«Gott hat keinen Plan für dein Leben»
Manuel Schmid wuchs in einem christlich geprägten Elternhaus auf. 15 Jahre lang arbeitete der promovierte Theologe als Gemeindeleiter der Freikirche ICF in Basel. Vor drei Jahren hat er das RefLab mitentwickelt, ein online-Kommunikations-Projekt der Reformierten Kirche Kanton Zürich. Durch Podcasts, Blogs und Videos kommt Schmid über Fragen des Glaubens, Ethik, Religion und Gesellschaft mit der Community ins Gespräch. «Die ungeheure Vielfalt an Möglichkeiten
ist ein herausragendes Merkmal unserer Gesellschaft. Theoretisch kann jeder seinen Wohnort, Beruf, Zivilstand oder Glauben frei wählen», stellt der Theologe und Autor klar. Das sei nicht immer so gewesen. Lange Zeit habe der Sohn den Beruf des Vaters ergriffen, seien Ehen gestiftet worden und das Reisen kaum möglich gewesen. «Viele Menschen sind mit den zahlreichen Optionen, die uns heute zur Verfügung stehen, überfordert», hält Schmid fest. Da bot die vielversprechende Aussage aus seinem christlichen Umfeld einen gewissen Halt: «Gott hat einen Plan für dein Leben!»
Unfall mit Folgen
Als Manuel elf Jahre alt war, überlebte er mit seiner Familie einen dramatischen Unfall. Sie stürzten mit dem Auto über einen Abgrund 100 Meter in die Tiefe. Sein Bruder erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, von dem er sich bis heute nicht vollständig erholt hat. Manuels Bein wurde so stark zertrümmert, dass eine Amputation unumgänglich schien. 25 Operationen waren nötig, um es wiederherzurichten. Bisher hatte er darauf vertraut, dass Gott ihn beschützt. Nun erkannte Manuel, dass sich innert Sekunden das ganze Leben verändern kann. «Gibt es etwas, worauf ich zählen kann, wenn ich keine Garantie habe für mein Leben?», habe er sich damals gefragt.
Grundlegende Fragen
Als Teenager besuchte Manuel die Jugendgruppe einer Freikirche. Regelmässig diskutierten sie die Frage: «Welchen Plan hat Gott für mein Leben?» Die jungen Leute wollten Gottes Sicht für ihr Leben ernst nehmen und umsetzen. Doch wie lässt sich diese erkennen? Welches ist in Gottes Augen die richtige Ausbildung, der richtige Ort zum Leben, der richtige Mensch an unserer Seite? Diese Suche setzte so manche/n unter Druck. Heute ist Manuel überzeugt, dass mit Gott 1000 Möglichkeiten offenstehen, aus denen wir wählen können. «Gott ist bereit, dich auf den verschiedensten Wegen zu begleiten und ans Ziel zu führen», sagt er.
Kompromissbereit
Beziehung basiere auf Gegenseitigkeit, man habe sein Gegenüber nie im Griff, fährt Schmid fort. Dies gelte für Menschen untereinander und für die Freundschaft mit Gott. Manuel zeigt sich beeindruckt davon, dass der Schöpfer des Universums mit sich reden lasse, sagt: «Gott lässt sich auf ein Abenteuer mit uns ein.» Er unterstreicht dies mit einem Beispiel aus biblischen Zeiten (nachzulesen im ersten Buch Samuel, Kapitel 8 bis 12): «Als das israelitische Volk sich nicht von Gott führen lassen wollte, sondern einen König forderte, warnte Gott davor. Doch das blieb stur – und Gott liess Saul als König einsetzen. Der versagte in seinem Amt. Daraufhin strickte Gott einen neuen Plan ...» Schmid nennt eine weitere Begebenheit aus der Bibel, zu finden im Buch Jona: «Als Gott androhte,
die Stadt Ninive wegen der Boshaftigkeit ihrer Bevölkerung zu vernichten, hatten die Menschen Einsicht, änderten ihr Leben und baten Gott, sie zu verschonen. Gott bereute sein Vorhaben und liess sie am Leben.» Der Theologe resümiert: «Gott ist nicht der grosse Souffleur im Theater dieser Welt, der uns jederzeit seinen Plan ins Ohr flüstert!»
