«Ehrenrettung der Freikirchen»

Celebration im ICF Zürich
«Freikirchler gelten seit jeher als dubiose, ja gefährliche Gestalten», erklärt der Theologe Markus A. Jost von der Universität Freiburg in einem Artikel in der Weltwoche vom 12. Oktober – und rückt das Bild historisch zurecht.

Freikirchen sind ein 500 Jahre altes Phänomen. Bereits zur Zeit der Reformation kamen sie ins Fadenkreuz von Kirche und Staat: die Täufer. In Disputationen wurde versucht, ihnen zu erklären, dass «nur eine politische Volkskirche, der alle angehören müssten, die von Gott gewollte Kirche sei». Worauf die Täufer konterten: «Jesus wollte eine von den staatlichen Institutionen freie Kirche der Freiwilligen.» Jost erklärt in seinem Artikel: «Sie beharrten auf ihrer Meinung – bis heute. Deswegen wurden sie von Zwingli und der Obrigkeit verwarnt, eingesperrt, gefoltert, verbannt oder schliesslich hingerichtet. In den katholisch gebliebenen Kantonen der Innerschweiz wurden auch keine anderen Kirchen und Ideen geduldet. Dort wurden alle 'Ketzer' öffentlichkeitswirksam – ohne Disputation – direkt auf dem Scheiterhaufen verbrannt.»

Nur der Kanton Appenzell und der «Freistaat gemeiner drei Bünde», das heutige Graubünden, gewährten Glaubensfreiheit – «europaweit eine Neuheit», so Jost. In allen anderen Kantonen und im grössten Teil Europas blieben die Täufer jahrhundertelang eine «illegale Religionsgemeinschaft»: «Nur in wenigen Gebieten wurden Täufer vorübergehend toleriert, so etwa in Mähren (heutige Tschechische Republik), Strassburg und im Gebiet der heutigen Niederlande. Alles Gegenden, die damals wirtschaftlich erfolgreich waren.» In der Schweiz erlangten Täufer und Freikirchen erst mit der totalrevidierten Bundesverfassung von 1874 volle Glaubensfreiheit.

Umgang mit Freikirchen: Alles andere als «frei»

Die «gesellschaftliche Ächtung» dauerte bis weit ins 20. Jahrhundert an – und, das sei angefügt – bis heute steckt in vielen Kreisen der Bevölkerung ein tief verwurzeltes Misstrauen gegen die, die nicht der «offiziellen» Religion folgen. Die Weltwoche: «Paradoxerweise werden diese ausserhalb der Landeskirchen existierenden Glaubensgemeinschaften 'Freikirchen' genannt. Dabei ist der gesellschaftliche Umgang mit ihnen oft alles andere als frei und entspannt, sondern von Vorurteilen und Stereotypen geprägt.»

Dabei waren es die Freikirchen, die oft zu mehr Freiheit in der Gesellschaft beitrugen. Als Beispiele nennt Jost die Religionsfreiheit – am oben kurz skizzierten Prozess leicht nachzuvollziehen.

Am Beispiel des ehemals reformierten und zum Täufertum übergetretenen Pfarrers Samuel Heinrich Fröhlich (1803-1857) wird gezeigt, wie seine Situation zur Einführung der Zivilehe in der Schweiz beitrug: Er konnte seine Ehe mit Susette Brunschwiler nicht legalisieren lassen, weil nur die Eheschliessung in einer Landeskirche staatlich anerkannt war, der Fröhlich konsequent den Rücken gekehrt hatte. Gegen von ihm gegründete Neutäufer-Gemeinden gab es – nicht zuletzt auf die Hetze reformierter Pfarrer hin – regelrechte Volksstürme (1834); seine Ehe konnte er erst viele Jahre später in Strassburg (!) legalisieren.

Überzeugungen, die unpopulär sind

Weil viele täuferische Freikirchen das Tragen von Waffen von Anfang an ablehnten, kämpften sie mit anderen Gruppen zusammen dafür, dass ein Zivildienst möglich wurde, den die Schweiz 1992 einführte. Jost: «Die täuferischen Freikirchen sind Teil der sogenannten Friedenskirchen. Als eine der wenigen Kirchen machen sie sich seit Beginn des Ukraine-Krieges für eine friedliche Lösung stark.»

Das Fazit des Weltwoche-Artikels: «Seit 500 Jahren sind es Freikirchen und Freikirchler gewohnt, Überzeugungen zu vertreten, die unpopulär sind. Manche nennen dies Zivilcourage. Die ist oft unbequem und deshalb selten erwünscht.»

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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Weltwoche Nr. 41

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