Daniel in der Löwengrube

Daniel in der Löwengrube
Es gibt Geschichten, die in keiner Kinderbibel fehlen. Anschaulich und bildgewaltig sprechen sie von Gottes Handeln. Eigentlich sind es keine Kindergeschichten, gleichzeitig gibt es gute Gründe, dass sie schon so lange erzählt werden.

Daniel ist ein freundlicher Junge. Er tut, was Gott gefällt: Er gehorcht seinen Eltern, hilft der alten Oma über die Strasse und bringt sogar freiwillig den Müll runter. Weil er Gott so liebhat, liest er auch jeden Tag in der Bibel und dreimal täglich – morgens, mittags und abends – betet er. Dafür geht er gern in sein Zimmer und schaut aus dem Fenster, das in Richtung Jerusalem zeigt. Dort kommt Daniel nämlich eigentlich her. Und dort will er auch irgendwann wieder hin. Immer wieder kann Daniel sogar dem König helfen, das freut diesen sehr. Aber seine anderen Diener werden deshalb neidisch auf ihn.

Sie beraten sich. «Wir müssen etwas gegen Daniel unternehmen.» – «Aber was? Er tut doch nichts Verkehrtes.» – «Dann stellen wir ihm eben eine Falle…» So gehen die drei eines Morgens zum König und tun ganz besonders freundlich. Sie loben ihn und machen ihm einen Vorschlag: «Lieber König, du bist so gross und so gut zu uns allen. Wie wäre es, wenn das ganze Volk einen Monat lang nur zu dir beten darf und nicht zu anderen Göttern.» Das gefällt dem König gut. «Und wer es nicht tut, soll bestraft werden.» Das gefällt ihm noch viel besser. «Du könntest ihn zum Beispiel zu den Löwen werfen.» Das gefällt dem König am allerbesten. Die bösen Diener ziehen das fertige Gesetz aus der Tasche, er setzt seinen Stempel darauf und damit ist es gültig.

Als Daniel am gleichen Mittag wieder zum Beten in sein Zimmer geht, liegen die Bösewichte schon auf der Lauer. Und als er sich ans offene Fenster kniet, stürmen sie in den Raum: «Erwischt! Du hast gebetet. Jetzt musst du zu den Löwen.» Der König bekommt einen grossen Schreck, als die drei Daniel zu ihm bringen. Er merkt, dass sie ihn reingelegt haben, aber er muss sich an sein eigenes Gesetz halten. So wird Daniel zu den Löwen geworfen und die Tür fest hinter ihm verschlossen. Der König kann in dieser Nacht nicht schlafen. Er hat ein schlechtes Gewissen. Früh am Morgen rennt er als Erstes zu den Löwen, öffnet die Tür und ruft: «Bist du da, Daniel? Geht es dir gut?» Daniel sitzt gemütlich in der Ecke und kuschelt mit den Löwen. Er streichelt sie und sie lecken seine Hände. «Mir ist nichts passiert», sagt er dem König. «Ein Engel hat den Löwen das Maul zugehalten. Schau selbst, sie sind ganz zahm.» Da holt der König ihn schnell heraus. Jetzt weiss er, dass Daniels Gott der richtige Gott ist und singt ein Loblied für ihn. (Hier steht die ganze Geschichte.)

Okay, das ist etwas übertrieben erzählt, aber so ähnlich steht die Geschichte in praktisch jeder Kinderbibel. In den Gottesdiensten für die «Grossen» kommt sie dagegen kaum vor. Da klingt sie entweder zu märchenhaft oder mit dem biblischen Ende zu brutal: «Da befahl der König, jene Männer herbeizuholen, die Daniel verleumdet hatten. Und man warf sie in die Löwengrube, sie, ihre Kinder und Frauen; und ehe sie noch den Boden der Grube berührten, waren die Löwen schon über sie hergefallen und zermalmten ihnen alle Gebeine» (Daniel, Kapitel 6, Vers 25). Tatsächlich lohnt es sich, die Geschichte von Daniel in der Löwengrube einmal genauer anzuschauen, denn sie ist es wert. Es gibt gute Gründe, dass sie bis heute immer wieder erzählt wird.

