Künstliche Intelligenz – warum so viel Angst?
«Dass Künstliche Intelligenz (KI) eines Tages Bewusstsein erlangen und die Menschheit ausrotten könnte, ist Science Fiction und lächerlich», ist der Gesprächspartner von Flo Wüthrich überzeugt. Prof. Dr. Thilo Stadelmann erforscht seit zehn Jahren die Künstliche Intelligenz und ist Leiter des Centre for Artificial Intelligence an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Alle Menschen guten Willens sollten es nutzen
Klar, dieses mächtige Werkzeug – im Kern eine hochentwickelte neutrale Technologie – werde «böse, neutral und gut genutzt werden», wie alle menschlichen Erfindungen seit der Beherrschung des Feuers und der Entwicklung des Rades. Stadelmann ist – auch und gerade als Christ – überzeugt und fordert dazu auf, dass man mit der KI viel Gutes tun kann: «KI bietet grosse Chancen, dass wir eine lebenswertere Zukunft bauen.»
Als Beispiel nennt er die Möglichkeit, dass Menschen weniger sinnlose «bullshit jobs» machen müssen und viel mehr in sinnvolle und sinnstiftende Tätigkeiten hineinkommen, etwa Pflege, Lehre oder sonst einen Beruf ausüben, der das soziale Leben stärkt und wo man «miteinander Sachen macht. Denn dazu sind wir eigentlich gemacht.» Darum sei es wichtig, in KI zu schulen und sie einzusetzen; wie es eine Harvard-Studie auf den Punkt bringt: «KI ersetzt keine menschlichen Jobs; aber Menschen, die KI verwenden, ersetzen die Jobs von Menschen, die das nicht tun.»
Chancen für Kirchen und Konzerne
Kirchen – Unternehmen mit grosser Botschaft und oft kleinem Budget – könnten mit Künstlicher Intelligenz viel anfangen, z.B. im sprachlichen Bereich oder in der Übersetzung. Stadelmann erlebte selbst, wie er mit Hilfe der Microsoft-Übersetzung auf seinem Handy einem Gottesdienst folgen konnte, von dem er sonst kein Wort verstanden hätte.
Pharmakonzerne hätten die Möglichkeit, mit Hilfe von KI Medikamente auf den Markt zu bringen, die «nur» einer kleinen Gruppe von Erkrankten das Leben retten könnten, aber normalerweise zu teuer wären, sie in kleinen Mengen zu entwickeln.
Renaissance des Vertrauens
Im Medienbereich kann KI heute bereits mit Wort und Bild, sehr bald auch mit Video «perfekte Inhalte auf Knopfdruck erzeugen». Eigentlich müsste man in Zukunft allen Medien, z.B. Kriegsberichten, misstrauen, weil alles simuliert werden könnte. Es könne aber auch sein, so Stadelmann, dass Menschen sich nicht mehr unkritisch ihre Infos von überall holen, sondern selektiver werden: Wem hör ich zu? Was sind meine Medien des Vertrauens? Er sieht die Chance einer «Renaissance des Vertrauens», der genuin menschlichen Beziehungen. «Die lediglich perfekte Form ist doch hohl», findet er. KI könne wacher machen, beziehungsfähiger. Und er lädt ein: «Fürchte dich nicht, komm mach mit beim Gutestun, dein Gott ist auf deiner Seite.»
Natürlich werden Menschen die KI nutzen, um zu betrügen oder Böses zu tun, aber «nur weil es diese Möglichkeit gibt, werden sich die Bösen sicher nicht verdoppeln», ist Stadelmann überzeugt.
Heiden-Angst oder Renaissance des Glaubens
Wie man die Zukunft im Licht der Künstlichen Intelligenz sieht, ist nach Stadelmann letztlich keine wissenschaftliche, sondern eine weltanschauliche Frage. Wissenschaftler und Autoren zeichnen Weltuntergangs-Szenarien; Stadelmann dazu: «Wenn ich den Pessimisten zuhöre, höre ich kein einziges technisch-wissenschaftliches, sondern nur weltanschauliche Argumente: `Ich habe keine hohe Meinung vom Leben. Höherwertiges Leben rottet niederwertiges immer aus, also verschliessen wir uns am besten in unserem Bunker.` Viele haben eine buchstäbliche Heiden-Angst: In ein paar Jahren sind wir ausgerottet. Das zeigt nur, wie negativ ihre Weltanschauung ist.»
Stadelmann hält – nicht zuletzt auch durch die Herausforderung zum Umgang mit KI – eine «Zweite Renaissance des Glaubens» für möglich: «Menschen des Glaubens waren bisher argumentativ auf dem Rückzug und eher scheu. Hinweise auf Glauben werden immer mehr aus unserem Kulturgut entfernt.» Stadelmann fordert, dass man hier wieder mutig auftritt: «Menschen des Glaubens haben sowas von einer anderen Weltanschauung. Sie wissen: Neben dem Unkraut wächst auch Weizen auf. Es gibt einen liebenden Gott, der letztlich seine guten Pläne mit der Welt hat.» Er ist überzeugt: «Es geht hier nicht um Wissenschaft, sondern um Weltanschauung. Mit genau dem gleichen Recht können wir aufstehen und Hoffnung verbreiten. Mit dem gleichen wissenschaftlichen Recht können wir sagen: Wir haben Hoffnung ohne Ende. Lasst uns die Zukunft bauen!»
Sehen Sie sich den Talk mit Prof. Dr. Thilo Stadelmann an:
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