«Gott hat uns Naima zweimal geschenkt»

Familie Vontobel
Andrea und Gian-Luca Vontobel aus Thun freuten sich auf die Ankunft ihres ersten Kindes. Doch nach der Geburt kamen schlimme Stunden – das Leben ihres Töchterchens hing an einem seidenen Faden. Sie konnten nur noch beten und auf ein Wunder hoffen.

«Nach neun Jahren hatte ich keine Lust mehr, die Schulbank zu drücken und nahm die erstbeste Lehrstelle an», erzählt GianLuca Vontobel. Der Sekundarschüler absolvierte die Ausbildung zum Logistiker bei der Post und arbeitete einige Jahre als PäckliBote. Rückblickend sagt er: «Ich genoss es, um 15 Uhr bereits Feierabend zu haben.»

«Auch wenn ich der Kirche damals den Rücken zugekehrt habe – meinen Glauben an Gott habe ich nie aufgegeben.»

Beim Fussball fiel der Groschen

Aufgewachsen ist Gian-Luca als drittes von fünf Kindern im Zürcher Oberland. Seine Familie gehörte einer Freikirche an, hier lernte er viel über Jesus. Doch die Kirche begann ihn zu langweilen, er besuchte immer weniger Gottesdienste. «Auch wenn ich der Kirche damals den Rücken zugekehrt habe – meinen Glauben an Gott habe ich nie aufgegeben», erklärt der sportliche 30-Jährige. Vor acht Jahren engagierte Gian-Luca sich als Helfer in einem Fussballcamp der christlichen Jugendorganisation Adonia. Dort sprach ihn einer der Leiter auf die Pläne für sein Leben an. Sein Bruder leite eine Institution für männliche Jugendliche im Sportbereich und bilde Sozialpädagogen aus, erklärte der Mann und fügte an: «Vielleicht wäre das etwas für dich!» Überrascht setzte sich der junge Pöstler mit dem Gedanken auseinander und beschloss nach einigem Hin und Her, dem Vorschlag zu folgen.

Richtungswechsel

2019 startete Gian-Luca ein Praktikum im Internat Grosshaus in Diemtigen. Dieses wird nach christlichen Prinzipien und Werten geführt. Das Credo: «Wir wollen grundsätzlich nichts ungefragt sagen, aber so leben, dass wir möglichst oft gefragt werden». Im Folgejahr begann Gian-Luca berufsbegleitend sein Sozialpädagogikstudium, das vier Jahre dauerte. Die ersten beiden Studienjahre lebte er mit zwei Arbeitskolleginnen in einer WG. Das blieb nicht ohne Folgen für die drei praktizierenden Christen. Bald begann es zu knistern.

Liebe auf den zweiten Blick

 Andrea, eine der Mitbewohnerinnen und eingefleischte Emmentalerin, hatte sich vorgenommen, nie einen Zürcher zu heiraten. Amor jedoch erreichte sein Ziel und GianLuca überzeugte seine «Flamme», dass der Mensch wichtiger ist als seine Herkunft. 2022 fand die Hochzeit statt. Gian-Lucas Vater traute das Paar in einer kleinen Kapelle, gefeiert wurde in einem Tipidorf im Berner Oberland.

Alles bestens, bis …

Ein Jahr später erwarteten Andrea und Gian-Luca Nachwuchs. Die 33-Jährige über ihre Schwangerschaft: «Es ging mir prima, mir war kaum übel.» Der Geburtstermin fiel auf den Geburtstag ihrer Schwägerin und Andrea hatte im Vorfeld leichte Blutungen. Ihre Ärztin gab Entwarnung und beruhigte, am Ende der Schwangerschaft könne das vorkommen. Fahrt und Feier mit der Familie im Zürcher Oberland stand nichts mehr im Wege. Dann verstärkten sich die Blutungen und Andrea wurde aus dem Feiern jäh herausgerissen. Gian-Luca brachte seine Frau ins Spital Wetzikon, wo kurz darauf die Fruchtblase platzte. Andreas Blutwerte waren nicht gut. Schnell war klar, dass die Geburt eingeleitet werden musste. Nach heftigen Wehen wurde die kleine Naima zwölf Stunden später geboren und der glücklichen Andrea auf den Bauch gelegt.

«Immer mehr Pflegepersonal kam gelaufen.»

