicht selbst bewerkstelligen konnten, aber: «Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.»

Das grösste Tier vor der kleinsten Lücke

So steht im Gleichnis das grösste Nutztier der Region, das Kamel, vor der damals kleinsten denkbaren Öffnung, dem Nadelöhr. Das sprachliche Bild des Kamels, das auf keinen Fall durch ein Nadelöhr passen wird, nennt man Adynaton (Unmögliches). Auch an anderer Stelle wurde das Kamel von Jesus in einem Vergleich bildhaft wegen seiner Grösse erwähnt: «Ihr blinden Führer, die ihr die Mücke aussiebt, das Kamel aber verschluckt!» Das ist so absurd gemeint, wie Jesus es sagte.

Es ist offensichtlich ein Missverständnis, diesen Text nicht wörtlich zu sehen, um ihm seine Schärfe zu nehmen. Gleichzeitig muss man ihn glücklicherweise auch nicht wortwörtlich nehmen, denn schon immer durchbricht Gott die Unmöglichkeit, die verhindert, dass Menschen zu ihm kommen könnten, und macht das Unmögliche möglich – für Arme und sogar für Reiche.

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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