«Versteckt eure Kinder nicht!»

Familie Napoletana
Die meisten Kinder mit DownSyndrom werden aus Unwissen abgetrieben. Informationen und Gespräche können dies verhindern. Das hat Familie Napoletano aus Rüdlingen SH selbst erlebt, als ihr zweiter Sohn Nilo mit Trisomie 21 zur Welt kam.

Nach ihrem ersten Kind Jaro hofften Katrin und Daniel mittels einer Hormontherapie auf eine erneute Schwangerschaft, jedoch ohne Erfolg. Während einer Therapiepause wurde Katrin auf natürliche Weise schwanger. Sie erwarteten ihr zweites Kind Nilo

Diagnose Down-Syndrom

Im dritten Schwangerschaftsmonat wurde ein Nackenfaltentest durchgeführt. Das Ergebnis besagte, dass diese verdickt sei und dass Verdacht auf Trisomie 21 bestehe. «Das war bei Jaro auch schon der Fall, und er kam dann gesund zur Welt. Aus diesem Grund haben wir uns nicht weiter damit auseinandergesetzt», erzählt Katrin. Im sechsten Monat sah die Frauenärztin, dass Nilo Klumpfüsschen hat, und verwies sie  an einen Spezialisten. Dieser habe nach einem Ultraschall ein Anzeichen nach dem anderen für Trisomie 21 aufgezählt und jedes Mal gesagt: «und das hat er auch …» «Der erste Moment nach der Diagnose war ein Schock», sagt Daniel. Die Frauenärztin sorgte dafür, dass das Paar mit vielen Informationen zu Trisomie 21 versorgt wurde und gute Unterstützung erhielt. «Wir konnten uns mit einer erfahrenen Familie treffen und mit einer anderen telefonieren. Das hat uns sehr geholfen und gezeigt, dass ein Kind mit Down-Syndrom nicht weniger wert ist.»

Positive Reaktionen

Die weitere Schwangerschaft verlief ruhig. Um möglichen Komplikationen auszuweichen, kam Nilo per Kaiserschnitt einen Monat zu früh zur Welt. «Wir waren froh, dass es ihm gutging. Die Diagnose war in diesem Moment völlig irrelevant», blickt Katrin zurück.

«Wir waren froh, dass es ihm gutging. Die Diagnose war in diesem Moment völlig irrelevant.»

Das Umfeld und die Familie von Napoletanos reagierten fast ausschliesslich positiv auf die Diagnose und auch auf Nilo.

Leukämie!

Im Alter von eineinhalb Jahren erkrankte Nilo an Leukämie; bei Kindern mit Down-Syndrom ist dies keine Seltenheit. Im Vergleich zu Kindern ohne Extrachromosom reagieren Kinder mit Trisomie 21, je nach Form der Leukämie, besser auf die Therapien und Behandlungen. So auch Nilo. Während der Behandlungszeit, die gesamthaft vier Monate dauerte, musste Nilo für sechs Wochen im Krankenhaus bleiben. In dieser Zeit erhielt die Familie grosszügige Unterstützung von Freunden, Familie und auch von Menschen, die sie nicht so gut kannten. «Wir wussten, dass wir jederzeit Hilfe erhalten würden, wenn wir sie bräuchten.» Schon in der Zeit, als Katrin nach etlichen Therapien auf natürliche Weise schwanger wurde, dachte sie darüber nach, ob es eine höhere Macht gebe. Allein der Gedanke daran schenkte ihr Kraft und Zuversicht, als schlussendlich die Diagnose feststand.

Tagesablauf mit vielen Therapien

Heute ist Nilo fünf Jahre alt und besucht den Regelkindergarten im Dorf; eine Sonderschule stand nie zur Debatte. Da Rüdlingen ein kleines Dorf ist, wussten die anderen Kinder bereits, dass Nilo in ihre Klasse kommen würde. Auch die Eltern kannten einander und lernten, wie ihre Kinder auf die Situation vorbereitet werden können. Die Heilpädagogin des Kindergartens setzte sich bereits zwei Jahre vor Nilos Eintritt damit auseinander. Sie besuchte entsprechende Weiterbildungen, so dass Nilo heute die Unterstützung erhält, die er braucht. Auch wenn der Junge zu Hause oft allein spielt, wird im Kindergarten gut darauf geachtet, dass er in der Gruppe integriert wird und mit den anderen mitspielen kann. Seine Mitschüler freuen sich jedes Mal, wenn er kommt, und winken ihm bereits von Weitem zu. Aufgrund der Diagnose Trisomie 21 braucht Nilo verschiedene Therapien. Einerseits besucht er die Hippotherapie (Physiotherapie auf dem Pferd) und die reguläre Physiotherapie. Um seine Feinmotorik und seine sprachlichen Fähigkeiten zu fördern, muss er regelmässig zur Psychomotoriktherapie und in die Logopädie. Auch lernt Nilo schwimmen, weil Rüdlingen nahe am Rheinufer gelegen ist.

«Nilo geht gern auf neue Menschen zu und motiviert dadurch Jaro, das Gleiche zu tun.»

Die Brüder profitieren voneinander

Jaro, der ältere Bruder von Nilo, freut sich sehr an ihm, beobachten die Eltern. Die beiden spielen aufgrund des Entwicklungsunterschieds nicht viel zusammen, aber sie «kämpfen» gern zusammen oder spielen mit einem Ball. Jaro kann viel von Nilo profitieren und umgekehrt. «Beispielsweise geht Nilo gern auf neue Menschen zu und motiviert dadurch Jaro, das Gleiche zu tun. Zugleich kann Nilo sehr stur sein, das heisst: Wenn er etwas nicht machen möchte, dann macht er es auch nicht.»

Informationen können Leben retten

Durch einen Zeitungsartikel wurden Daniel und Katrin auf den Verein hope21 aufmerksam. Der Verein fördert die Vernetzung zwischen neuen und erfahrenen Eltern von Kindern mit Trisomie 21. «Wir finden es sehr wichtig, dass Familien die nötigen Informationen und Kontakte erhalten, wenn sie in der Schwangerschaft die Diagnose Down-Syndrom erhalten und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen.» Familie Napoletano nimmt an, dass die meisten Kinder mit Down-Syndrom aus Unwissen oder aus Angst abgetrieben werden. «Uns hat es sehr geholfen, dass wir mit erfahrenen Eltern austauschen konnten und Einblick in ihre Familien erhielten.» Sie raten anderen betroffenen Eltern: «Geht offen mit der Diagnose um und versteckt eure Kinder nicht.»

hope21 vernetzt Eltern von Kinder die von Trisonomie 21 betroffen sind

Über hope21

Der Verein hope21 ist überparteilich und konfessionell neutral. Er vernetzt Eltern, welche die Diagnose Trisomie 21 für ihr Kind erhalten haben, mit Familien, die bereits mit einem Kind mit Extrachromosom leben. Sie kommen aus allen Regionen der Schweiz, bieten Einblick in ihren Alltag und stehen bei Fragen, Sorgen und Ängsten unterstützend zur Seite. Über die Website können interessierte Familien Kontakt mit einer HopeFamile aufnehmen. hope21 koordiniert die Vernetzung und begleitet die Familien im Hintergrund.

Des Weiteren steht hope21 medizinischen Fachpersonen rund um das Thema Diagnoseübermittlung zur Seite. Als sehr hilfreich erwiesen hat sich die Broschüre «Diagnoseübermittlung – die richtigen Worte finden». Sie kann über die Website heruntergeladen oder auch kostenlos bestellt werden.

Autor: Lydia Germann
Quelle: Hope Regiozeitungen