Zur Tagesordnung übergehen – echt?
Ja, die liebe Tagesordnung. Sie ist ja gern langweilig, aber sie wird zum Rettungsanker, wenn etwas Unvorhergesehenes und Schlimmes passiert: Ein Nachbar stirbt plötzlich, eine Bekannte nimmt sich das Leben. «Die meisten Menschen wissen in solchen Situationen nicht, wie sie reagieren sollen und gehen schnell zur Tagesordnung über», erklärt ein Notfallseelsorger im Livenet-Talk dieser Woche.
Eigentlich erschreckend, aber nachvollziehbar. Was soll man sagen? Wie reagieren, wenn man nicht in Syrien oder Afrika, sondern vor der eigenen Haustür mit einem Unfall oder Suizid konfrontiert wird? «Das ist so anders, als wenn man es nur im 'Blick' liest», sagte eine Betroffene.
Drei Impulse gegen die Hilflosigkeit
Anteil nehmen
Der Ausdruck «Herzliche Anteilnahme» ist eigentlich eine Selbstverpflichtung: Man schweigt nicht, sondern öffnet das Herz und «teilt» etwas mit den Betroffenen. Vergessen wir nicht, was uns Corona gelehrt hat: Wir gehören zusammen. Wenn einem die Worte fehlen, kann es auch ein stummer Händedruck oder eine Umarmung unter Tränen sein. Die Hauptsache ist «teilen» – geteiltes Leid ist vielleicht nicht halbes, aber doch ein Stück weniger Leid. Weichen wir nicht aus, sondern gehen wir auf die Betroffenen zu und sagen «Ich bin da».
Keine Schuldigen suchen
Etwas, was wir vom Notfallseelsorger ebenfalls lernen können: nicht nach Schuldigen zu suchen. Darin sind wir ja gross: Bei jedem Unfall und Unglück wird nach dem oder der Schuldigen gesucht. Das ist ein Pseudo-Ausweg, oft gut gemeint, aber im Moment des Schocks bringt es nichts und hilft nicht bei der Verarbeitung.
Übrigens: Der Reflex «nach dem Schuldigen suchen» ist urmenschlich. Irgendjemand muss für das, was schiefgelaufen ist, «geradestehen». Welch eine revolutionäre Nachricht, dass Jesus sich aufs Kreuz legen liess für die Schuld der ganzen Menschheit – auch für Ihre und meine und die Schuld von «dem da»!
Das eigene Sterben nicht verdrängen
Tausende Tote in der Türkei, das ist schlimm, ja – aber «weit weg». Und aus den Medien schon wieder verschwunden, obwohl das Leid vor Ort die Menschen noch Jahre beschäftigen wird. Aber auch wir, obwohl rundum ver- und abgesichert, sind «mitten im Leben vom Sterben umfangen», ob wir wollen oder nicht. Ein geflügeltes Wort der Bibel steht in Psalm 90, Vers 12: «Mach uns bewusst, wie kurz das Leben ist, damit wir unsere Tage weise nutzen!»
Das eigene Sterben ist todsicher und – wie Leid und Krankheit – eine Grenzerfahrung, eine «Kränkung des Narzissmus». Das kann man verdrängen – oder dieses Wissen nutzen, um «klug» zu werden. Im Glauben an Jesus, in der realen Vergebung realer Sünden und im Wissen um eine herrliche Zukunft bei Gott haben unzählige Menschen über Jahrtausende die Lösung gefunden, das eigene Sterben annehmen zu können. Und damit die Kraft, auch bei «fremdem Tod» nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen, sondern Worte und Gesten echten Trostes zu finden.
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