Allwissend?
Manuel Schmid stellt auch folgende These in Frage: «Gott kennt jedes Detail der Zukunft.» Schmid ist der Meinung, dass Gott alles wisse, was es zu wissen gebe, er präzisiert: «Ich verstehe darunter, dass Gott die Zukunft als Feld mit offenen Möglichkeiten vor sich sieht; wie einen Baum mit Ästen, Zweigen und all den winzigen Verästelungen.» Davon kenne Gott jede einzelne Variante. «Aber Gott weiss noch nicht, was in der Zukunft tatsächlich realisiert werden wird», glaubt Schmid. Gott kenne und liebe die Menschen und begleite sie in die Zukunft. Deren Verlauf sei nicht vorgegeben, sondern ein offener Raum.»
Allmächtig?
Und wie steht es mit der Allmacht Gottes? «Gott ist allmächtig», bekräftigt Manuel Schmid. Dies bedeute für den Theologen nicht, dass Gott alles im Griff habe, das wäre ein Ausdruck totaler Kontrolle. Zudem lasse sich der Begriff «Allmacht» unterschiedlich auslegen. Schmid versteht und erkennt Gottes Allmacht in der Person von Jesus Christus, Gottes Macht zeige sich in seinem Sohn als bedingungslose Liebe: «In Jesus bekommt Gott ein Gesicht. Jesus überlässt seinen Nachfolgern die Entscheidung, ob sie ihm folgen oder ihn verlassen wollen», erläutert Schmid und stellt klar: «Die Liebe von Jesus fasziniert viele Menschen, so stark, dass sie ihm bis in den Tod folgen. Bei der Auferstehung zeigt sich, dass die Macht der Liebe das letzte Wort hat.»
Nie allein
«Ich möchte Menschen ermutigen, sich auf das Abenteuer einer Beziehung mit Gott einzulassen – ohne Garantie, dass alles nach Wunsch verlaufen wird», betont Schmid. Einzelne evangelikale Kreise würden dazu neigen, Zusatzversprechen zu machen: Die Beziehung zu Jesus beinhalte inneren Frieden, beruflichen Erfolg, Gesundheit, die Begegnung mit dem Partner fürs Leben, ein glückliches Familienleben ... «Die Realität hält diesen Prognosen nicht stand», korrigiert Schmid. «Doch der Glaube verspricht etwas Substanzielles: Da ist jemand, der uns in diesem Leben und darüber hinaus nicht verlässt!» Der Apostel Paulus zähle in seinen Briefen Angst, Hunger, Verfolgung und den Tod auf – alles könne auch ernsthaft gläubigen Menschen widerfahren. Doch Paulus betone auch: «Nichts davon kann uns trennen von der Liebe Gottes!»
In Gottes Liebe geborgen
Schwere Lebensumstände können Menschen näher zu Gott bringen oder sie zerbrechen lassen, weiss Schmid. Er plädiert dafür, mit denen, die ihr Leben nicht
mehr aus eigener Kraft stemmen können, barmherzig umzugehen. Niemand wisse im Voraus, wie er oder sie sich in herausfordernden Situationen verhalten würde. «Meine Hoffnung und Zuversicht ist, dass leidgeprüfte Menschen in Gottes Hand und Liebe geborgen sind», sagt der engagierte Theologe. «Gott kann und wird die Geschichte unseres Lebens und dieser Welt zu einem guten Ende führen», fasst er die letzten Kapitel der Bibel zusammen. «Gott wird alle Tränen abwischen. In dieser Gewissheit können wir uns auf das Abenteuer mit Gott einlassen.»
Zur Person
Einer meiner Lieblingsplätze in Schaffhausen:
Da habe ich mehrere: der Rosengarten beim Munot, der Buchtaler Wald und das Restaurant Falken – weniger des Ambiente als vielmehr meiner Erinnerungen wegen.
Meine Lieblingsbeschäftigung an verregneten (Sonntag-)nachmittagen:
Theologische Bücher lesen. Dazu komme ich mit der Familie an Wochenenden aber praktisch nie.
Meine Lieblingsmusik:
Synthwave
Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
Spotify
Buchtipp
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