Was willst du, dass ich dir tun soll?
Was willst du, dass ich dir tun soll?», fragt Jesus den blinden Bartimäus. Was für eine überflüssige Frage, denke ich. Der Mann ist blind! Er sitzt tagein, tagaus an einem staubigen Strassenrand in Jericho und bettelt. Wird von hunderten Menschenaugen übersehen oder mit verächtlichen Blicken bedacht. Atmet den Staub ein, den die vorüberziehenden Sandalen aufwirbeln.
«Sohn Davids, erbarme dich meiner!»
Und als er eines Tages hört, dass Jesus von Nazareth in der Nähe ist, scheint Bartimäus genau zu wissen: Dies ist seine Chance! Vielleicht sogar die einzige. Vielleicht seine letzte. Also beginnt er, nach Jesus zu schreien: «Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner!» Ich stelle mir vor, wie viel Inbrunst darin gelegen haben muss. Die umstehenden Leute versuchen diesen «Störenfried» zum Schweigen zu bringen. Doch Bartimäus gibt nicht auf, bis er gehört wird und zu Jesus kommen darf. Vielleicht beschwingt vor Freude, wirft er sein Gewand ab und läuft zu ihm. Voller Erwartung. Und Jesus stellt diese einfache, klare Frage: Was willst du von mir?
Mich irritiert das Verhalten Jesu. Er weiss doch ganz genau, was dem Mann Not macht. Warum stellt er Bartimäus diese Frage?
Gott irritiert mich in meinem Leben auch manchmal. Ich habe zuweilen das Gefühl, dass er sich «taub stellt», wenn ich ihn um etwas bitte. Dass er mich warten lässt. Im Ungewissen, ob da überhaupt noch eine Antwort kommen wird. Herr, du weisst doch, woran ich leide. Du weisst doch, was mir fehlt. Wieso tust du denn nichts? Worauf wartest du? Das auszuhalten fällt mir schwer.
Auf Glauben folgt das Wunder
Bartimäus‘ Antwort auf Jesu Frage verrät viel über seine Haltung zu seinem Gegenüber: «Der Blinde aber sprach zu ihm: 'Rabbuni, dass ich sehend werde.'» Erstens: Er spricht Jesus als Lehrer an. Bar-timäus erkennt an, dass Jesus Autorität hat. Zweitens: Er bittet um das eigentlich Unmögliche. Als Blinder wieder sehen zu können wäre fernab der Möglichkeiten Gottes ein lachhafter Wunsch. Aber hierin zeigt sich Bartimäus‘ Glaube; und er wird nicht enttäuscht: «Und Jesus sprach zu ihm: 'Geh hin, dein Glaube hat dich geheilt!' Und sogleich wurde er sehend und folgte ihm auf dem Weg nach.»
Wollte Jesus die klare Bitte vielleicht als Ausdruck von Bartimäus‘ Glauben hören? Ist es seine Art, Beziehung zu bauen? Ich kann mir vorstellen, dass es Jesus wichtig war, dem sonst wenig beachteten Mann sein Gehör zu schenken.
Und ich?
Bartimäus wurde durch seinen Glauben geheilt. Beim Lesen frage ich mich: Was ist mit mir? Seit Beginn meiner schweren Long Covid-Erkrankung im Frühjahr 2022 habe ich, mal im festen Glauben, mal in purer Verzweiflung, unzählige Bitten um Heilung an Gott gerichtet – so wie viele liebe Menschen mit mir. Aber eine gefühlt endlos lange Zeit ging es mir nicht besser. Dabei wollte ich nichts mehr als wieder gesund zu werden. Hat Bartimäus sich vielleicht jahrelang genauso gefühlt?
Mir ist neu bewusst geworden, dass ich kein Recht auf eine unversehrte Gesundheit habe. Das hat Gott mir auch nicht versprochen. Was er aber versprochen hat ist, mich nie allein zu lassen. Und dieses Versprechen hat er gehalten – auch im tiefsten Tal.
Ich denke, dass Gott unser Glaube wichtig ist und dass er ihn belohnt. Das lesen wir in vielen (Heilungs-)Geschichten der Bibel. Dennoch hat es ihn (zu meinem Glück!) nicht davon abgehalten, in mir zu wirken, als ich nach über einem Jahr heftiger Krankheit nur noch wenig Glauben für meine Heilung hatte. Zuerst schenkte Gott mir neuen Glauben – und dann grosse, wunderbare Fortschritte in meinem Gesundwerden. Warum erst jetzt? kann ich fragen. Oder aber auch: Warum überhaupt, während viele andere weiterhin leiden? Ich weiss es nicht. Aber ich staune dankbar über und hadere zugleich mit diesem Gott, der meine Wünsche hören möchte und trotzdem souverän handelt. Diese Spannung wird sich hier auf der Erde wohl nie ganz auflösen.
Liesa Dieckhoff, Jg. 1994, ist gelernte Redakteurin. Gerade feiert sie kleine und grosse Erfolge in ihrer Reha-Massnahme.
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