Theologen lernen kirchliche Start-ups gründen
Was ist das Ziel Ihres neuen Studiengangs?
Corinna Dahlgrün: Wir möchten Menschen befähigen, an säkularisierten Orten oder sozialen Brennpunkten kirchliche Start-ups zu gründen, die sich möglichst selbst finanzieren. Diese haben Menschen im Blick, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie eine Kirche betreten würden. Unsere Absolventen sollen die Bedürfnisse der Menschen verstehen und aus dem Glauben heraus eine Antwort finden. Ob sich daraus Gemeinden entwickeln, die Menschen eine Heimat geben, liegt in Gottes Hand.
Wie füllt man einen solchen Studiengang inhaltlich?
Wir haben ein ausserordentlich differenziertes Studienangebot. Dazu kooperieren wir mit unterschiedlichen Fakultäten, zum Beispiel mit den Wirtschaftswissenschaften, wenn es um Fundraising und die Verwendung eingeworbener Mittel geht, mit der Informatik für Projektmanagement oder den Geowissenschaften für Sozialraum-Analyse. Aber auch mit Pädagogen und Juristen arbeiten wir in fachlichen Fragen zusammen.
Wie sieht die Kooperation ausserhalb der Universität aus?
Wir haben eine Kooperation mit den evangelischen Hochschulen Elstal, Ewersbach, Reutlingen, Beröa und Tabor. Darüber hinaus arbeiten wir mit der katholischen Fakultät in Erfurt und im musikalischen Bereich mit dem Michaelis-Kloster Hildesheim zusammen. Auch die Kirche in Mitteldeutschland mit ihren Erprobungsräumen ist unser Partner. Ich denke, dass sich für den praktischen Anteil bald auch andere Landeskirchen anschliessen werden.
Sie haben ja quasi ein eigenes Start-up an den Start gebracht. Wie schwer war das?
Die grundsätzliche Einstellung der Universität zu dem Studiengang ist positiv. Durch unser Akkreditierungssystem an der Uni mussten wir genau prüfen, welche Vorgaben wir einhalten müssen und mussten manches anpassen. Aber alle Gremien haben ihre Beschlüsse einstimmig getroffen. Zuletzt hat noch das Ministerium zugestimmt.
Wie viele Anmeldungen gibt es bisher für den Studiengang?
Wir dürfen ja erst seit der Genehmigung durch das Ministerium Ende August werben. In der sehr knappen Vorlaufzeit hat uns ein Marketing-Spezialist unterstützt. Eine Pröpstin der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau hat schon angekündigt, dass sie ihre Pfarrer für solche Projekte freistellen möchte. Aktuell haben wir sechs Anmeldungen. Da kommt vielleicht in den nächsten Tagen noch der eine oder andere hinzu.
Haben Sie sich bewusst für eine Universität im entkirchlichten Osten entschieden?
Nein, das hing eher mit meiner Person zusammen. Aber der Standort Jena ist durchaus sinnvoll. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland bietet die Erprobungsräume an, in denen die Studierenden Praktika machen können. Durch die problemlose Kooperation mit verschiedenen Fakultäten und Netzwerken konnten wir das Ganze schnell in Gang bringen.
Was sollen Studenten bei Ihnen lernen, was im Theologiestudium zu kurz kommt?
Die Studiengänge sind nicht vergleichbar. Die Leute sollen bei uns nicht lernen, eine 20-minütige Predigt zu halten, sondern mit den Menschen in Kontakt zu kommen, ihnen vor allem erst einmal zuzuhören und die biblische Botschaft in den jeweiligen Kontext zu übersetzen.
Wie lernt man das?
Wir haben einen grossen Schwerpunkt in der Seelsorge. Dieses Thema wird inner- und ausserhalb der Kirche eine immer wichtigere Rolle spielen. Und wir beschäftigen uns mit Spiritualität. Beides scheint mir für diese Arbeit unverzichtbar. Wir brauchen ein eigenes geistliches Fundament, damit wir anderen etwas Attraktives anbieten können. Wer bei uns studiert, muss lernen, dass er nicht allein unterwegs ist. Die Studierenden werden in Teamfähigkeit geschult und von vornherein verpflichtet, geistliche Beratung oder Seelsorge zu nutzen, um zu begreifen, dass sie es alleine nicht schaffen.
Sie orientieren sich dabei an Konzepten aus Grossbritannien und den Niederlanden. Was können wir da von unseren Nachbarn lernen?
Die Engländer haben unter Erzbischof Rowan Williams die «Mission shaped church» und die «Fresh X»-Bewegung stark gemacht. In England gelingt es gut, Dinge von unten nach oben wachsen zu lassen. Hier können wir Deutschen noch einiges lernen.
Wo wollen Sie in fünf Jahren mit ihrem Studiengang stehen?
Ich würde mir wünschen, dass es an ganz vielen Orten, die wir jetzt noch gar nicht auf dem Schirm haben, plötzlich eine Form von Gemeinschaft gibt, die, ob sie es explizit macht oder nicht, am Reich Gottes mit baut. Durch die Art, wie sie miteinander umgehen, wie sie sich für Mitmenschen öffnen, wie sie gemeinsam ertragen, dass sie vieles nicht wissen und vielleicht auch gemeinsam ertragen, dass es noch sehr viel ungemütlicher wird.
Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO Medienmagazin.
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