Der Tod hat nicht das letzte Wort
Andreas Loos, Sie verbinden eine Hoffnung mit Jesus – inwiefern?
Ich sage erst einmal, von welcher Hoffnung ich mich verabschiedet habe: von der angstgetriebenen, in der man ständig sagt: «Hoffentlich kommt es so oder so…», «hoffentlich passiert dies oder jenes nicht…» Und dann soll Gott derjenige sein, der dafür sorgt, dass meine «Hoffentlichs» in Erfüllung gehen. Nein, wir leben in einer Welt, in der alles möglich ist, alles Schöne und Gute, aber auch alles Sinnlose und Grässliche.
Von welcher Hoffnung haben Sie nicht verabschiedet?
Gott hat mittels Jesus Christus etwas Krasses gezeigt: Nichts kann seine Liebe daran hindern, einer von uns zu werden. Keine Macht dieser Welt ist stark genug, das Leben zu zerstören; nicht einmal der Tod! Es gibt einen göttlichen Geist, der unser Leben immer wieder lebendig macht, allen Widerständen zum Trotz. Was dieser Trotzgeist mit Jesus geschafft hat, wird er auch mit mir und mit uns Menschen schaffen. Das ist meine Hoffnung in unseren krisengebeutelten Zeiten.
Wie können Sie sich so sicher sein, dass Jesus vom Tod auferstanden ist?
Sicher sein kann ich mir nicht. Sicherheit wäre das Ende des Glaubens. Wir haben nun mal keine Originalaufnahmen von der Auferstehung Jesu. Und selbst wenn wir sie hätten, würde uns das wohl nicht viel bringen.
Ist der Glaube an die Auferweckung von Jesus dann nur eine subjektive Konstruktion?
Ganz und gar nicht. Wir haben eine Geschichte und die ist stimmig, wenn man genau hinschaut. Etwa wenn die Jünger, nachdem Jesus gestorben ist, enttäuscht weggehen und sagen: «Er war doch nicht der Christus … wir haben uns getäuscht.» Plötzlich steht einer vor ihnen, der genau so spricht und handelt, wie Jesus es während seines Lebens getan hat. Zugleich ist er ganz anders. Ostern war wohl nicht die Wiederbelebung einer Leiche, sondern der Anfang von etwas völlig Neuem.
Diese Geschichte geht weiter. Menschen erleben bis heute, wie Jesus ihnen begegnet und sie berührt. Der Geist des Auferweckten macht das möglich. Nackte historische Tatsachen stiften keinen Glauben. Aber die stimmige Geschichte von Jesus Christus und wie sie sich heute in Menschen weiterschreibt, das ist Fundament des Glaubens.
Gibt es Spuren dafür, dass Jesus einst auferstand?
Auferstehung des Lebens geschieht, wo sich Menschen entscheiden zu vergeben. Immer wenn wir verzichten, Böses mit Bösem, Gewalt mit Gewalt zu vergelten, und stattdessen Geduld, Barmherzigkeit und Liebe üben, wird die tödliche Spirale des Bösen zerbrochen. Auferstehung passiert, wenn wir uns selbst im Kleinen und Grossen aufs Spiel setzen, damit andere leben können.
Hat diese Hoffnung auf Auferstehung auch Ihr persönliches Leben verändert?
2006 erkrankte meine Frau an Krebs. Seitdem tanzen die Todesschatten an der Wand ihres Lebens, unserer Ehe und Familie. Fast 17 Jahre lang dämmert mir, was es heisst, Auferstehungshoffnung zu leben. Meine Frau hat gesagt: «Diese Krankheit dominiert mein Leben nicht. Sie hat nicht das alles bestimmende Wort. Selbst wenn ich sterben werde, hat sie nicht das letzte Wort.»
2021 wäre sie beinahe gestorben. Die Hoffnung, dass sie geheilt wird, habe ich in diesem Sommer gemeinsam mit Gott begraben. Das war nicht einfach. Ausgerechnet seitdem bin ich sehr empfindsam für das Glück, den Sinn, die Schönheit und die Fülle des Lebens – dies inmitten des Elendes ständig wechselnder Chemotherapien… Wie kann meine Frau im Angesicht des Todes zugleich so lebendig sein? Sie lebt zutiefst vor, was Auferstehung bedeutet. Sie ist eine Art menschgewordene Theologie für mich.
Sind Sie persönlich bereit zu sterben?
So genau weiss ich das nicht. Angst habe ich, wenn ich sehe, wie qualvoll andere sterben müssen. Ich bin tief dankbar für das abenteuerliche und reich gefüllte Leben, das mir bis dato geschenkt wurde. Möglicherweise ist das ein schöner Moment, wenn ich das empfangene Leben wieder an Gott zurückgebe. Ich bin jedenfalls sehr gespannt darauf, was auf der anderen Seite des Todes auf mich wartet. Auch freue ich mich schon heute, eine Ewigkeit lang Zeit zu haben, all das auszuprobieren, was hier nicht aufblühen konnte.
Was wird man im Himmel erleben?
Bestimmt keine Langeweile. Eher die abenteuerliche und unkontrollierbare Liebe Gottes. Ganz ähnlich, wie heute, so spekuliere ich mal – und immer für eine Überraschung gut. Wir werden Liebe in ungetrübter Weise empfangen und weitergeben. Die Opfer von Gewalt, die viel zu früh starben oder übelst geschädigt wurden, werden für immer rehabilitiert.
