«Plötzlich war da ein Licht…»

Rolf Bellwald, 51 Jahre alt, wohnt in Bethlehem bei Bern
Er lag eineinhalb Monate im Koma, erlitt mehrere Darminfarkte und Blutvergiftungen. Es roch nach Tod. Rolf Bellwald, Pflegefachmann aus Bern, bekam sein Leben zurück und ist heute dankbar für die schlimme Zeit.

«Auch nach Feierabend konnte ich meine Füsse nie stillhalten», berichtet Rolf Bellwald aus seinem früheren Leben. Bei dem zweifachen Familienvater musste immer etwas laufen. «Ich war ein gnadenloser Perfektionist mit starkem Geltungsdrang. Stets suchte ich mir selbst etwas zu beweisen.» Am 29. August 2021, ausgerechnet an Rolfs 50. Geburtstag, wird sein Leben radikal auf den Kopf gestellt. Er bekommt Fieber und wird positiv auf Covid getestet.

«Irgendwann waren die Ressourcen aufgebraucht und die Sauerstoffsättigung begann sich zu erschöpfen…»

Grosse Qualen

Tagelang bleibt das Fieber, dazu kommen andere schwerwiegende Symptome. «Irgendwann schickte mich meine Frau ins Spital», sagt Rolf. Er, der selbst als Pflegefachmann arbeitet, begibt sich unfreiwillig auf eine Odyssee – von einem Spital zum nächsten. Im Inselspital Bern zeigt sich, dass seine Lungenleistung aufgrund der Covid-Infektion stark eingeschränkt ist. Rolf erinnert sich: «Ich erhielt jede Menge Sauerstoff und Inhalationen. Irgendwann waren die Ressourcen aufgebraucht und die Sauerstoffsättigung begann sich zu erschöpfen…» Mehrmals steht das Notfallteam an seinem Bett. Rolf erzählt. «Die Qualen wurden grösser und ich bat, mich davon zu befreien.» Schliesslich wird er intubiert und ins künstliche Koma versetzt.

Mehrfach am Tod vorbei

Während er im Koma liegt, erleidet Rolf durch den Virus mehrere Darminfarkte. Er erklärt: «Aufgrund der Durchblutungsstörungen verlor ich fast die Hälfte meines Dünndarms und auch Teile des Dickdarms mussten entfernt werden.» Der geplatzte Darm führt dazu, dass Inhalte in den Bauchraum
gelangen, was eine Blutvergiftung zur Folge hat. Rolf weiss: «Mein Leben hing an einem seidenen Faden.» Die Ärzte informieren seine Frau, dass die Überlebenschancen ihres Mannes sinken würden, sollten sie gezwungen sein, weitere Partien seines Darms zu entfernen.

Von alledem bekommt Rolf nichts mit. Während er bewusstlos ist, werden mehrere Eingriffe in seinem Bauchraum durchgeführt. Dann stabilisiert er sich. «Plötzlich war da ein Licht», erinnert sich Rolf an den Moment, als man ihm mit einer Lampe in die Augen leuchtete. «Haben Sie Schmerzen?» habe eine weibliche Stimme gefragt. «Ich war paralysiert, konnte mich nicht bewegen und wusste nicht, wo ich war. Ich wähnte, mich als Versuchskaninchen in einem Labor. Das war höchst unangenehm», erzählt der zweifache Familienvater.

