Unauffällig für die Freiheit kämpfen

Die William Tupin Bibel im South Carolina State Museum enthält Namen zahlreicher freigelassener Sklaven
Manche Menschen gehen in die Geschichte ein, weil sie offensiv und öffentlich für die Freiheit gekämpft haben. Doch immer sind auch diejenigen nötig, die still und leise Schritte in eine gute Richtung gehen.

William Turpin und Thomas Wadsworth waren Geschäftsleute in der US-Stadt Charleston. Die Freunde lebten im 18. Jahrhundert und haben gemeinsam, dass sie in der Liste der berühmten Söhne und Töchter der Stadt nicht erscheinen. Trotzdem setzte ihnen die Zeitschrift «Christianity Today» gerade ein Denkmal mit dem Artikel: «Sie änderten ihre Meinung über die Sklaverei und hinterliessen ein biblisches Zeugnis». Sollte das im Westeuropa des Jahres 2024 noch eine Bedeutung haben? Unbedingt. Denn diese Männer unterstreichen, wie man sich konstruktiv und unauffällig mit den Aufregerthemen seiner Zeit auseinandersetzen kann.

Wenn das Gewissen zuschlägt

Turpin und Wadsworth stammten ursprünglich nicht aus den Südstaaten der USA. Sie waren aus dem Norden nach South Carolina eingewandert. Hier wurden sie Geschäftspartner, kauften Tausende von Hektar Land und stiegen in die Baumwollproduktion ein, was damals ein personalintensives Geschäft war, sprich: Man benötigte Sklaven. Daneben engagierten sich beide in der Kommunalpolitik, taten sich aber nicht besonders hervor. Bis dahin ist es eine Geschichte, wie man sie typischerweise in dieser Zeit und Gegend von Südstaaten-Pflanzern erwartet: als politisch vernetzte und geschäftstüchtige weisse Männer verdienten sie ihr Geld durch Ausbeutung von Sklaven. Auch aus christlicher Sicht war dies völlig legitim, denn standen nicht Hams Nachkommen seit der Sintflut unter dem Fluch, «Knecht zu sein»? Und betonte nicht Paulus, dass sich Sklaven ihren Herren unterordnen sollten?

Zweifel an dieser gewinnorientierten Auslegung gab es allerdings auch damals schon und durch ihre Reisen, verschiedene Begegnungen und Gespräche änderten Wadsworth und Turpin ihre Meinung. Ihre Umgebung bekam wenig davon mit, aber als Wadsworth 1799 an Malaria starb, verfügte er in seinem Testament die Freilassung vieler seiner Sklaven aufgrund seiner geänderten «Vorstellungen von Menschlichkeit». Weil das Ganze übers Land verteilt geschah, blieb es unauffällig – und weil er seinen Freund Turpin mit der Durchführung betraut hatte, fand es auch tatsächlich statt. Unterstützt wurde die Aktion von den Quäkern, die damals bereits gegen die Sklaverei argumentierten, und die Freigelassenen erhielten Geld und etwas Grundbesitz.

Die Rolle der Bibel

Bei dieser Aktion spielte die Bibel mehrere entscheidende Rollen. Tatsächlich stand auch damals die Begründung der Sklaverei auf eher schwachen Füssen. In der Bibel war die Rede von einzelnen Sklaven, die durchaus Rechte hatten, und nicht von einer Sklavenhaltergesellschaft, die von Sklavenmassen abhängig war. Weit verbreitet war damals eine besondere Bibelausgabe, auf die «Christianity Today» hinweist. Sie war ungefähr halb so dick wie eine normale Bibel und um alle Stellen gekürzt, die Sklaverei in irgendeiner Form infrage stellten. Wadsworth und Turpin überzeugte dies offensichtlich nicht. Ihre Begegnung mit der Bibel führte sie zu einem Umdenken. So trug Turpin später in seine Bibel die Namen aller Sklaven ein, für deren Freiheit er nach dem Tod seines Freundes verantwortlich war. Diese «William Turpin Bible» wird heute noch in South Carolina als Dokument zur Abschaffung der Sklaverei ausgestellt. Den Geist der Bibel hatten die beiden Geschäftsfreunde damit sicher besser verstanden als viele ihrer Zeitgenossen.

Still und verantwortungsvoll

William Turpin und Thomas Wadsworth hatten damit einen Weg gefunden, unauffällig gegen den damaligen gesellschaftlichen und auch christlichen Mainstream anzugehen und Sklaven nachhaltig zu befreien. Sie suchten nicht den öffentlichen Diskurs – wie zum Beispiel der britische Christ und Politiker William Wilberforce, der für seinen unermüdlichen Kampf gegen die Sklaverei in die Geschichtsbücher einging. Allerdings warteten sie auch nicht ab, bis spätere Generationen vielleicht ihre Meinung ändern würden. Stattdessen schufen sie in ihrem eigenen Einflussbereich Tatsachen: Sie behandelten Sklaven zu einer Zeit als Menschen, als die Gesellschaft das mehrheitlich noch anders sah.

Turpin begann übrigens später, Kontakt zu Politikern zu suchen und sie auf die unerträgliche Situation der Sklaven aufmerksam zu machen – unter anderem schrieb er an US-Präsident James Madison: «Ich habe mehr als ein halbes Jahrhundert in einem Sklavenstaat gelebt, Plantagen und Sklaven besessen und bin mit der Behandlung und Situation der Sklaven und Gesetze der Südstaaten vertraut. Ich bin so stark vom Übel der Sklaverei überzeugt, dass wir gut 50 ihre Freiheit gaben.»

Die aktuelle Warum-Frage

In den USA mag solch ein Artikel von historischem Interesse sein, doch Deutschland oder die Schweiz haben sich in ihrer Geschichte kaum als Sklavenhalternationen hervorgetan. Trotzdem zeigen die beiden US-Geschäftsleute ein Verhalten, das auch heute vieles für sich hat. So nötig oft ein öffentlicher Diskurs von ethischen Streitthemen ist, so nötig ist auch das ruhige Umsetzen eigener Gewissensentscheidungen, wie es Turpin und Wadsworth praktizierten. Zu jeder Zeit gab es Fragen, die die Gesellschaft umtrieben, und denen man nachsagte, dass ihre «biblische» Beantwortung eine Art Lackmustest für den wahren Glauben wären. Praktisch alle spielten eine Generation später keine Rolle mehr. Im Gegenteil: Oft engagierten sich Christen dann genau gegen diese Meinung, die sie früher selbst vehement vertreten hatten.

Glücklicherweise fand dieses Umdenken auch beim Thema der Sklaverei statt, sodass Christen später zu Vorreitern ihrer Abschaffung wurden. Im Nachhinein fragt man sich oft, was die Grundlage solcher hitzigen Auseinandersetzungen war, doch mitten in emotional aufgeladenen Richtungsstreitigkeiten ist das anders. Hier sind immer wieder Persönlichkeiten wie ein William Wilberforce gefragt, die die öffentliche Diskussion voranbringen – und Persönlichkeiten wie Thomas Wadsworth und William Turpin, die im Stillen das umsetzen, was Gott ihnen gezeigt hat, ohne es an die grosse Glocke zu hängen, Menschen, die unauffällig für die Freiheit kämfen.

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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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