Bob Dylans Glaube im Film nicht thematisiert
«Ich dachte, ich wüsste eine Menge über Bob Dylan – bis ich sein Biopic sah. Am Ende wusste ich weniger als zuvor», sagt Krish Kandiah, Direktor der «Sanctuary Foundation». «Durch das Aussparen der Konversion des Sängers zum Christentum bleibt der angedeutete Weg der Erlösung unvollständig.»
«A Complete Unknown» erzählt die Geschichte des jungen Bob Dylan, gespielt von Timothée Chalamet. «Als ich den Film sah, musste ich viele meiner Vorstellungen über Bob Dylan revidieren.»
Die entscheidende Wandlung fehlt
Der Film behandelt eine zentrale Phase in Dylans Leben – von seiner Ankunft in New York im Alter von 19 Jahren, eingepfercht mit seinem Notizbuch auf dem Rücksitz eines Autos, bis zu seinem legendären Auftritt beim Newport Folk Festival 1965, als er von der akustischen zur elektrischen Gitarre wechselte.
Dieser Wechsel habe die Musikgeschichte revolutioniert, sagt Krish Kandiah. «Aber der Film geht über diesen Moment hinaus und widmet sich Dylans wandelbarer, schwer fassbarer Identität. Er zeigt die Einsamkeit hinter der Legende, den Konflikt hinter der Kreativität und die Zerrissenheit hinter dem Genie.»
Berühmt, aber um welchen Preis...
Eines der eindringlichsten Themen in «A Complete Unknown» ist die Einsamkeit, die Bob Dylan umtreibt. Er kommt ohne enge Beziehungen nach New York – seine Familie wird nicht erwähnt, sein Hintergrund bleibt im Dunkeln. Im Laufe des Films wird deutlich, dass ihn diese Abwesenheit prägt.
Trotz seines Ruhms bleibt Dylan isoliert, unfähig, anderen zu vertrauen. Er ist hin- und hergerissen zwischen öffentlicher Verehrung und persönlicher Verzweiflung, zwischen Rampenlicht und Einsamkeit. Je mehr ihn die Welt feiert, desto distanzierter wird er.
Sein anfänglicher Idealismus zerbricht unter dem Druck des Erfolgs.
Gabe oder Fluch?
Mit nur 24 Jahren hatte Dylan bereits Hits wie «Blowin’ in the Wind», «A Hard Rain’s A-Gonna Fall» und «The Times They Are A-Changin’» geschrieben – Songs, die eine ganze Generation prägten und bis heute nachhallen.
Dylan scheint im Film von der Musik besessen zu sein. In einer Szene spielt er mitten in der Nacht Gitarre und schreibt Songs, während seine damalige Lebensgefährtin Joan Baez frustriert feststellen muss, dass ihm die Musik wichtiger ist als ihre Beziehung. Dieser Schaffensdrang macht ihn weltberühmt, entfremdet ihn aber auch von seiner Umwelt und lässt ihn schliesslich einsam zurück.
Obwohl Bob Dylan einer der berühmtesten Musiker der Welt ist, bleibt er ein Geheimnis. Krish Kandiah: «Am Anfang des Films wissen wir wenig über ihn, am Ende fast nichts mehr. Seine inneren Beweggründe, seine Entscheidungen und sein Verhalten bleiben im Dunkeln. Seine Familie taucht nicht auf, und sein Privatleben besteht aus gescheiterten Beziehungen, die er selbst sabotiert.»
Eine unvollendete Geschichte
Der Film endet mit dem 24-jährigen Bob Dylan – auf dem Höhepunkt seiner kreativen und persönlichen Konflikte, unzufrieden trotz des bevorstehenden Ruhmes.
Aber seine Geschichte geht weiter. Die wohl grösste Auslassung des Films ist Dylans spirituelles Erwachen in den späten 1970er Jahren, markiert durch sein Album «Slow Train Coming» (1979) und Songs wie «Gotta Serve Somebody».
Krish Kandiah schreibt: «Seine Bekehrung zum Christentum veränderte sein Verhältnis zu seiner Musik, seiner Identität und seinem Publikum grundlegend. Hätte der Film diese Phase mit einbezogen, hätte er die angedeutete Erlösung, die sich durch die Erzählung zieht, zu einem befriedigenden Abschluss bringen können.»
«Ich glaube an die Verdammnis und Erlösung»
Gegen Ende 2022 sagte Bob Dylan beispielsweise gegenüber dem «Wall Street Journal» auf die Frage, wie er sich entspannt: «Ich bin ein religiöser Mensch. Ich lese viel in der Heiligen Schrift, bete und zünde in der Kirche Kerzen an.»
Und weiter sagte Dylan damals: «Ich glaube an die Verdammnis und Erlösung sowie an die Vorbestimmung. Die fünf Bücher Mose, die Paulusbriefe, all das.»
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