«Ich wähnte, mich als Versuchskaninchen in einem Labor. Das war höchst unangenehm»

Positive Einstellung

Nach sechs Wochen im Koma wird Rolf in ein anderes Krankenhaus verlegt. Dort befindet er sich zwar weiterhin auf der Intensivstation, doch es geht aufwärts. «Langsam realisierte ich, wie schlimm es um mich stand. Ich konnte nicht sprechen, mein Bewegungsradius war bescheiden und ich musste künstlich ernährt werden.» Rolf ist abhängig von einer Magensonde, benötigt Infusionen und eine Kanüle am Hals sichert seine Atmung. So desolat sein Zustand auch ist, die Moral hat er nicht verloren. «Regelmässig kamen Pastoren aus meiner Gemeinde vorbei und beteten für mich, das hat mich sehr gefreut. Ich empfand einen tiefen Frieden und war voller Hoffnung», erzählt Rolf. Diese positive Grundhaltung behält er bei – auch als es erneut zu einer Blutvergiftung kommt. «Darüber hinaus traten bedingt durch das lange Liegen unerträgliche unerträgliche Rückenschmerzen auf. Aber ich wusste, dass Gott sich um mich sorgt und mich weiterhin am Leben halten würde.»

Licht am Horizont

Vermehrt wird nun von Rehabilitation gesprochen und Rolfs Kräfte kehren langsam zurück. «Es war ein Highlight, als ich die ersten Schritte aus eigener Kraft zurücklegen konnte», erinnert er sich. Einmal schrieb er seinen Angehörigen: «Super! Ich habe sechs Meter geschafft!» Mitte November 2021 wird Rolf in die Rehaklinik nach Montana verlegt. «Dort hatte ich zweimal am Tag Physiotherapie, was sehr kraftraubend war», sagt Rolf. Sein sehnlichster Wunsch: Weihnachten mit seiner Familie zu verbringen. Man macht ihm keine grossen Hoffnungen. Doch sein Wunsch wird wahr, auch wenn Rolf noch einen langen Weg vor sich haben wird. Zahlreiche Arztbesuche und weitere Spitalaufenthalte stehen ihm bevor.

«Diese schmerzhafte Zeit wurde mir zu einem grossen Gewinn!»

Irgendwann kann der künstliche Darmausgang zurückverlegt werden. «Bis zum heutigen Tag laufen Untersuchungen. Grundsätzlich befinde ich mich auf dem Weg der Besserung», sagt Rolf. Verdauungsprobleme und Nahrungsmittelunverträglichkeiten begleiten ihn und manchmal auch Schmerzen. «Verglichen mit dem, was ich durchgemacht habe, ist all dies vernachlässigbar», sagt er.

Kursänderung

Rolf hat eine neue Sicht auf sich selbst und das Leben gewonnen: «Das Ganze war eine Chance für eine Neuorientierung. Ich habe die Kursrichtung geändert. Eine Zeitlang sprach ich von einer Leidenszeit. Heute nenne ich sie eine Zeit der Gnade.» Der Vater von zwei kleinen Kindern (4 und 6-jährig) ist dankbar von seinem Leistungsdruck befreit zu sein. Noch immer ist er 100 Prozent arbeitsunfähig, sagt: «Während der letzten acht Monate
hatte ich mehr Zeit für meine Familie, als ich mir jemals hätte vorstellen können.» Von einem rastlosen Lebensstil fand Rolf zu neuer Gelassenheit und Erfüllung. Auch seine Freundschaft mit Gott wurde tiefer: «Nie habe ich Gott so intensiv erfahren, wie während der Hospitalisation. Meine Covid-Erkrankung hat mir zu innerer Ruhe verholfen. Diese schmerzhafte Zeit wurde mir zu einem grossen Gewinn!»

Sehen Sie sich einen Talk mit Rolf Bellwald zum Thema an:
 

Zur Person:

Was bringt Sie zum Lachen?
Meine Kinder mit ihrer unschuldigen, unverbrauchten Art, Kilian Ziegler und Ursus und Nadeschkin.

Worüber denken Sie oft nach?
Darüber, wie meine Kinder wohl in zehn Jahren aussehen werden.

Was möchten Sie gern erleben?
Ich träume davon, einen kuscheligen Koala-Bären im Arm zu halten.

Wann geraten Sie in einen Flow?
Bei einem Wimbledon-Finale der Männer, egal wer genau spielt.

Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: HOPE-Regiozeitungen