Engel – die unbestellten Besucher
Auch wenn viele Menschen mit Gott so ihre Schwierigkeiten haben, an Engel glauben in Deutschland immerhin gut 60 Prozent. Doch an welche Engel? An halb durchsichtige Geistwesen? An den klassischen Schutzengel, der einen aus Schwierigkeiten rettet? Oder an süsse und harmlose Kindchen mit Flügeln wie die bekannten Putten des Malers Raphael?
All diese Vorstellungen haben wenig mit dem zu tun, was uns die Bibel vorstellt. Sie zeigt uns flügellose Wesen, die auftreten wie Menschen und sich mit Gottes Botschaften an sie wenden («angelus» bedeutet übrigens Bote). Dabei verkünden sie sowohl völlig Unerwartetes als auch lang Ersehntes.
Engel kommen unerwartet
Bei Hollywoodfilmen wird das Licht plötzlich strahlender und im Hintergrund setzen die Geigen ein, wenn Engel auftauchen. Das war bei Abraham anders. Seit Jahrzehnten war er mit Gott unterwegs und noch nicht eins von dessen Versprechen war eingetroffen: Er besass keinen Strich Land und er hatte keinen Nachkommen. Da kamen drei Männer an seiner Zeltstadt vorbei (1. Mose, Kapitel 18). Sie trugen weder weisse Gewänder noch sah man Flügel – trotzdem wusste Abraham, dass es besondere Personen waren.
Sie erneuerten das Versprechen Gottes, dass Abraham seinen Nachkommen erhalten würde – darauf hoffte Abraham schon lange. Ausserdem erzählten sie ihm, dass Sodom zerstört werden sollte – das war in der Tat eine unerwartete Botschaft. Weil Abraham für die Stadt bat, gingen zwei von ihnen dorthin, um Lot und seine Familie herauszuholen (1. Mose, Kapitel 19), doch vorher wurden sie von den Einwohnern bedroht – das hätten diese sicher nicht getan, wenn dort erkennbar Himmelskrieger gestanden hätten.
Dieses Muster zieht sich durch die ganze Bibel: Engel kommen nie auf Bestellung. Sie erscheinen, wenn Gott etwas Besonderes und oft Unerwartetes kommunizieren möchte, und dabei kommen sie in der Regel zu Fuss durch die Tür.
Engel haben herausfordernde Botschaften
In den biblischen Engelerzählungen stehen diese nicht lächelnd am Bett und passen auf, dass wir gut schlafen können. Im Gegenteil: Meist rufen sie zu konkreten und herausfordernden Taten auf. Ein Engel überraschte Gideon, der sein Getreide heimlich in der Weinkelter drosch, und gab ihm den Auftrag, gegen übermächtige Feinde anzutreten (Richter, Kapitel 6, Vers 12-14). Natürlich war Gideon sofort begeistert… Nein, das war er nicht. Er suchte tausend Ausflüchte und liess sich nur sehr zögernd auf die Herausforderung ein. Das Ergebnis war ein ungleicher Kampf, den Israel überraschenderweise trotzdem gewann.
Ähnlich herausfordernd war die Engelbotschaften an Hagar, in Abhängigkeit und Sklaverei zurückzukehren (1. Mose, Kapitel 16, Vers 9). Völlig unwahrscheinlich war es, als ein Engel dem alten Zacharias verkündete, dass er noch einen Sohn bekommen sollte (Lukas, Kapitel 1, Vers 5-20). Zacharias glaubte es auch nicht und wurde deswegen eine Zeitlang «stummgestellt», bis Johannes der Täufer zur Welt kam.
Immer wieder greifen Engel auf diese Weise in Menschenleben und Geschichte ein. Sie stehen nicht so wie in vielen Gemälden flügeltragend und seltsam unbeteiligt daneben, sondern sie sind mitten im Geschehen: Sie handeln selbst und fordern auch fast immer dazu auf.
Engel fliegen nicht
Irgendwann muss sich der Gedanke entwickelt haben, dass Boten, die zwischen Himmel und Erde unterwegs sind, dafür Flügel brauchen. Damit wurde das Klischee des geflügelten Engels geboren. (Ausnahme sind die Thronengel Gottes, die Cherubim, die als Mischwesen zwischen Mensch und Löwe tatsächlich mit sechs Flügeln beschrieben werden – auch sehr anders als das normale Engelsbild – vgl. Hesekiel, Kapitel 41, Vers 18) Die meisten biblischen Engel sind jedoch zu Fuss unterwegs, immer wieder «treten sie» zu der Person, die sie gerade besuchen. Natürlich sind es keine einfachen Menschen, aber hier erscheinen sie so. Damit sind sie so etwas wie «Gottes Geheimagenten» (Ein Buch von Billy Graham trägt diesen Titel). Sie reisen inkognito, sie haben Vollmacht, sie bringen Gottes Botschaft zu seinen Leuten und dann ziehen sie sich wieder zurück.
Wenn's darauf ankommt, sind Engel da
Bei einem Blick in die Bibel stellt man fest, dass darin nicht durchgängig von Engeln die Rede ist. Sie erscheinen eher an den Weichenstellungen der Geschichte. Deshalb ist rund um die Geburt von Jesus auch besonders viel von ihnen zu hören. Scheinbar sind sie immer in irgendeiner Form gegenwärtig, sichtbar werden sie aber, wenn es darauf ankommt. Und hier wurden sie sehr aktiv und lenkten im Auftrag Gottes die Geschichte: Einer stand plötzlich vor Maria und kündigte ihr die besondere Geburt von Jesus an, einer erschien Josef im Traum und ganz viele kamen zu den Hirten und zeigten ihnen – stellvertretend für alle Menschen, inklusive derer am Rande der Gesellschaft – den Weg zum neugeborenen Retter. Wenn es darauf ankommt, sind sie da!
Spannend ist übrigens, sich die weihnachtliche Hirtenszene (Lukas, Kapitel 2, Vers 8-14) einmal im Licht des oben Gesagten vorzustellen: Während die Hirten an ihrem Lagerfeuer sassen, lief plötzlich ein Fremder auf sie zu, bei dem sie etwas Besonderes bemerkten (die Bibel spricht von Gottes Herrlichkeit). Er verkündete ihnen Frieden und lud sie nach Bethlehem ein. Auf einmal war er jedoch nicht mehr allein: Über den Hügel kamen zahlreiche Kollegen von ihm angelaufen, standen dort zusammen und lobten Gott. Und dann gingen sie wieder. Aber sie werden wiederkommen, wenn's darauf ankommt.
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