Hat die Rede von Gott noch Zukunft?
Was haben der Sternekoch Nelson Müller, die Theologin und Künstlerin Christina Brudereck, die Slam-Poetin Hannah Haberberger und der Politiker Wolfgang Thierse miteinander zu tun? Ganz einfach: Sie gehören zu den 111 Menschen, die im Buch «Hat die Rede von Gott noch Zukunft?» auf genau diese Frage geantwortet haben. Es sind kurze Texte, die sich auf den 252 Seiten befinden, zusammen mit ganzseitigen Portraitfotos der Befragten. Und wenn auf dem Cover 111 Antworten erwähnt werden, dann deshalb, weil es in diesem Buch nicht die «eine» Antwort gibt – sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichem Glaubenshintergrund kommen zu sehr unterschiedlichen Antworten. Doch das Nebeneinander und die persönliche Sicht laden dazu ein, die eigene Meinung in Gedanken dazuzusetzen, miteinander ins Gespräch zu kommen und damit den Buchtitel Praxis werden zu lassen: auch in Zukunft von Gott reden.
Sinnstifter
Der Blick in die Zukunft zwischen zwei Buchdeckeln ist erst einmal ein Blick in die Vergangenheit: Fast 20 Jahre lang produzierte ein Team von Zeitanalytikern, Werbern, Designern und Fotografen um Prof. Dr. Matthias Sellmann das Onlineformat «sinnstiftermag». In der Schnittmenge zwischen alten und neuen Medien, zwischen Kirche und Kommunikation suchten die Medienprofis nach Sinnstifterpotenzial und fanden es, indem sie verschiedenste Themen auf frische Art behandelten. Wenn sie der Kirche zu marketingorientiert und den Werber-Kolleginnen zu fromm waren, dann wussten sie: Wir sind auf einem guten Weg. Nach 25 Online-Magazinen, die sie allesamt ehrenamtlich herausgaben und nach wie vor kostenlos zur Verfügung stellen, schliessen sie allerdings ihre Arbeit ab. Zu gross sind die Anforderungen, die ihre «normalen» Jobs mit sich bringen. Als Abschluss mit einem Paukenschlag geben sie nun ihr letztes Heft als Buch heraus.
Wer sagt denn was?
Hildegard Müller ist die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Sie unterstreicht: «Mir bietet mein Glaube an Gott in diesen umwälzenden Zeiten Orientierung und Halt… Er hilft mir, Chancen und nicht nur Risiken zu sehen.» Der Linken-Politiker Gregor Gysi hält fest: «Als jemand, der nicht an Gott glaubt, ist es mir wichtig, dass der befreiende Gehalt religiöser Ideen … nicht verloren geht.» Die Mathematikerin Hélène Esnault meint: «Ich selbst kann den Begriff ‘Gott’ nicht verstehen, konnte es gestern nicht, kann es heute nicht.» Die Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD, Anna-Nicole Heinrich, fasst für sich zusammen: «Ich spüre, er begleitet mich. Und dann ist es oft ganz anders. Gott ist so viel mehr, so viel grösser.»
Sie kommt dabei zu einem Ergebnis, das auch das Anliegen der Autoren ist: «Wir sprechen darüber [über das Bild Gottes]. Das bewegt mich am meisten, lässt mich über die Vielfalt staunen, nachfragen, in ein Gespräch kommen.» Dieser Mix an Meinungen und Gesichtern, die man kennt oder auch nicht, machen den Charme des Buches aus. Es ist wie das Zuhören beim Kaffeetrinken, bei dem man plötzlich in ein tiefes Gespräch gekommen ist, und realisiert: Ach, so siehst du das. Interessant…
Für wen ist das Buch geeignet?
Der Bildband mit den Text- und Fotoportraits eignet sich nicht zum schnellen Durchlesen. Es ist zwar nicht viel Text, aber beim Hineinblättern bleibt man unwillkürlich irgendwo hängen. Bei Aussagen, die man prägnant und gut findet, genauso wie bei solchen, an denen man sich reibt. Wer eine klare Antwort aus vielen Mündern sucht, wird keine Freude am Buch haben. Wer aber über Vielfalt staunen will und mit unterschiedlichen Ansätzen ins Gespräch kommen möchte, ist genau richtig. Dabei wird klar: Man muss kein Intellektueller sein, um mitdenken und mitreden zu können. Man muss dazu keiner bestimmten Kirche angehören. Man muss nicht auf eine bestimmte Weise glauben. Aber man sollte bereit sein, Menschen zu begegnen, die glauben oder eben nicht, die Gott erfahren oder nach ihm fragen. Oft sind es Menschen die «Gott neben Gott» erfahren haben, wie Matthias Sellmann das in seinem Essay beschreibt, der Teil des Buchs ist.
«Gnade Gott einer Welt, in der die Frage nach Gott keine Rolle mehr spielt!», beginnt Wolfgang Thierse seinen Beitrag. Tatsächlich ist dies eine der Schlussfolgerungen nach dem Lesen: Es ist spannend, wie viele grundverschiedene Menschen in diesem Buch und darüber hinaus von Gott reden wollen. In diesem Sinne beantwortet jeder Beitrag die Titelfrage: Hat die Rede von Gott noch Zukunft? – Natürlich!
Zum Buch:
«Hat die Rede von Gott noch Zukunft?»
Zum Thema:
Hören wie Samuel: Wenn Gott redet und wir ihn einfach nicht verstehen
Monolog oder Dialog?: Wie man lernen kann, Gottes Stimme zu hören
Aus dem Buch der Bücher: Worte, die Vertrauen schaffen