Wenn die Hoffnung siegt
Zweierlei habe ich gelernt. Erstens, es gibt ein «zu spät». Es gibt durchaus die Zeit, wo nichts mehr geht und wo du nichts mehr tun kannst. Deshalb nutze jetzt die Zeit, die du hast. Ich habe gelernt, als es mir immer schlechter ging, dass ich die Zeit nutzen muss. Ich habe Dinge aufgeschoben, bis ich sie tatsächlich nicht mehr tun konnte. Das war ein System, das ich schon früher kannte. Aber jetzt war es existenziell: Mache es gleich, solange du noch kannst.
Zweitens: Du kannst immer noch etwas tun für Gott, selbst wenn du nichts tun kannst. Selbst, wenn du scheinbar nichts bewegen kannst, weil du dich nicht bewegen kannst. Du hast die Möglichkeit, im Glauben zu leben, Jesus zu vertrauen, in Gedanken mit ihm zu gehen. Formal sind das alles kleine Schritte, aber auch sie bedeuten, Täter des Wortes zu sein.
Hoffnung wurde mir von vielen Menschen geschenkt. Zuallererst von meiner Frau. Sie hatte die Hauptlast meiner Krankheit zu tragen, bis an ihre Grenzen. Wenn meine Situation wieder einmal schlechter wurde, dann sassen wir manchmal hilflos zusammen. Was soll jetzt werden? Wie schaffen wir die nächsten Hürden? Wir erinnerten uns daran, was wir uns vor Jahrzehnten bei unserer Hochzeit versprochen hat: «Einander zu lieben und ehren in guten und in bösen Tagen». Jetzt waren sie auf einmal da, die bösen Tage. Und wir dachten an unser Versprechen von damals und waren uns einig, wir bleiben dabei.
Hoffnung haben wir – meine Frau und ich – auch von den vielen Menschen geschenkt bekommen, die für uns gebetet haben. Als Paar hatten wir manchmal darüber gesprochen, ob wir nicht in unserem Leben zu viel gearbeitet und uns zu wenig um Beziehungen zu unseren Freunden gekümmert haben. Umso mehr waren wir überrascht, wie viele Menschen Kontakt zu uns suchten in diesen schwierigen Zeiten. Wir bekamen immer wieder spontanen Besuch von Menschen, von denen wir das nicht erwartet hatten. Viele riefen uns an oder beteten für uns.
Meine Hoffnungsmenschen
Besonders wichtig waren zwei Menschen, die mich die ganze Zeit begleitet haben. Mit ihnen habe ich wöchentlich telefoniert, mit ihnen konnte ich über meine Nöte und Zweifel sprechen, auch über meine gelegentliche Verzweiflung und Ungeduld. Sie haben täglich für uns gebetet. Und sie haben mir Orientierung gegeben. Ja, ich habe, gerade am Anfang meiner Erkrankung, verschiedene Träume gehabt, in denen ich meine Heilung erlebt habe.
Diese beiden Begleiter waren dabei die entscheidende Hilfe, diese Erlebnisse richtig einzuordnen. Sind Träume Schall und Rauch – oder hat Gott gesprochen? Man kann auf beiden Seiten vom Pferd fallen. Ein oder zwei Menschen an seiner Seite zu haben, ist eine wirkliche Bereicherung und echte Hilfe.
Zu Hoffnungsträgern sind noch zwei andere Menschen geworden. Das eine ist eine Neurologin, die ich bis heute nicht persönlich kennengelernt habe, eine Freundin unserer Tochter. Aber sie hat diesen entscheidenden Satz geprägt, den ich nie vergessen habe: «Das ist eine Krankheit, die behandelbar ist.» Sie hat nicht heilbar gesagt, aber ihre Aussage hat mir immer Hoffnung gemacht. Sie hat mir geholfen, die manchmal unverständliche Sprache der Ärzte zu übersetzen. Sie hat in einer entscheidenden Phase meiner Erkrankung Druck gemacht, dass die Diagnose noch einmal überprüft werden muss. Das hat sich als wichtig herausgestellt.
