«Nichts bringt Gott dazu, dich mehr zu lieben»
Philip Yancey wuchs in einer strengen christlichen Kirche in einem Vorort von Atlanta auf. «Unsere Gemeinde versuchte, ein wenig geistlicher zu sein als andere Kirchen.» Die Gemeinde war beispielsweise gegen Bowlingbahnen, weil an solchen Orten Alkohol ausgeschenkt wurde.
«Rollschuhlaufen war auch nicht geduldet, weil dies wie tanzen aussah. Und Sonntagszeitungen sollten nicht gelesen werden, weil Sonntag war – und jene am Montag auch nicht, weil für diese Ausgaben an einem Sonntag gearbeitet werden musste.»
Gott als finsterer Superpolizist
Als junger Mensch sah er Gott als finsteren Superpolizisten, der versuchte, einen davon abzuhalten, das Leben zu geniessen. Oft wurde über Hölle und Gericht gepredigt.
Ziel des Lebens schien zu sein, grimmig zu überleben und es irgendwie zu schaffen, in den Himmel zu kommen, wo dann das Leben richtig beginnen würde.
Seine Eltern planten, Missionare in Afrika zu werden. «Dafür hatten sie sich ausbilden lassen.» Viele Menschen waren bereit, für sie zu beten und sie zu unterstützen. «Und dann bekam mein Vater Kinderlähmung.»
Ein schwerer Schlag
Monate lang lag der Vater da in einer Klinik, in einer eisernen Lunge (ein Gerät, in welchem man liegt und das die maschinelle Beatmung ermöglicht). Im Spital gab es keinen Fernseher. «Meine Mutter sang für ihn und sie las ihm vor.» Sie und ein paar andere Christen glaubten, dass es nicht Gottes Wille sei, dass dieser junge Mann, der ein grosses Potenzial als Missionar hatte, gelähmt ist und vielleicht gar sterben würde.
Sie brachten ihn in eine kleine Klinik. «Ein paar Tage lang sah es so aus, als würde es ihm besser gehen, vielleicht konnte er seinen linken Zeh ein wenig bewegen.» Er wurde aus der eisernen Lunge geholt, doch ein paar Wochen später verstarb er.
In Armut aufgewachsen
«Wir wuchsen in Armut auf und lebten die ganze Zeit in einem kleinen Wohnwagen – und das, weil sie dachten, nach Gottes Willen zu handeln… und sie hatten sich geirrt», blickt Philip Yancey zurück.
Weiter stellte er fest, dass seine Kirche rassistisch war. Die Bürgerrechtsbewegung spielte sich in Atlanta ab. «Martin Luther King Jr. war damals der berühmteste Bürger, und meine Kirche war gegen ihn.»
Er merkte, dass er seinen Glauben für sich selbst erforschen musste. «Ich ging durch eine Phase, in der ich die Kirche ablehnte und mich für eine Weile von ihr fernhielt.»
Bücher wurden zu Fenstern
Philip Yancey durchlief eine Bibelschule, «Bücher waren mein Fenster zu einer grösseren Welt da draussen. Ich fand, dass es in Ordnung war, Fragen zu stellen. Ich stellte fest, dass andere Menschen mit den gleichen Problemen wie ich kämpften.» Und er suchte nach Menschen, die durch ihren Glauben gewachsen waren.
Er stiess auf ein Zitat von G. K. Chesterton, das lautete: «Der schlimmste Moment für einen Atheisten ist, wenn er ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit verspürt und niemanden hat, dem er danken kann.» So ging es ihm auch.
Er erkannte, dass Gott ihm in seiner Jugendzeit falsch dargestellt worden war. «Es lohnt sich, herauszufinden, wer Gott wirklich ist, und herauszufinden, dass Gott dich liebt. Und Gott stellt sich tatsächlich eine Rolle für dich auf dieser Erde vor, die sonst niemand hat. Das ist der Grund, warum wir geschaffen wurden. Wir wurden nach Gottes Ebenbild geschaffen, um anderen etwas von Gott widerzuspiegeln.»
Auf Gott bauen
Er wird oft an Orte der Tragödie gerufen, etwa nach der Schiesserei an die «Columbine High School» oder nach dem Tsunami nach Japan. «Mein eigener Glaube wird auf die Probe gestellt. Die Menschen, die ich am meisten bewundere, sind Menschen, die mit Schwierigkeiten leben und sich dennoch von Gott zu etwas erlösen lassen, das sie zu einem besseren Menschen macht. Es gibt nichts, was du tun kannst, um Gott dazu zu bringen, dich mehr zu lieben. Kein Versuch, spiritueller zu sein als alle anderen – und es gibt nichts, was du tun kannst, damit Gott dich weniger liebt.»
Zum Thema:
Glauben entdecken
Leid durchbuchstabieren: Philip Yancey und das Geschenk, das er nie wollte
Philip Yancey: «Erlöster Schmerz beeindruckt mehr als beseitigter Schmerz»
Zurück zur Gnade: Philip Yancey: «Wir tun uns schwer damit, Gnade zu kommunizieren»