«Die grossen Auftritte brauche ich nicht»
Früher war er selbst ein starker Junioren- und Jugendläufer. Nach den ersten beiden Elitejahren stiess er aber körperlich an seine Grenzen. Was nun? Imhof setzte voll auf die Karte «Trainer».
Trainer an der Weltspitze
Mittlerweile ist Kilian Imhof 54-jährig, vierfacher Vater und Cheftrainer des Elite-Kaders des Schweizer OL-Verbandes. Als ausgebildeter Berufstrainer ist er persönlicher Betreuer der Weltmeister-Brüder Daniel und Martin Hubmann und zu 70 Prozent von Swiss Orienteering, dem Schweizer OL-Verband, angestellt. Er sagt von sich selbst: «Ich bin kein Hero! Ich bin ein zuversichtlicher, oft stiller Ermutiger im Hintergrund. Die grossen Auftritte brauche ich nicht!» Vieles geschieht im Verborgenen. Etwa einen Drittel seines Lebens verbringt er unterwegs in bis zu 14-tägigen Trainingslagern oder mit dem Begleiten von Wettkämpfen. Den grösseren Teil seiner Zeit ist er aber zu Hause, organisiert, plant, erledigt die Administration, kocht das Mittagessen als Hausmann und bereitet Geschäfte für den Kantonsrat vor. Wie blickt Kilian Imhof heute auf seine sportliche Laufbahn zurück? Was ist ihm wichtig im Leben? Christian Stricker traf den Hinterthurgauer zum Gespräch.
«Hope»: Kilian, als Trainer kann man kaum mehr erreichen als du, und doch wirkst du auf mich bescheiden. Inwiefern hast du «Demut» gelernt in Zusammenhang mit dem Abbruch der eigenen Karriere?
Kilian Imhof: Dieser Bruch war tatsächlich ein Schlüssel. Ich war sehr erfolgreich in meiner Juniorenzeit. Es gab Jahre, da habe ich fast alle Wettkämpfe gewonnen. Meine Vision war, Weltmeister zu werden. Doch dann machten meine Knie nicht mehr mit. Offensichtlich kam ich an Grenzen, und dann entdeckte ich, dass sich andere Türen öffnen ... Damals spielte meine Mutter eine grosse Rolle. Sie war eine bescheidene, demütige Frau und hat die Menschen so akzeptiert wie sie sind. Von ihr erfuhr ich sehr viel Liebe und Unterstützung. Sie setzte grosse Hoffnungen in mich, die sich teil-weise auch erfüllten. Und sie hatte grosses Vertrauen in mich.
Was sind heute die Schlüsselfaktoren?
Heute ist ebenfalls mein persönliches Umfeld ein wichtiger Aspekt für meine Ausgeglichenheit. Meine Frau unterstützt mich fast uneingeschränkt. Das gibt mir sehr viel Kraft für die diversen Tätigkeiten. Auch die Familie, die Freunde und Grossvater zu sein, geniesse ich sehr. Da sehe ich konkret, wie das Leben weitergeht. Durch die guten Engel in meiner Biografie habe ich zu einem Urvertrauen gefunden. Ich bin überzeugt, dass es da jemanden gibt, der uns behütet und unsere Tätigkeiten belohnt. Dieses Urvertrauen gründet im christlichen Glauben – 'dein Wille geschehe, nicht mein Wille'. Es gibt Leute, die denken: 'Wenn ich alles gebe, so kann ich alles selbst erreichen!' Ich glaube zwar auch, dass es meine Aufgabe ist, das Beste zu geben. Aber am Schluss zu entscheiden, wie etwas herauskommt, das liegt nicht in meiner Macht, auch nicht in der Kraft bestimmter Leute, sondern in der Hand eines Grösseren.
Inwiefern sind diese Erfahrungen eine Hilfe bei der Unterstützung der Athleten?