Ich glaube an eine riesige Versöhnung zwischen Opfern und Tätern, die wir uns gar nicht ausmalen können. Es wird nichts mehr geben, was die Fülle des Lebens irgendwie beeinträchtigen könnte: Böses, Neid, Hass, Leiden – alles vorbei. Ach ja, ich werde wahrscheinlich eine tolle Autowerkstatt haben und mir endlich ein Alfa Romeo Cabrio restaurieren.
Manche Menschen lässt Gott den Himmel bereits auf der Erde erleben – konkret, wenn er sie von Krankheiten heilt. Auch in der Filmserie «The Chosen» ist dies eindrücklich dargestellt. Hat Jesus Lieblingsmenschen, die er heilt, und andere nicht?
Jesus hat niemanden bevorzugt. Aber vielleicht hat er Lieblingssituationen gehabt. Zu denen gehört, dass man seine Nähe sucht und sich ihm und der Möglichkeit der Heilung hinhält. Wo Menschen von Jesus nichts gewollt noch erwartet haben, konnte er auch nichts tun. Zu den magischen Momenten gehört auch der Wille, geheilt zu werden, sonst müsste Jesus ja gegen den Willen der Menschen agieren. Gute Freundinnen und Freunde, die stellvertretend für andere glauben, sich um ihre Kranken kümmern und sie zu Jesus schleppen (siehe die Bibel, Markus-Evangelium, Kapitel 2, Vers 4), können entscheidend sein. Viele Faktoren spielen zusammen und machen Heilung möglich.
Haben Menschen, bei denen Heilung ausbleibt in ihrem Leben etwas falsch gemacht? Fehlt es Ihnen an Glauben oder Vertrauen?
Wir sind in den Augen von Jesus keine Zimmerpflanzen, denen man verabreicht, was sie zum Gedeihen brauchen. Wir sind Personen, und daher macht Gott sich und sein Handeln auch abhängig von uns. Es ist und bleibt ein unauflösbares Geheimnis, wenn Jesus selbst immer wieder sagt: «Dir geschehe, wie du glaubst.»
Das heisst keinesfalls, dass jemand verantwortlich oder gar schuldig wäre, wenn er oder sie nicht geheilt wird. Damit verdoppelt man das Leid der Menschen und packt auf ihre seelisch-körperliche noch eine religiöse Not obendrauf. Schlimmer lässt sich geistlicher Missbrauch kaum denken.
Wie geht man damit um, wenn die Bitte nach Heilung nicht erhört wird?
Das kann allgemein niemand sagen. Für die einen mag es dran sein, ihre Bitte in Klage zu verwandeln und bei Gott zu protestieren, möglicherweise jetzt erst recht weiterzubeten. Da gibt es viele biblische Vorbilder. Für andere beginnt vielleicht die grosse Entdeckungsreise, dass erfülltes Leben möglich ist, auch ohne geheilt zu werden. Eine Trauer setzt ein, in der ich mich mit meinem ungelebten Leben anfreunde. Die Fixierung auf die Krankheit, die Behinderung, das Trauma wird gelockert.
Man akzeptiert und integriert sie ins eigene Leben. Manche empfinden das Ganze derart schmerzhaft, dass sie vorerst nicht weiterbeten können, weil sich ihre Seele sonst immer mehr wundschürft. Wieder andere brauchen erst einmal viel Zeit mit sich allein. Es gibt auch Menschen, die sich umgehend Hilfe und Begleitung holen sollten. Vorbilder können hilfreich sein, chronisch kranke oder Personen mit Einschränkungen, die charismatisch leben; ich denke etwa an Samuel Koch.
Welchen Umgang mit dem Thema Heilung finden wir in der Bibel?
Niemals hat Jesus einem Menschen, der ihn um Heilung gebeten hat, den Grund und den Sinn für dessen Krankheit erklärt. Er hat mit Krankheit nie ein (theologisches) Geschäft gemacht. Er hat Krankheit geheilt.
Lässt sich Sinn finden in Krankheit und Leiden?
Ja, der Geist, der dem Tod Jesu Lebenssinn einhaucht, kann aus notvollen Situationen und Umständen Gutes, Schönes und Glück hervorspriessen lassen. Das ist die Auferstehungskraft, die wir heute noch erleben. Leider machen viele konservative Gläubige nun aber den Fehler und sagen: «Gott hat etwas Leidvolles bewusst orchestriert, um dadurch dieses oder jenes hervorzubringen.»
Wer das sagt, spielt Gott und verzweckt die Leiden der Welt. Zweck und Sinn sind nicht dasselbe. Und wir müssen und dürfen auch zugeben: Es gibt Krankheit und Leid, die bleiben sinnlos und dunkel. Die einzig gültige Antwort darauf ist: Wir stehen den Betroffenen bei.
Zur Person:
Andreas Loos aus Bettingen BS arbeitet im Auftrag der reformierten Kirchen an einer gegenwartsfähigen und lebendigen Theologie. Er ist einer von denen, die Leben, Glauben und Lehre stets zusammen anpacken und bedenken. Seit Jahren versucht er sich an einer Theologie, die sich auch in den dunklen Winkeln des Lebens bewährt.
Dieser Artikel erschien in der Jesus.ch-Print Nr. 60
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