Warum wir unsere Freunde nicht in Gottesdienste einladen
Warum fühle ich mich zwar schuldig, weiss aber ganz genau, dass ich diesmal niemanden einladen werde. So wie letztes Mal und so wie nächstes Mal wieder. Ganz allein scheine ich damit nicht zu sein. Aber warum tue ich mich so schwer, andere in meine Gemeinde einzuladen, während die ersten Nachfolger von Jesus es gar nicht abwarten konnten, ihre Familie, ihre Freunde und Kollegen anzusprechen: «Komm und sieh!»
Wieso fühlt sich das für mich seltsam an? Beim Nachdenken kommen mir einige Gründe in den Sinn:
Angst, Freunde zu verlieren
Wenn ich einen Freund in den Gottesdienst einlade, könnte er das als Unterstellung verstehen, dass er mit seinem Leben nicht klarkommt. Dass ich seinen Glauben nicht respektiere. Dass ich ihn dafür kritisieren will, dass er sich zwar vielleicht als Christ bezeichnet, aber eigentlich nie in die Kirche geht. Unsere Beziehung könnte darunter leiden – vor allem, wenn er die Einladung ablehnt.
Doch andererseits: Kirche war noch nie der Hauptinhalt unserer Freundschaft. Und eine Einladung ist nur eine Einladung. Sie auszusprechen ist genauso normal wie ein «Nein» dazu – oder auch ein «Ja, gerne». Vielleicht will mein Freund ja längst einmal einen Gottesdienst besuchen, traut sich aber nicht allein hin? Wahrscheinlich würde unsere Freundschaft durch eine Einladung gar nicht ärmer. Wir könnten danach über mehr miteinander reden als über die Arbeit und Fussball.
Angst, keine Antworten zu haben
Was ist, wenn ich jemanden in meine Gemeinde mitnehme, der mich anschliessend all das fragt, was ich auch nicht weiss? Dann sehe ich dumm aus – und meine Gemeinde auch.
Doch andererseits: Mein begrenztes Wissen kann auch eine offene Tür für andere Menschen sein. Sie merken dann, dass ich nicht alles weiss und sie auch nicht alles verstehen müssen. Sie sehen, dass ich mit ungelösten Fragen kämpfe, aber Jesus trotzdem nachfolgen will.
Angst, die Lebenswelten zu vermischen
Meine Lebenswelten sind normalerweise gut sortiert. Am Arbeitsplatz bin ich jemand anderes als zu Hause in der Familie, als im Fitnesscenter mit Freunden und erst recht als sonntags in der Gemeinde. Das plane ich nicht strategisch – das ist einfach so. Wenn ich nun einen Kollegen in den Gottesdienst mitnehme, dann begegnen sich diese Welten und Grenzen verwischen. Mein Kollege wundert sich vielleicht, wie ich mich in der Gemeinde verhalte – und meine Gemeinde wundert sich, mit welchen Typen ich zusammenarbeite. Da erscheint es mir einfacher, alle Menschen da zu lassen, wo sie hingehören, wo sie sich (und mich) nicht verwirren oder stören.
Doch andererseits: Jesus scheint genau dieses Chaos gewollt zu haben, als er davon geredet hat, dass «Gottes Reich nahe herbeigekommen» ist, und selber zu den Menschen hingegangen ist. Ich erinnere mich ausserdem noch gut, wie befreiend es für mich selbst war, zu merken, dass Gott nicht nur mit meiner frommen Seite zu tun haben wollte, sondern mich «brutto» liebt, mit allen Lebenswelten und Schattenseiten.
Angst, dass sich alles fremd anfühlt
Wird jemand den Gottesdienst leiten, der ausgesprochen kanaanäisch spricht? Werden wir ein Lied vom «Blut des Lammes» anstimmen, das uns reinwäscht? Das versteht doch kein Fremder. Ich habe mich gewöhnt an die Sprache, die Lieder, die Gebete – aber meinem Gast würden sie nur zeigen, dass er hier ein Aussenseiter ist.
