Beziehungen mit Perspektive

vlnr.: Markus Krauer, Dr. Luca Hersbeger, Madeleine Rytz, Refernten, Rolf Germann
Die Beziehung zu sich selbst, zu anderen und zu Gott soll unser Leben reich machen. Psychiater Luca Hersberger und die Sozialpädagogin Madeleine Rytz zeigen anhand der Schematherapie und der positiven Psychologie auf, wie das gelingen kann.

Die Stiftung Schleife in Winterthur will Menschen, kirchliche Gemeinden und Werke in ihrer praktischen und geistlichen Entwicklung fördern und unterstützen. Zu diesem Zweck bietet sie gottesdienstliche, seelsorgerliche und schulische Anlässe, die auf dem Evangelium von Jesus Christus gründen.

Seelsorge: Störsender der Seele eruieren

«Die Seele könnte man mit der Festplatte eines Computers vergleichen», erläutert Markus Krauer, Leiter der Seelsorgearbeit der Stiftung Schleife. Er weiss: «Erfahrungen, Erziehung, Eindrücke aus dem Leben und vieles mehr wird in unserer Seele gespeichert und bestimmt die Art, wie wir leben. Vieles bewirkt Gutes, doch manche Lebensprogramme wirken sich störend aus.» Dies erschwere das Leben, die Beziehungen oder Abläufe. «Wir alle wollen jedoch mit Kraft und Volldampf das Leben meistern.»

In seelsorgerlichen Gesprächen gehe es darum, die neue Schöpfung in uns aufzubauen, Störsender der Seele zu eruieren, sie aufzudecken, im Gebet zu entfernen und neue Lebensmuster zu erarbeiten und einzuüben. Ziel sei ein stabiles und gutes Glaubens- und Lebensfundament. Dazu bietet die Schleife dreimal pro Woche Seelsorgetermine für Einzelpersonen oder Paare an.

Sehnsucht nach Verbundenheit

Ergänzt wird die eigene Seelsorgeausbildung durch regelmässige Weiterbildungen. So referierten während zweier Tage der Psychiater und Psychotherapeut Luca Hersberger und die Sozialpädagogin Madeleine Rytz zum Thema «Beziehungen mit Perspektive – der Sehnsucht nach Verbundenheit begegnen». Sie führten ein in die positive Psychologie und die Grundlagen der Schematherapie und verbanden sie mit dem christlichen Glauben. Anhand von Beispielen aus dem eigenen Alltag zeigten sie auf, wie wichtig es ist, auf verdeckte Gefühlsreaktionen zu achten und nicht augenblicklich auf das vordergründige Verhalten des Gegenübers zu reagieren. Sowohl der Betroffene wie auch die Beraterin können daraus Schlüsse ziehen, die zur Ursache einer Not führen. Rund 140 Teilnehmende setzten sich so mit ihren eigenen «roten Knöpfen», Bewältigungsreaktionen, ausgelösten Gefühlen, Dankbarkeit, Stärken und Vergebung auseinander. In kleinen Gruppen wurde das Gehörte immer wieder geübt und diskutiert.

Schematherapie

Jeffrey Young, Begründer der Schematherapie, nimmt Bezug auf die Erfahrung, dass die Vergangenheit bewusst oder unbewusst unsere Gegenwart prägt. Daraus entstehe die «Schemabrille» – wir und unsere Umwelt werden verzerrt wahrgenommen. Er nennt vier Gründe, aus denen Schemata entstehen:

  1. nicht gestillte Grundbedürfnisse
     
  2. Verwöhnung (zu viel des Guten)
     
  3. Traumatisierung (zu viel Schlechtes)
     
  4. Lernen am Modell (der Apfel fällt nicht weit vom Stamm)

Luca Hersberger führt dazu aus: «Die emotionalen Grundbedürfnisse eines Kindes sind Bindung, Autonomie, Grenzen, Selbstausdruck und Spiel.» Wie sie gestillt werden, präge die Art und Weise, wie wir später im Leben agierten. Laut Schematherapie reagieren wir auch als Erwachsene unterschiedlich auf aktuelle Begegnungen oder Umstände. Entweder mit dem Modus des gesunden Erwachsenen, des verletzbaren Kindes, des inneren Kritikers oder unseren Bewältigungsmodi.

