Ukrainischer Friede in Schweizer Kirche

Weihbischof Wolodymyr Hruza
Um die europäische und schweizerische Solidarität gegenüber den Ukrainern hoch zu halten, wurde ein Gottesdienst mit anschliessendem Podiums-Gespräch organisiert. Nach 15 Monaten Krieg lud das katholische Hilfswerk «Kirche in Not (ACN)» ein.

Karitative Organisationen und auch die Kirchen fürchten, dass die Unterstützung abnimmt und die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende schwindet. Um dem entgegenzutreten, organisierte das internationale katholische Hilfswerk eine Wallfahrt für den Frieden in der Ukraine, bei welcher Bischof Wolodymyr Hruza Sätze sagte wie «Der moderne Mensch hört zuerst mit den Augen». Es ging um Hoffnung, Einheit und Wahrheit.

Täglich auf dem Friedhof

Die Klosterkirche in Einsiedeln war am 21. Mai bis zum letzten Platz – auch mit vielen Ukrainern – gefüllt. In der Gottesdienstleitung wirkte Weihbischof Wolodymyr Hruza aus Lemberg / Lwiw in der Ukraine und ging in seiner Predigt auf das Leid der Menschen in seiner Heimat ein. Sein Augenmerk liegt aktuell auf den täglichen Friedhofsbesuchen bei den Beerdigungen der gefallenen Soldaten. Er tröstet die Witwen, Kinder und Angehörigen. Für sie da zu sein, sei die Aufgabe der Kirche in dieser schwierigen Zeit, so der Bischof. Sie begleitet die notleidenden Menschen mit Seelsorge und vielfältiger Hilfe.

Die Gottesdienst-Besucherin Marta, beispielsweise, sah den Gottesdienst als wunderbare Gelegenheit, dass der Krieg auch in der Schweiz nicht in Vergessenheit gerate.

Die Wahrheit im Medienkrieg

Im schweizerisch-ukrainischen Gottesdienst in der Barockkirche predigte der Bischof über Wahrheit und Einheit: «Deshalb steht die Ukraine noch: Weil beim Volk Vereinigung passierte», und meinte, dass die Wahrheit immer und sofort dem Krieg geopfert werde. Es sei ein brutaler Medienkrieg, darum sei es wichtig, dass die Wahrheit vermittelt werde.

Gleichzeitig habe der Krieg die Menschen wieder in die Kirche gebracht, nachdem die Pandemie für ein Fernbleiben sorgte. Er spüre Zuflucht, der Glaube an Gott sei den Leuten wichtig (Livenet berichtete).

Kerzen für die 19'000 deportierten Kinder

Die Messe wurde musikalisch von jungen ukrainischen Flüchtlingen des Chores «Prostir» unter der Leitung eines Dirigenten aus Charkiw gestaltet. Beim Anzünden von vier «Kerzen der Hoffnung» wurde an das Schicksal der rund 19'000 ukrainischen Kinder erinnert, die «unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Russland deportiert» wurden.

Bischof Wolodymyr Hruza wies auch darauf hin, dass es neben der Versorgung der physischen Wunden der Bevölkerung auch schwierigere, tiefere Wunden gebe: «Das sind die inneren Wunden... Die Kirche muss bei den Überlebenden, den Familien, bei den Beerdigungen präsent sein.» Er mahnte auch, dass Familien zerbrechen könnten, wenn Frauen und Kinder ihre Heimat verlassen und die Männer an die Front müssten.

Geistliche Armut und Vermischung

Den Wallfahrtsteilnehmern bot sich ebenfalls die Gelegenheit, Ikonen zu sehen, die von den ukrainischen Künstlern Oleksandr Klymenko und Sonia Atlantova auf Munitionskisten gemalt wurden, die auf dem Schlachtfeld zurückgelassen worden waren. Diese waren mehrtägig in der Klosterkirche ausgestellt.