Ein kurzer Blick in die Geschichte

Die Bewohner von Juda wurden 597 vor Christus von den Babyloniern entführt. Bereits acht Jahre früher hatten sie etliche junge Männer der Führungsschicht mitgenommen – unter ihnen Daniel. 66 Jahre später, 539 vor Christus, unter König Kyrus durften sie wieder heimkehren – da lebte Daniel noch. Er wurde also für damalige Verhältnisse ziemlich alt, mindestens 80 Jahre.

Im Danielbuch werden etliche Könige der Babylonier namentlich erwähnt und auch spätere politische Entwicklungen detailliert beschrieben. Das ist recht spannend und gleichzeitig eine der Schwierigkeiten im Buch:

  • Besonders umstritten sind die detaillierten Prophezeiungen in den Kapiteln 7-12. Woher konnte Daniel das alles wissen? Aber darum geht es hier nicht.
     
  • Als problematisch galt lange, dass wichtige Könige im Buch Daniel in der Geschichtsschreibung unbekannt waren. Nach dem bekannten Nebukadnezar folgte Nabonid – und nicht wie in der Bibel berichtet Belsazar. Doch die Archäologie konnte diese Frage klären und eine Auslegungsfrage gleich mit.
    Denn Nabonid hatte sich in Tayma eine eigene Residenz aufgebaut und seinen Sohn Belsazar in Babel als Statthalter eingesetzt; deshalb erscheint er in der Bibel nicht als König und deshalb bietet Belsazar Daniel an, ihn als «Dritter im Königreich» einzusetzen (Daniel, Kapitel 5, Vers 7) – es gab ja noch einen König über ihm.

Wie wird Daniel als Person dargestellt?

«Daniel war aussergewöhnlich begabt, er übertraf alle hohen Beamten und Statthalter. Daher hatte der König die Absicht, ihm die Verwaltung für das ganze Reich zu übertragen.Da suchten die hohen Beamten und Statthalter einen Vorwand, um Daniel anzuklagen. Daniel aber war zuverlässig, sie konnten nichts gegen ihn anführen. Sie konnten weder ein Vergehen noch einen Vorwand finden. Nicht eine Nachlässigkeit entdeckten sie – er hatte sich nichts zuschulden kommen lassen.» (Daniel, Kapitel 6, Verse 4-5)

Zu dieser Zeit war Daniel schon alt – wenn er als Teenager entführt wurde, war er wahrscheinlich um die 80. Und so, wie er beschrieben wird, lässt ihn als das als Traumbesetzung für einen politischen Posten erscheinen: begabt, integer, zuverlässig, loyal. Offensichtlich war das für seine Kollegen und die 120 Provinzverwalter ein Problem – mit Daniel an der Spitze war keine Korruption mehr möglich, denn er war so «gerecht» wie Noah und Hiob (vgl. Hesekiel, Kapitel 14, Vers 14). Daniel hätte allen Grund gehabt, sich mit den schlechten Zeiten zu entschuldigen. Er tat es nicht. Es scheint möglich zu sein, trotz dieser Defizite mit Gott zu leben. Diese Herausforderung gibt uns Daniel bis heute mit.

Was ist die Botschaft von Daniel?

Das Buch Daniel ist eine sogenannte Apokalypse. Das bedeutet jedoch nicht, dass es darin um den Weltuntergang geht, sondern es heisst «Offenbarung, Enthüllung». Und was Daniel mit jedem seiner Erlebnisse enthüllt, ist:

  • Es lohnt sich, auf Gott zu vertrauen.
     
  • Gott hält die Geschichte in seiner Hand und kommt letztlich zu seinem Ziel.