Die zweite Hoffnungsträgerin war meine Schwägerin. Viele Jahre an Krebs erkrankt, ist sie im letzten Jahr verstorben. Sie war eine Frau, die ihre Kraft aus ihrem Glauben geschöpft hat. Darin war sie beeindruckend. Als eine Frau, die ihre eigene Krankheit getragen hat und trotzdem stark in ihrer Beziehung zu Jesus war, war sie einfach überzeugend. Dadurch standen wir uns nahe. Sie war die Person, die wusste, wovon sie sprach, wenn sie von der Hoffnung sprach. Ihre Hoffnung war durch Krankheit geerdet. Ihre Hoffnung war echt und hilfreich.
Herausgefordert, aber nicht verzweifelt...
Am Ende des ersten Jahres war ich tatsächlich am Ende. Ich war absolut hilflos. Sogar meine Stimme wurde durch die Krankheit angegriffen. Kurz vor Weihnachten kam der Anruf vom Chefarzt, dass es eine neue Diagnose gibt. Ich habe eine ganz seltene Form dieser Erkrankung. Ich musste schnell ins Krankenhaus, nach sechs Blutwäschen bekam ich ein anderes Medikament. Und tatsächlich wurde es danach besser, es ist ein sehr langsamer Prozess. Während es im ersten Jahr meiner Krankheit immer weiter bergab ging, wurde es im zweiten Jahr besser. Heute kann ich vieles wieder tun, ich lerne gerade wieder laufen. Meine Arme kann ich wieder benutzen, meine Hände weitgehend. Den Rollstuhl brauche ich nicht mehr. Es ist erstaunlich und gleicht einem Wunder, was geschehen ist. Kein Arzt kann mir sagen, wie weit dieser positive Prozess der Wiederherstellung und Heilung gehen kann. Er kann auch plötzlich enden. Mir ist klar, dass diese positiven Veränderungen nichts sind, worauf ich ein Anrecht habe. Ich weiss, dass viele Menschen das nicht so erleben können.
Etwas ist mir aufgefallen, das ist mir sehr wichtig. Für mich ist das ein Phänomen. Wenn ich ein Jahr zurückdenke, dann denke ich daran, wie es mir damals ging. Diese absolute Bewegungsunfähigkeit, die totale Abhängigkeit von anderen Menschen in jeder Beziehung. Die Zukunft war düster. Eigentlich war ich gefangen im eigenen Körper, lebendig begraben im eigenen Körper. Wenn ich daran zurückdenke, dann kommt mir das gruselig vor. Und nun kommt das Besondere: Es kommt mir heute gruseliger vor, als ich es damals erlebt habe. Ich habe es selbst in einer inneren Balance erlebt, zwar herausgefordert, aber nicht verzweifelt.
Ich denke oft darüber nach, woran das liegt. Und ich habe mehrere Erklärungen gefunden. Eine klingt etwas merkwürdig, aber es war auch eine abenteuerliche Situation. Es war etwas, was man sonst so nicht erlebt. Es war etwas Neues, in dem man sich zurechtfinden musste.
Und es war herausfordernd. Meine Frau und ich waren in unserem beruflichen und privaten Leben oft in der Situation, Neues zu erkennen und aktuellen Lösungen zu suchen. Diese Erfahrung hat uns auch in diesen aussergewöhnlichen Zeiten geholfen. Wir haben immer wieder nach Lösungen gesucht und sie oft aufgefunden.
... und nie allein
Aber noch etwas anderes ist mir wichtig geworden. Jesus sagt in seinen letzten Worten: «Ich bin jeden Tag bei euch, bis zum Ende der Welt» (Matthäus Kapitel 28, Vers 20). Für mich bedeutet das, wenn ich auch ganz unten bin, Jesus ist immer bei mir und mit mir. Das ist meine Erfahrung: gefangen in meinem Körper und doch nicht allein.
«Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine grosse Belohnung hat.» (Hebräer Kapitel 10, Vers 35)
Lesen Sie hier Teil 1 Detlef Kauper: Gefangen in meinem Körper - und doch nicht allein
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