Michael Herbst und die zahnlose Hoffnung
Hoffnung stirbt zuletzt
Dass die Hoffnung zuletzt stirbt, ist bereits sprichwörtlich. Darauf weist der emeritierte Professor für Praktische Theologie, Michael Herbst, bei seinem Eröffnungsvortrag hin. Er stellt klar, dass dies weder ein Filmzitat ist noch die resignierende Aussage eines erfolglosen Fussballtrainers, sondern vielmehr aus dem Lebensmotto des vorchristlichen Philosophen Cicero abgeleitet ist: «Solange ich atme, hoffe ich!»
Herbst ergänzt: «Wer lebt, hofft. Ohne Hoffnung geht es nicht.» Und er berichtet kurz von Hoffnungsmenschen, die das auf ihre besondere Art unterstreichen, ob es die Mütter der argentinischen Plaza de Mayo sind, die dort wöchentlich in einem Schweigemarsch ihrer verschleppten und ermordeten Kinder gedenken, der schwäbische Unternehmer Tobias Merckle, der das Leonberger «Seehaus» gründete, um straffälligen Jugendlichen im offenen Vollzug eine zweite Chance zu bieten, oder der Agrarwissenschaftler Tony Rinaudo, der die afrikanische Sahelzone mit 200 Millionen Bäumen begrünte und dafür 2018 den Alternativen Nobelpreis erhielt.
Hoffnung baut aufs Unwahrscheinliche
Dabei ist das Besondere bei jeder Hoffnung das Bauen aufs Unwahrscheinliche – sonst wäre es keine Hoffnung. Diese dreht sich prinzipiell um Ereignisse, die zwar erstrebens- und wünschenswert sind, aber eben nicht automatisch zur Erfüllung kommen. Doch obwohl Hoffnung die Latte der Erwartungen hochlegt – wir hoffen auf Frieden in der Ukraine, obwohl es nicht danach aussieht! – rechnet sie in der Regel nicht mit Unmöglichem. Ein Quadrat muss nicht rund werden. Das wäre unmöglich und noch nicht einmal sinnvoll.
Dazu kommt, dass Hoffnung sich grundsätzlich mit zukünftigen Ereignissen beschäftigt – ihr Ergebnis liegt noch nicht auf dem Tisch. Herbst unterstreicht, dass Menschen normalerweise gesellschaftlich eher schwarzsehen, für sich persönlich aber optimistisch bleiben. Augenzwinkernd illustriert es diese sogenannte Optimismusverzerrung mit dem älteren Ehepaar, in dem der Mann seiner Frau erklärt: «Falls einer von uns stirbt, kann ich anschliessend ja nach Karlsruhe ziehen…» Aber was ist, wenn Gott bei all diesen Hoffnungsfragen ins Spiel kommt?
Biblische Hoffnung ist zahnlos
Herbst geht weit zurück in der Bibel und berichtet von einem anderen alten Ehepaar. Sie haben alles erreicht, es geht ihnen gut. Da ist nur dieses grosse Aber ihres Lebens, denn sie haben keine Kinder. Lange haben sie noch gehofft, doch inzwischen haben sie sich damit abgefunden – die biologische Uhr tickt längst nicht mehr. Es ist zu spät. Doch in dieser Situation spricht Gott hinein ins Leben von Abraham und Sara und scheint ihnen zu erklären: «Ihr denkt, ich bin am Ende? Dabei fange ich gerade erst an…» Sara muss deswegen lachen – und nicht nur einmal. Soll sie, die zahnlose alte Frau noch einmal einen zahnlosen Säugling an die Brust legen?
Trotzdem entwickelt sich bei diesem Ehepaar Glaube und Hoffnung, nicht weil die Umstände sich verändert hätten – tatsächlich werden Abraham und Sara immer älter – und auch nicht, weil sie das so im Gefühl gehabt hätten. Die Hoffnung dieser beiden fusst auf dem Versprechen Gottes, auf seiner Treue. So legt Herbst den Fokus der Hoffnung nicht auf die Aufforderung: «Jetzt sei doch mal hoffnungsvoller!», sondern auf das Vertrauen, dass Gott zu seinem Ziel kommt. Auf die Erwartung, dass Paulus recht hat, wenn er behauptet, auch «wenn wir untreu sind, so bleibt er doch treu». Dass Michael Herbst am Schluss noch einmal unterstreicht, dass selbst die Glaubensvorbilder Abraham und Sara «sowas von durchschnittlich» waren, macht Mut. Es macht Mut zu hoffen.
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