An der letzten WM waren wir in der Staffel auf Medaillenkurs. Aber dann machte der dritte Läufer dieser gemischten Viererstaffel einen zeitraubenden Fehler. Er war auch an den eigenen Erwartungen gescheitert. Denn an der vorhergehenden WM hatte er in dieser Staffel die Bronzemedaille gewonnen. Jetzt wollte er Gold. Wegen ihm erreichte das Team schlussendlich lediglich den vierten Platz. Es war wichtig, das ganze Team zu motivieren, sich für diesen vierten Läufer einzubringen. Wir mussten ihn trösten, aufbauen, stützen, motivieren. Es gehört zum Alltag, dass auch einmal ein Wettkampf misslingt. Wir waren zwar enttäuscht, konnten so aber den Wettkampf abhaken. Aus den darauffolgenden Einzelwettkämpfen resultierte dann ein Weltmeistertitel und eine beachtliche Teambilanz.
Da gehört offenbar viel Coaching im mentalen und psychischen Bereich dazu…
Auf jeden Fall. Und viel professionelle, harte Arbeit. Wir haben im Schweizer OL gute Strukturen aufgebaut und werden ausreichend unterstützt. Darum gehört die Schweiz seit der Jahrtausendwende zu den Top-Nationen der Welt. Das ist speziell. In den skandinavischen Ländern Schweden, Norwegen und Finnland ist der Orientierungslauf populärer und es gibt x-mal mehr Aktive. Möglichst professionelles Arbeiten mit viel Herzblut und Geduld ist entscheidend. Daniel Hubmann lernte ich zum Beispiel als Junior kennen. Wir waren im selben Klub, er wohnte im Nachbardorf, in Eschlikon. Ich erlebte mit, wie er auf der internationalen Ebene immer mehr Siege einstrich. Lange lief er im Schatten von Simone Niggli-Luder. Etwas vom Wichtigsten war jeweils, die Wettkämpfe sorgfältig auszuwerten und Konsequenzen daraus zu ziehen. Bis heute sind das für mich die wesentlichsten Besprechungen. Ich sprach Daniel damals aber auch zu: 'Hab Geduld!' Denn, wie gesagt: Es ist wichtig, sich auch über einen zweiten Platz freuen zu können. Ehrgeiz ist wichtig. Verbissenheit kommt nicht gut.
Und wie gehst du mit Athleten um, bei denen du erkennst, dass sie nie vorne an der Spitze mitmischen werden?
Ich bin jemand, der grosse Hoffnungen hat. Ich bin aber auch ein recht bodenständiger Realist. Es ist wichtig, der Wahrheit ins Auge zu schauen. Was liegt drin? Welches Potential habe ich? Wo sind meine Grenzen? Es gibt Athleten, die versuchen voll anzugreifen, merken dann aber, dass zu viele andere besser sind. Dann ziehen sie sich rechtzeitig aus dem Spitzensport zurück. Grundsätzlich ist es wichtig, ehrlich zu sein. Zudem sollte man seine eigene Person nicht zu wichtig nehmen. Wenn ich mit meinen Fähigkeiten in einer Sportart auf Weltklasseniveau arbeiten kann, ist es ein Privileg und ich bin dankbar dafür. Ich habe aber immer im Hinterkopf, dass mein Tun zwar für mich und mein Umfeld wichtig ist, für das Grosse und Ganze aber nur eine winzige Rolle spielt.
OL-WM 2023 in der Schweiz:
Im Sommer 2023 wird Graubünden zum Zentrum des internationalen Orientierungslauf-Sports: Vom 11. bis 16. Juli 2023 werden in Flims Laax die OL-Weltmeisterschaften durchgeführt. Zeitgleich und in der Folgewoche gehen mehrere tausend Breitensportlerinnen und Breitensportler an der internationalen Swiss Orienteering Week selbst auf Postenjagd.
«Ich freue mich auf die anspruchsvollen Laufgelände rund um Flims», sagte der achtfache Weltmeister Daniel Hubmann aus Eschlikon bei der Medienkonferenz ein Jahr vor der WM. Bei Beginn der Wettkämpfe wird der Thurgauer sein 40. Lebensjahr vollendet haben und zu seinen 18. OL-Weltmeisterschaften antreten.