«Behinderung soll zur Nebensache werden»
«Eine vielfältige Gesellschaft ist eine, in der jeder Mensch mitschafft und keiner es nicht schafft» – hinter diesem Slogan steht Simone Leuenberger. Sie ist von einer spinalen Muskelatrophie betroffen, nutzt einen Elektro-Rollstuhl und ein ihren Bedürfnissen angepasstes Auto. Damit ist selbständig und mobil. Sie lässt sich von Angestellten dort unterstützen, wo sie Hilfe braucht. Und setzt sich dafür ein, dass die Anliegen Behinderter besser verstanden werden und die Gesellschaft Lösungen für das Zusammenleben findet.
Gesetzliche Rahmenbedingungen
«Wir leben in einer Gesellschaft, die immer noch Menschen ausschliesst, sie nicht beitragen lässt», stellt Simone Leuenberger fest. «Das ist schade und ein Ressourcenverschleiss!» Sie setze sich dafür ein, dass jeder mitmachen könne, mit oder ohne Unterstützung. «Jeder von uns stösst im Lauf des Lebens an Grenzen und braucht dann Unterstützung.» Ihr sei es wichtig, dass über Behinderung geredet werde. Und dabei hat sie kein Problem, wenn dieser Begriff genutzt wird. «Ich habe eine Behinderung, sie behindert mich – das kann man auch so benennen.»
Behinderung sei ein neutraler Begriff – er bewerte nicht, sondern bezeichne eine Lebensrealität. «Es gibt ein Behindertengleichstellungsgesetz und eine UNO Behindertenrechtskonvention», hält sie fest. «Im Kanton Bern wurde kürzlich ein Behindertenleistungsgesetz verabschiedet – die rechtliche Unterstützung bekommen wir aufgrund unserer Behinderung.»
«Gott hat mich gut gemacht»
«Vor Unbekanntem schreckt man zurück», weiss Simone Leuenberger. Behinderung sei immer noch für viele etwas Unbekanntes, obwohl etwa 20 Prozent der Bevölkerung betroffen seien. Jeder Mensch lebe mit gewissen Voraussetzungen – bei ihr sei es ihre Behinderung. «Für mich es das ganz normal, Gott hat mich mit dieser Behinderung geschaffen, er hat mich gut gemacht.» Sie leide nicht daran, Gott gebe ihr die Kraft und Motivation, die sie brauche, um damit zu leben. «Was mich aber nervt, sind die Hindernisse, die noch immer da sind, zum Beispiel Treppenstufen.» Als Kind habe sie sich geärgert, dass ihr Rollstuhl nicht so schnell fuhr wie die Velos der Kameraden. Dass sie nicht selbst Velo fahren konnte, sei dabei kein Thema gewesen.
Gleiche Rechte
Simone Leuenberger hat an der Behindertensession teilgenommen, die diesen Frühling durchgeführt wurde. Diese erhielt viel Aufmerksamkeit der Medien: «Das zeigte uns, dass wir dazu gehören. Und jetzt schauen wir dorthin, wo die Bedingungen für uns noch nicht stimmen.» Auf dem Papier hätten Behinderte schon viele Rechte, in der Praxis sehe es allerdings anders aus, erklärt die Politikerin. Behinderung sei nicht ein persönliches Schicksal oder etwas, wofür man sich schämen müsse. Es müsse selbstverständlich werden, dass Behinderte überall am Gesellschaftsleben teilnehmen könnten.
Als Beispiel nennt sie Parkplätze, die eigens für sie gekennzeichnet sind. Dann erwähnt sie das Parallelsystem, in welchem viele Behinderte leben: zuerst Sonderschule, dann separierter Ausbildungs-, später geschützter Arbeitsplatz, Leben in einer Institution. Damit gebe es keine Berührungspunkte mit der Welt. Diese Zweiteilung will sie politisch angehen, Prozesse in Gang bringen, um das Parallelsystem zu inkludieren und schliesslich abzuschaffen.
Jesus ebnet den Weg
Schon bevor sie eine persönliche Beziehung zu Jesus lebte, setzte sich Simone Leuenberger für die Rechte Behinderter ein. Im 3. Buch Moses wird dazu aufgefordert, Blinden keine Hindernisse in den Weg zu legen. Dies ermutigte sie, dran zu bleiben bezüglich Gleichstellung. Sie stellt klar: «Jesus lebte Inklusion, keine Separation – also haben wir Christen ganz klar den Auftrag, eine Gesellschaft zu bauen, zu der alle gehören.» Allein ihr Dasein löse im Grossrat Aufmerksamkeit aus. Trotz sichtbarer Behinderung sei sie überall dabei, äussere sich wie alle anderen zu jedem Thema. Manchmal scheine es, als habe dieses nichts mit Behinderung zu tun. Sie erkenne jedoch oft mögliche Auswirkungen auf kantonaler oder nationaler Ebene und lenke den Fokus darauf, dass bei jeder Planung an die Anliegen Behinderter gedacht werden müsse.
Behinderung wird nebensächlich
Simone Leuenberger wird für den Nationalrat kandidieren. «Als Lehrerin erlebe ich, dass Behinderung kein Hindernis sein muss», sagt sie. Sie will dazu beitragen, dass reale und fiktive Treppenstufen verschwinden: «Ich träume von einer Gesellschaft, an der nicht nur ich, sondern alle Menschen mit Behinderung teilhaben können.»
Den kompletten Livenet-Talk mit Simone Leuenberger können Sie hier ansehen:
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