Jesus hätte heute eine Eckbank
«Was meinst du: Wie viele Leute werden wohl kommen?» Diese Frage steht oft am Anfang, wenn wir ein Event planen. Das beginnt bei der eigenen Geburtstagsfeier und hört beim offenen Abend in der Kirche oder Gemeinde noch längst nicht auf.
Viel ist nicht immer gut
«Je mehr, desto besser!» ist dabei eine Haltung, die wir uns kurz nach den eigenen Kindergeburtstagen in der Vorschulzeit abgewöhnen. Im privaten Rahmen gibt es einfach limitierende Faktoren: Im Wohnzimmer können sich nur neun Leute gemütlich hinsetzen und im Esszimmerschrank stehen Gedecke für 12 Personen. Wenn die Einladung einen offizielleren Charakter hat, dann ändern sich die Zahlen, aber das Denken bleibt dasselbe: Wie viele Stühle passen in den Saal? Wir müssen auch an Fluchtwege denken! Haben wir ausreichend Parkplätze? Und wie viele Gäste verkraften die Küchenhelferinnen und -helfer? So schön es sich also anhört, wenn Tausende von Menschen zum offenen Abend in die eigene Gemeinde strömen: Eigentlich sind wir ganz dankbar, dass es bei überschaubaren 120 Personen bleibt.
In anderen Kulturen ist das nicht so. Wenn in Nigeria eine Hochzeit stattfindet, dann gibt es keine Einladungen, weil einfach jeder kommen kann – und weil auch jeder kommt. Wer einen etwas weiteren Weg hat, nimmt den Minibus. Das ist ein Zwölfsitzer, in dem jedoch selten weniger als 20 Personen sitzen, 30 passen auch hinein. Unsere Bedenken, dass es zu viel würde, zählen hier kaum. Ähnliches gilt, wenn wir in die Bibel hineinschauen, denn – grosse Überraschung – sie stammt nicht aus Westeuropa und Jesus denkt nicht in Zahlen.
Jesus sprengt den Rahmen
Als Jesus mit seiner Verkündigung beginnt, beruft er die Jünger. Einige sind von vorneherein «gesetzt»: Petrus und sein Bruder Andreas, auch Johannes und dessen Bruder Jakobus, dazu kommen vielleicht noch Philippus, Nathanael, Thomas und Levi. «Ich glaube, das Boot ist voll», meint der Fischer Andreas. «Mehr können wir nicht versorgen», meint der Finanzmensch Levi. Aber Jesus beruft fleissig weiter: noch einen Jakobus, Judas, noch einen Simon und Thaddäus. Die Frage nach dem Platz stellt sich ihm offenbar gar nicht. Noch nicht einmal die nach der Vorbildung oder Reife seiner Nachfolger. Sonst hätte wohl nicht nur Judas gefehlt, sondern auch der Zelot Simon. Zeloten waren gewissermassen der «militante Arm» der pharisäischen Bewegung – man könnte auch sagen: Simon war Terrorist.
Noch deutlicher wird diese Grenzenlosigkeit von Jesus bei einem seiner bekanntesten Wunder. Statt wie geplant in aller Ruhe mit seinen Freunden ein gemütliches Picknick im Nirgendwo zu veranstalten, predigt Jesus zu 5'000 Männern und einer ungezählten Menge von Frauen und Kindern, lässt sie durch seine Jünger verköstigen «und sie assen alle und wurden satt». Diese Offenheit zieht sich durch das Leben und den Dienst von Jesus hindurch. Menschen kommen zu ihm, weil sie sich willkommen wissen. Immer wieder holt Jesus sogar diejenigen hinein, die befürchten, keinen Platz bei ihm zu bekommen. Kurz vor seinem Tod feiert er mit seinen engeren Freunden das Passahmahl und beginnt dabei eine Tradition, die Christen bis heute pflegen: das Abendmahl. Wer sass damals eigentlich dabei von dem bunten Haufen, den Jesus berufen hatte? Genau: alle. Absolut alle. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Immer noch sagt Jesus: «Mich hat herzlich verlangt, dieses Passah mit euch zu essen.» Und immer noch ist jede und jeder Einzelne dazu willkommen.
Komm doch dazu
Der Apostel Paulus spricht davon, dass man «sich selbst prüfen» möge beim Abendmahl, um dann teilzunehmen. Manche Christen haben daraus ein System gemacht, um zu beurteilen, wer zu ihnen passt und wer nicht. Damit haben sie Jesus wohl missverstanden. Es gibt Lokale oder auch Familiensituationen, wo die Stühle oder die Fleischstücke abgezählt sind. Das ist völlig okay. Aber es ist keine Abendmahlssituation. Das Abendmahl von Jesus findet nicht mit Namensschildchen auf dem Platz statt, sondern quasi auf einer Eckbank im Esszimmer. Da kann es schon einmal passieren, dass wir zur Tür hereinkommen und der Tisch bereits voll besetzt ist. Aber was ist die Reaktion von Jesus? «Komm rein. Herzlich willkommen. Rutsch einfach dazu. Auch für dich ist noch Raum.»
Eine Eckbank ist nur ein Möbelstück, aber sie kann Inbegriff der Gastfreundschaft sein. Sie kann unterstreichen, dass alle willkommen sind. Zur einladenden Art von Jesus passt das Bild der Eckbank. Er lädt Menschen zu sich ein – nicht nur zum Abendmahl. Und alle sind willkommen.
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