Wenn Glaube auf Politik und Umwelt trifft
Das bunte Organisationsteam vom Klimagebet 2023 lädt ein. Auf dem Flyer steht gross: «In ökumenischem Gebet stehen wir zusammen vor Gott, hören, beten und stärken uns. Herzliche Einladung an alle, ob engagiert, verunsichert, fragend, religiös oder neugierig – du bist willkommen. Lasst uns gemeinsam eintreten, im Gebet und auf der Strasse. Für die Welt!» Doch was heisst das? Was ist unsere Verantwortung als Christen in der heutigen Zeit – gerade in der Klimathematik?
Das Pariser Klimaabkommen von 2015 dient als Massstab und Orientierung. Heutige Klimaspezialisten warnen, dass wir die beschlossenen Ziele nicht erreichen können, wenn wir nicht sofort handeln. Eine gewisse Grundskepsis – oder vielleicht auch Verwirrung – kann gerade bei Christen durchaus auftreten. Hat Gott noch alles im Griff? Haben Christen nicht die Verantwortung, die Perspektive himmelwärts zu richten?
Nicht zu einseitig argumentieren
Lukas Gerber der Initiative StopArmut warnt im Gespräch mit Livenet vor unausgewogener Positionierung: «Leider wird oft einseitig argumentiert: Einerseits, als läge alles in unserer Hand, ohne eine grössere Perspektive zu haben, die über uns hinausgeht. Andererseits, als wäre die Welt nur ein Warteraum und das eigentliche Leben beginnt erst nach dem Tod. Aus christlicher Perspektive, verankert im biblischen Zeugnis und in der christlichen Tradition, sind beide Einseitigkeiten verwerflich.» Gerber ermutigt aber, an der christlichen Hoffnung festhalten, und zwar auch diejenigen, die mit Ernsthaftigkeit den Dingen auf den Grund gehen und keine gute Prognose bezüglich der Ökologie aufstellen können.
Können einzelne Menschen überhaupt etwas ändern, oder geht es, wie die nationale Klimademo ahnen lässt, vor allem um Politik? Laut Gerber können «Einzelkämpfer» durchaus etwas bewegen, aber noch empfehlenswerter sei es, sich mit anderen zusammenzuschliessen. Dies trifft sowohl auf Privatpersonen als auch auf Kirchgemeinden zu – letztere können etwa durch die Teilnahme am Eco Church Netzwerk ermutigt werden. In einer grösseren Gruppe habe man einen längeren Atem und erreiche gemeinsam eher ein Ziel. Gerber empfiehlt in diesem Hinblick leicht umsetzbare Aktivitäten, etwa wenn möglich auf das Auto zu verzichten, im Garten einheimische und insektenfreundliche Pflanzen einzusetzen und bei Nahrung sowie Kleidung langfristiger und umweltbewusster einkaufen.
Keine direkte, dennoch scharfe Kritik an Politik
Die heutige Gesellschaft sei komplex. Stark vereinfacht leben wir im ständigen Streben nach mehr und vergessen die Grenze. «Wann ist genug und wer legt fest, was genug ist?» In vielen Bereichen wissen wir nicht, wann die Grenze erreicht ist – in der Ökologie ist sie jedoch, so Gerber, deutlich sichtbar. Warum also nicht handeln?
Die Schweizer Politik habe zwar mit der Ratifizierung des Pariser Abkommens einen korrekten Weg eingeschlagen und auf verschiedenen Ebenen werde versucht, diesem Ziel Rechnung zu tragen. Dennoch hadert er mit der Trägheit der Politik. Auch wenn Einzelpersonen zentral seien, könne nur die Politik einen verbindlichen Rahmen schaffen, damit wir etwa die angeschlagene Biodiversität nicht noch mehr zerstören. Gerber kritisiert die Politik jedoch nicht direkt; sie spiegele ja auch nur die Gesellschaft wider. Umso wichtiger sei es, dass Mutlose neuen Mut durch die Stimme vieler verschiedener Menschen fassen können. Diese einzelnen Menschen, so die Logik von Gerber, sind darauf angewiesen, dass die Politik Leitplanken setzt – besonders für beispielsweise internationale Unternehmen. Die Politik solle aber auch gestalten, etwa der nachhaltigen Landwirtschaft Planungssicherheit geben, wenn sie aufgrund des Sorgetragens der Natur nicht dieselben Erträge wie die konventionelle Landwirtschaft erzielt.
Das Pariser Klimaabkommen sei nicht verhandelbar. «Es dürfen keine faulen Kompromisse gemacht werden!» Ein kurz- und langfristiger Rahmen auf politischer Ebene sei gerade in den bereits erwähnten Bereichen (Wohnen, Mobilität und Ernährung) wichtig. Und das liegt – so Gerber – im Rahmen des Möglichen.
Wozu ein Klimagebet?
Warum gerade ein Klimagebet helfen soll, hat er uns so erklärt: «Fulbert Steffensky schrieb einmal, dass er an einem Wochenende von ‘Christen für den Sozialismus’ teilgenommen habe. Als jemand vorschlug, am nächsten Tag einen Gottesdienst abzuhalten, hörte sich der Theologe Helmut Gollwitzer lange die kontroversen Diskussionen an und sagte dann: 'Ich will den Gottesdienst haben, weil er schön ist.' 50 Jahre später ist es für uns wohl noch schwieriger geworden, zu akzeptieren, dass etwas schön sein kann, ohne einen sofortigen Nutzen oder Zweck zu erfüllen. Ich hoffe, dass das Klimagebet auch schön ist.» Die Zitierung dieser Theologen hat es in sich, waren sie doch bekannt für ihr politisches Engagement.
Das Angebot soll also einen Rahmen schaffen, damit jede Person innehalten kann, Ärger und Angst loslassen und die Zukunft vor Gottes Füssen ablegen kann. Dazu gibt es gesprochene und freie Gebete, ein Musikstück, eine Psalmlesung, aber auch eine Zeit der Stille. Lukas Gerber: «Das Gebet hat Ähnlichkeit mit der Natur: Niemandem kann man die Faszination über sie aufzwingen, aber wer will, kann das Staunen über die Natur entdecken. So auch beim Gebet: Niemandem wird es aufgezwungen, aber alle sind herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.»
Zum Flyer des Events:
Klimagebet 2023
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