Drei Strategien kommen zum Einsatz

Unsere Bewältigungsstrategien (Modi) sind Vermeidung, Kampf oder Erdulden. Nicht immer sind sie hilfreich, und oft bilden sie eine Fassade, hinter der sich etwas Tieferes verbirgt. So könne ein Angriff bedeuten, dass der Angreifer möglicherweise ein Problem habe und so sein verwundetes Herz schütze. «Gefühle zeigen uns den Weg zum Ursprung unserer Reaktion, sie gilt es zu erkennen und einfühlsam darauf zu reagieren.» Hersberger stellt fest: «Wenn wir echt sind, mutig unsere Stärken zeigen und zu unserer Verletzlichkeit stehen, sind wir mehr verbunden mit uns, den anderen und dem Leben selbst.» Es brauche Übung zu sagen, wie es mir geht, und nicht, was der andere falsch macht. Gewaltfreie Kommunikation könne hier ein hilfreiches Werkzeug sein.

«Wegen dir kommen wir zu spät!»

vlnr.: Markus Krauer, Dr. Luca Hersbeger, Madeleine Rytz, Refernten, Rolf Germann

Madeleine Rytz macht ein Beispiel: «Wenn Luca nicht pünktlich zur Abfahrt erscheint, fühle ich mich nicht ernstgenommen. Das verletzt mich, triggert mein Gefühl, ich dürfe nicht sein, habe keinen Platz in dieser Welt.» So reagiere ihr inneres Kind. Im Modus der gesunden Erwachsenen könne sie dies liebevoll wahrnehmen und darauf eingehen. Nicht immer gelingt das. Wenn sie stattdessen Luca Vorwürfe mache: «Wegen deinem Trödeln erreichen wir das Ziel zu spät!», könnte er empathisch-konfrontativ reagieren. «Deine Worte treffen mich. Sie lösen bei mir aus, dass ich nicht genüge, das tut mir weh. Willst du das?» Er geht nicht auf den sachlichen Vorwurf ein, sondern offenbart seine Gefühle. Rytz: «Nein, aber ich fühle mich nicht ernstgenommen und spüre ein mir seit der Kindheit bekanntes Muster, dass ich keine Berechtigung habe, da zu sein.» Hier liegt der Grund ihrer übertriebenen Reaktion auf zu spätes Abfahren und Stau auf der Autobahn. Sie wendet das empathische Konfrontieren auf Situationen auch bei Kindern und Jugendlichen an. Dabei ist ihr wichtig, auch Grenzen aufzuzeigen, so zum Beispiel unflätiges Verhalten sofort zu stoppen.

Aspekte der Positiven Psychologie

Die Referenten führten in die Grundzüge der Positiven Psychologie ein. Dazu gehören Stärkenorientierung, Dankbarkeit, Vergebung und Flow.

Folgende Aussagen drücken dies aus:

  • Dir selbst, anderen und Gott Gutes zuzutrauen, ist eine grundsätzlich hilfreiche Haltung.
     
  • An Bitterkeit festhalten ist wie Gift trinken und erwarten, dass der andere stirbt (Vergebung als heilsame Option).
     
  • Stärken zu stärken bringt bessere Resultate als Schwächen zu schwächen.
     
  • Getriggerte Alarmreaktionen verschwinden in der Regel nach etwa 20 Minuten. Manchmal lohnt es sich, diese abzuwarten: «Lass uns eine Pause machen. Später können wir das Thema aus einem anderen Modus heraus nochmals angehen.»
     
  • An Herausforderungen wachsen wir, Unter- sowie Überforderung tun uns langfristig nicht gut.
     
  • Emotion und Sachlichkeit nicht gegeneinander ausspielen: Beide haben ihre Berechtigung.
     
  • Durch häufiges Erleben positiver Gefühle werden Prozesse im Hirn ausgelöst und neue Netzwerke verdrahtet.
     
  • Antidepressionstraining: Jeden Abend drei Dinge aufschreiben, die heute gut gelaufen sind und was ich dazu beigetragen habe (Dankbarkeitsübung).

Es ist sehr gut

Es gibt keinen Grund, nicht liebevoll mit dem eigenen Herzen umzugehen. Als Gott die Menschen geschaffen hat, sagte er: Es ist sehr gut.

Die Beziehung zu sich selbst sei oft die herausfordernste, resümierten die Teilnehmenden. Es lohne sich, ihr gleich viel Aufmerksamkeit zu schenken wie der zu Gott und Mitmenschen, motivierte Luca Hersberger. Der barmherzige Umgang mit sich selbst helfe, auch mit anderen barmherzig umzugehen und dabei auf Gottes Hilfe zu vertrauen.

Gemeinsam mit dem Kernteam des Wohnparks St. Chrischona sind Madeleine Rytz und Luca Hersberger aktuell daran, das Kompetenzzentrum Heilsame Beziehungen aufzubauen, um Referate und Workshops zu Schemaseelsorge, Schemapädagogik, Positive Psychologie, Sexualpädagogik sowie Stärkencoachings für Einzelpersonen, Paare und Teams noch vielen weiteren Interessierten zugänglich zu machen. Die Webseite dazu befindet sich im Aufbau: www.khb.life

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Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet

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