Der Bischof beschrieb die geistliche Situation in der Ukraine so, dass die Menschen in der Ost-Region im Durchschnitt wenig über das Christentum wüssten, da es viele Orte ohne Kirchen gäbe und sich die orthodoxe Kirche vor allem auf die Liturgie konzentriere. Dieser Mentalitäts­­­-Unterschied machte sich bemerkbar, als Hunderttausende Ukrainer aus diesen Regionen in die Gegend von Lemberg flüchteten oder über die Hauptstadt Galiziens (ukrainisch: Halyčyna) nach Polen reisten, bevor sie weiter nach Westen weiterzogen. «Viele kamen zurück, als die Russen aus Charkiw, der Region Kiew und Cherson abzogen, auch wenn es manchmal gefährlich ist – aber eigentlich ist es überall in der Ukraine gefährlich!»

Pfarreien und Klöster für Flüchtlinge

Als der Krieg im Februar 2022 loswütete, spielte die Kirche eine entscheidende Rolle. Der Staat wurde von der Situation überrumpelt und war nicht so organisiert wie heute. Die Kirche nahm in ihren Pfarreien und Klöstern Ströme von Flüchtlingen auf, die praktisch nichts hatten. Wolodymyr Hruza beschreibt dazu: «Die Kirche war von Anfang an bereit, denn wir sind immer bei den Menschen, um dem Volk zu dienen. Es ist schwer, wegen Waffen zu argumentieren, ich bin pragmatisch: Der beste Weg ist, die Gräber der gefallenen Soldaten zu besuchen, die Mütter zu treffen, die um ihre Söhne trauern, die Witwen und Waisen, die nach ihrem Vater suchen. Der moderne Mensch hört zuerst mit den Augen…»

Geistliche Schulen und «Ferien mit Gott»

Die Kirche werde konfrontiert mit Selbstmorden von Soldaten, Familien, die sich aufgrund der Traumata trennen oder scheiden lassen, Ehefrauen, die ihre verstümmelten Ehemänner zurückweisen, et cetera. «Kirche in Not» betont, dass eine der Prioritäten sei, die Ortskirche bei der spirituellen und psychologischen Ausbildung von Priestern und Nonnen zu unterstützen, die in der Betreuung der Bevölkerung tätig sind. Nach Swjatoslaw Schewtschuk, Grosserzbischof der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche von Kiew und Halyčyna, benötigt 80 Prozent der Bevölkerung eine solche psychologische Unterstützung.

Ordensfrauen organisieren unter dem Motto «Ferien mit Gott» Sommerlager für Kinder, die ins Landesinnere vertrieben wurden.

Neugeborenes über WhatsApp kennenlernen

Für Magda Kaczmarek, Projektverantwortliche von «Kirche in Not» für die Ukraine, sind die Kinder die grössten Opfer dieses Krieges. Viele sehen ihren Vater, der an die Front geschickt wurde, nicht mehr. Betroffen sind die Familien der Männer zwischen 18 und 60 Jahren. «Sie leiden unter dieser Trennung. Und es gibt Männer, die ihre schwangere Frau verlassen mussten und ihr Neugeborenes nur über WhatsApp sehen... Es ist auch wichtig, die Militärseelsorger zu unterstützen, die Männer an der Front und die Familien der Verstorbenen trösten.»

Das Schlusswort von Bischof Wolodymyr Hruza: «Als Christen darf die Hoffnung nicht sterben. Wir sind Hoffnungs-Träger. Und wir hoffen und glauben, dass dieser Wahnsinn bald vorbei sein wird.»

Zum Thema:
Hunger nach Evangelium gross: Tausende Ukrainer fanden zu Gott
Solidarische Gemeinschaft: Schweizer Kirchen beten für die Ukraine
«Situation wie bei Nehemia»: Herausforderungen der ukrainischen Kirche

Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

Werbung
Livenet Service
Werbung