Doch andererseits: Jeder Kegelverein hat seine Eigenheiten. Ein Gast kann es meistens verkraften, dass er nicht alles versteht. Und ob er sich fremd fühlt, liegt nicht zuletzt an mir – der Person, die er hier bereits kennt. Die Herausforderung für mich und meine Gemeinde bleibt allerdings bestehen: die beste Botschaft aller Zeiten verständlich und zeitgemäss wiederzugeben. Selbst wenn dies Umstellung und Abschied von liebgewordenen Gewohnheiten im Gottesdienst bedeutet. Veränderung ist machbar – immerhin halten wir unsere Predigten schon eine Weile nicht mehr auf Lateinisch ...
Angst, nicht relevant zu sein
Meine Freunde schlafen sonntags lieber aus, als in einen Gottesdienst zu gehen. Und unter der Woche sitzen sie nach einem langen Tag lieber mit einem Bier vor dem Fernseher, als eine Bibelstunde zu besuchen. Schon so manches Mal habe ich Veranstaltungen unserer Gemeinde erwähnt – interessiert waren sie nie.
Doch andererseits: Sie interessieren sich eigentlich immer für das, was ich erlebe, was mich berührt hat. Ich denke, dass ich die Verantwortung für ihre Begegnung mit Gott nicht länger auf die Gemeinde abwälzen kann. Wahrscheinlich ist es wichtiger, dass ich «Gemeinde» zu ihnen bringe, als sie in die Gemeinde mitzunehmen. Ausserdem brauche ich wohl einfach Geduld. Mein Weg zu Gott hat ja auch recht lange gedauert. Und bedeutsam, relevant wird die Botschaft von Jesus oft durch das Drumherum: durch Gemeinschaft, Ermutigung, praktische Hilfe.
Angst, nicht dazuzugehören
Wenn ich an viele meiner Bekannten denke, dann passen sie eigentlich nicht zu den anderen in der Gemeinde. Wir sind irgendwie so bürgerlich. Und Emos, Künstler, Banker, Schwule, ... – irgendwie gehören sie nicht hierhin. Wenn ich sie wirklich mitbringe, wird man sie entweder links liegen lassen oder – noch schlimmer – von allen Seiten bearbeiten.
Doch andererseits: Jesus hat das Wunder immer wieder getan, soziale Gräben zu überbrücken. Bis heute fühlen sich Menschen aus unerfindlichen Gründen zwischen seinen Leuten wohl. Wir können als Gemeinde daran arbeiten, in guter Weise auf Menschen zuzugehen. Aber «fremdschämen» brauche ich mich auch nicht, und genau das tue ich, wenn ich im Vorfeld schon zu wissen meine, was alles schiefgehen wird.
Ausserdem …
Neben meinen Ängsten gibt es noch tausend andere Gründe. Viele Menschen arbeiten zum Beispiel, wenn wir uns im Gottesdienst treffen. Oder haben Sie schon einmal versucht, einen Koch oder eine Kellnerin in Ihre Gemeinde einzuladen? Ich merke allerdings, dass es viel mehr Möglichkeiten gibt, einladend zu leben, als am Sonntagmorgen um 10:00 Uhr (bei manchen Gemeinden auch noch abends). Manche der Gedanken, die mir bei der Ankündigung im Gottesdienst gekommen sind, sind immer noch grosse Fragen für mich. Fragen, wo ich Handlungsbedarf in meiner Gemeinde sehe. Andere wirken plötzlich vorgeschoben auf mich. Insgesamt ist es so, als ob Jesus mich anschaut und herausfordert: «Weisst du was, echte Liebe findet immer einen Weg.»
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Neuauflage. Er erschien zuerst am 13.02.2018 auf Jesus.ch.
Zum Thema:
Glauben entdecken
Junge erreichen: Sechs Thesen zur Digitalen Evangelisation
Der grosse Mythos: Evangelisation ist nicht nur für die «Verlorenen»
Neuste Zahlen zeigen Rekordwerte: Freikirchen entwickeln sich gegen den Trend