Wie passt die Geschichte mit der Löwengrube da hinein?

Zunächst einmal ist sie das, was die Bibel als Versuchung bezeichnet. Als König Darius verkündete, dass man 30 Tage lang nur ihn anbeten durfte, hätte Daniel einfach eine Gebetspause machen können. Er hätte auch die Fenster in seinem Raum schliessen können, dann hätte ihn niemand gesehen. Natürlich hätte Daniel einen Monat lang nicht beten und trotzdem weiter an Gott glauben können. Als Politiker wusste er, wie man Kompromisse schliesst, aber er wollte nicht!

Jochen Mai definiert Versuchung so: «Eine Versuchung ist ein verlockender oder verführerischer Reiz, der uns zu etwas verleitet, das ungesund, unmoralisch oder unzweckmässig ist oder uns gar von unseren eigentlichen Zielen abbringen kann.» (Karrierebibel) Das Gemeine dabei ist: Es reicht nicht, das zu wissen. Sie stellt sich ja nicht in die Haustür und sagt: «Ich bin’s, die Versuchung. Ich möchte dir gerade mal schaden…» Stattdessen sieht sie auf den ersten Blick appetitlich oder sinnvoll oder erfüllend aus – und es geht darum, sie zu erkennen und dann «Nein!» zu sagen.

Ein weiterer Punkt, der eng damit zusammenhängt ist das Vertrauen. Vertraue ich auf Gott, dass er es gut mit mir meint? Daniel hätte jetzt sagen können: «Och nee, Gott. Das nicht auch noch. Ich hab dir so viele Jahre vertraut, jetzt muss es doch mal genug sein.» Vielleicht hat Daniel es gedacht, aber er hat sich einen Ruck gegeben und gesagt: «Okay, gut, dass du bei mir bist, Gott.» So konnte er, wie es in Hebräer, Kapitel 11, Vers 33 heisst «durch Glauben … die Rachen der Löwen verstopfen».

Zur eigentlichen Bewahrung lässt sich nicht viel sagen, denn die Bibel tut es auch nicht. Sie geschieht nicht spektakulär, sondern hinter verschlossenen Türen. Das Einzige, was wir mitbekommen, ist das Ergebnis: Daniel lebt.

Was sind die Highlights dieser Geschichte?

  • Daniels Vertrauen, dass Gott ihm hilft.
    Dabei schwingt hier unausgesprochen das mit, was Daniels Freunde drei Kapitel vorher König Nebukadnezar sagen: «Wenn es so sein soll – unser Gott, dem wir dienen, kann uns aus dem glühenden Feuerofen erretten, und er wird uns bestimmt aus deiner Hand erretten, o König! Und auch wenn es nicht so sein soll, so wisse, o König, dass wir deinen Göttern nicht dienen und auch das goldene Bild nicht anbeten werden, das du aufgestellt hast!» (Daniel, Kapitel 3, Vers 17-18)
     
  • Daniels Perspektive, Gott zu suchen.
    Dafür betet er. Hier und an vielen anderen Stellen im Buch. Und deshalb schenkt Gott ihm auch den Überblick, den er braucht – in der Politik und in seinem persönlichen Leben.
     
  • Daniels Erwartung, dass Gott ihn gebraucht.
    Schon als Teenager hält sich Daniel nicht zurück, sondern geht mit einer Botschaft von Gott zum König. Und noch mit 80 bringt er sich in eine völlig widergöttliche Gesellschaft ein. Kein Wunder, dass er mit Noah und Hiob als einer der herausragenden Gerechten der Bibel beschrieben wird.

So ein Vertrauen ist sehr leicht. So lange, bis es konkret gefordert wird, denn Löwen sind keine Kuscheltiere. Aber weil Gott uns dabei hilft, ihm zu vertrauen, können wir uns unseren «Löwen» stellen – egal wie laut sie brüllen.

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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