Jüngste Vizepräsidentin einer Kantonalkirche

Julia Roelli (links) ist Vizepräsidentin der St. Galler Kantonalkirche
Julia Roelli, 21, ist seit Juni Vizepräsidentin der St. Galler Kantonalkirche. In zwei Jahren könnte die Studentin das Präsidium übernehmen und wäre dann die «höchste Reformierte» im Kanton. Sie will die Kirche lebendig halten.

«Im Zentrum der Kirche stehen Gott und die christlichen Werte. Für diese Werte möchte ich mich einsetzen», sagt Julia Roelli. Die junge Frau aus Diepoldsau ist seit zwei Jahren Mitglied der Synode und jetzt Mitglied im Büro der Synode. Dieses ist verantwortlich, dass die Beschlüsse der Synode (Parlament) und des Kirchenrates (Regierung) umgesetzt und die Gesetze eingehalten werden.

Schon als Kind wuchs Julia Roelli in die kirchliche Gemeinschaft in Diepoldsau hinein. Früher ging sie nach der Schule in den «Fritigstreff» und zu den Kindergottesdiensten. Später half sie dort mit. Als die Kirchgemeinde Diepoldsau die Pfarrstelle neu besetzen musste, meldete sie sich für die Pfarrwahlkommission, schreibt die Zeitung «Der Rheinthaler». Ermutigt von den Rückmeldungen und bereit, für die eigene Überzeugung einzustehen, wagte die Diepoldsauerin den nächsten Schritt und vertritt seit 2022 ihre Kirchgemeinde in der Synode. Sie arbeitet in einer Arbeitsgruppe mit, die sich mit der Zukunft der Kantonalkirche befasst. Geschäftlich absolviert Julia Roelli ein Bankenpraktikum in St. Gallen. Ab September studiert sie an der Fachhochschule Management und Recht. Dass sie ihr kirchliches Engagement einmal zum Beruf macht, sei durchaus denkbar.

Es gibt Umbrüche

Was interessiert Julia Roelli so brennend an der Kirche, dass sie gerade jetzt mehr Einfluss nehmen möchte? «Die Gesellschaft sieht das Fundament ihrer Werte nicht mehr im Christentum», sagt Julia Roelli. Es lohne sich, für sie einzustehen, damit sie bestehen könnten. Sie sagt zum «Rheinthaler»: «Die Kantonalkirche soll erhalten bleiben und ihren Stellenwert in der Gesellschaft nicht einbüssen.»

Handlungsbedarf gibt es ihrer Meinung nach in der Altersspanne zwischen Konfirmation und Familiengründung. Hier etwas ändern zu wollen, erfordere keine allgemeine, sondern eine an jede Gemeinde angepasste Lösung. Daran mitzuwirken, spornt sie an. Es gebe Umbrüche und es werde engagiert diskutiert. Julia Roelli möchte sich und das Parlament bewegen. «Die Jungen wollen, dass etwas ins Rollen kommt und sich die Spannungen nicht wieder lösen, ohne dass sich daraus etwas entwickelt.» 

Kirche mitgestalten

Die Diepoldsauerin freut sich sichtlich auf ihr neues Amt als Vizepräsidentin. Zum einen könne sie in dieser Funktion enorm viel lernen. Zum anderen wird sie später als Präsidentin der Synode auf dem richtigen Stuhl sitzen, um etwas zu bewirken und mitzugestalten. Letzteres ist auch der Grund, warum sie überhaupt in der Synode ist. Sie engagiert sich, um die Kirche mitzugestalten und weiterzubringen. Eine Kirche, für die sie sich nicht rechtfertigen muss. Wo sieht Julia Roelli die Kirche im Jahr 2063? «Sie hat den Sprung geschafft, dass sie nicht neben der Gesellschaft steht, sondern ein Teil von ihr ist.» Und weiter: «Falls sich die Kirche bewegt und einen weiteren Horizont bekommt, kann sie anders wahrgenommen werden und wieder mehr Menschen ansprechen.»

Die Baustellen der Kirche

Julia Roeeli hat klare Ansichten, wo die Kirche Baustellen hat. In den Köpfen der Leute sei die Kirche etwas Altes und Starres. Dieses Image will die 21-Jährige ändern. Die Kirche müsse mehr aufzeigen, dass sie beweglich und nah am Leben der Menschen ist. «Ich will, dass die Leute an die Werte der Kirche denken und nicht an ein Gebäude aus altem Stein.» Genau diese Gespräche und Diskussionen findet Julia so spannend, dass sie kaum damit aufhören möchte.

Wahrscheinlich gibt es wenige 21-Jährige, denen man das Synoden-Präsidium zutrauen würde. Anders bei der Diepoldsauerin: Sie wurde im Juni von der Vorsynode Rheintal einstimmig nominiert. Julia ist zwar nicht die, die den Ton in der Synode angeben und im Rampenlicht stehen will oder die den Ablauf und die Themen in der Synode bereits in- und auswendig kennt. Aber sie ist auch nicht die, die einen Schnellschuss abfeuert, mit einer unglücklichen Formulierung in ein Fettnäpfchen tritt oder aneckt und so einen konstruktiven Diskurs erschwert. Sie ist eine Vermittlerin, die für alle ein Ohr offen hat und mit diplomatischem Geschick Konflikte besänftigt. Eine, der die Vorsynode zutraut, dass sie die Geschäfte des Parlaments mit Ruhe und Professionalität leitet und die Synode sauber gegen aussen vertritt.

Dieser Artikel erschien im Dienstagsmail.

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Autor: Markus Baumgartner
Quelle: Dienstagsmail

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