Nichts geht mehr

 Gian-Luca war überwältigt und dankbar, teilte die frohe Nachricht den Familien mit. Er durfte sein Töchterchen halten, dann stillte Andrea ihr Kind zum ersten Mal. Doch als die Hebamme es abholte, hing das Mädchen plötzlich schlaff in ihrem Arm und die Haut des Babys wurde blau. Die Hebamme führte Naima Sauerstoff zu, zuerst mit dem Beutel, dann per Maske. «Immer mehr Pflegepersonal kam gelaufen. Ich stand im Raum, schaute zu und konnte nichts tun ausser zu beten, während Naima reanimiert wurde», erzählt der junge Vater von jenen bangen Momenten. Die jungen Eltern alarmierten Familien und Arbeitskollegen, im Wissen, dass alle den Himmel bestürmen würden.

Wird sie sterben?

Die Blutwerte der kleinen Naima waren besorgniserregend, es wurden Fachleute aus dem Universitätsspital Zürich um Hilfe gebeten. «Wir müssen ihr Kind auf die Neonatologie verlegen», erfuhren Andrea und Gian-Luca. Dort sollte Naima intensiv überwacht und untersucht werden, ob der Atemstillstand Schäden verursacht hatte. So wurde das Neugeborene mit der Ambulanz ins USZ transportiert, die Eltern blieben zurück. «Wir schütteten Gott unser Herz aus und legten Naima bewusst in seine Hand – das war ein entscheidender Moment», erinnert sich Gian-Luca. «Danach waren wir entspannter und vertrauten ganz auf unseren Schöpfer.»

Einfach vertrauen

Es war nicht sicher, ob Andrea als Wöchnerin ebenfalls ins Spital aufgenommen würde. Ihre Seele durchlebte eine Berg- und Talfahrt, während ein Schwager das Paar nach Zürich fuhr. Nach einer gefühlten Ewigkeit durften sie ihr Kind auf den Arm nehmen – mitsamt den Schläuchen und Kabeln, an denen es angeschlossen war. Man hatte inzwischen festgestellt, dass Naima durch den Atemstillstand ihren Saugreflex verloren hatte. Per Sonde wurde sie nun ernährt.

Ein Lied im Herzen

Zu ihrer grossen Erleichterung erhielt Andrea ein Bett in einem Zweierzimmer. «Die ganze Zeit über schwang und klang ein Lied in meinem Herzen», berichtet die junge Mutter. Der Titel «Gott isch mit üs» beginne mit den Worten «Da isch Hoffnig». In der Nacht hatte Andrea den Eindruck, sie solle der anderen Mutter davon erzählen. Diese hatte einen Jungen mit schweren Behinderungen geboren. «Etwas zögerlich erzählte ich ihr von meinem Lied», fährt Andrea fort. Mit Tränen in den Augen erwiderte ihr Gegenüber: «Dann glaubst du auch an Jesus! Das ist ein Lied meiner Lieblings-Band Eden Music!» Diese gegenseitige Ermutigung, Kraft des Glaubens und der Musik berührte beide Mütter gleichermassen. Andrea weiss nun: «Es ist gut, auf solche inneren Impulse zu hören – es kann Gott sein, der auf diese Weise zu uns spricht.

Unerwartete Fortschritte

Trotz aller Turbulenzen erholte sich Naima rasch von den Strapazen. Schliesslich trank sie Muttermilch aus dem Schoppen, später gelang auch das Stillen. Die Blutwerte normalisierten sich, und die drei durften in ein Familienzimmer umziehen. Hier wickelten die Eltern ihr Kind zum ersten Mal. Nach nur drei Tagen wurde das Trio entlassen und das Familienleben zu Hause begann. «Naima ist ein riesiges Geschenk für uns. Ihre Namen Naima, ‹die Liebliche›, und Zoe, ‹das Leben›, haben sich bestätigt», resümiert Andrea. Bald feiert ihr Töchterchen den ersten Geburtstag. Naima ist ein fröhliches Kind, kann sitzen und krabbeln. «Das Ganze hat uns als Ehepaar zusammengeschweisst, unsere Ehe hat an Tiefe gewonnen», bekräftigt Andrea dankbar. Sie blickt ihrem Liebsten in die Augen – und beide sind sich einig: «Gott hat uns Naima zweimal geschenkt.»

Autor: Mirjam Fisch
Quelle: Hope Schweiz