Wenn die Antwort ausbleibt

Was tun, wenn keine Antwort kommt?
Viele kennen die Erfahrung: Sie haben lange und inständig für ein Anliegen gebetet – und nichts geschieht. Oder genau das, was man Gott gebeten hat zu verhindern. Hat es dann überhaupt noch Sinn, zu beten? Gedanken von Otto Buchholz.

Viele haben aufgehört zu beten. Zum Beispiel, weil sie den christlichen Glauben oder Gott selbst für «von gestern» halten. Der Schriftsteller Martin Walser beschreibt in seinem Buch «Halbzeit» einen Kirchenbesuch. Dort hindert ihn die «feierliche Amtssprache» am Beten. Er empfindet sie als verschroben, zu weit entfernt von seinem Leben. Und er fragt sich: «Glauben die Frommen, Gott höre sie nur, wenn sie beten, er habe keine Ahnung von den Worten, die sie sonst denken und sagen?» Diese Aussage macht nachdenklich. Ich glaube, Martin Walser hat recht, obwohl er es ganz anders, nämlich negativ gemeint hat. Denn Gott kennt uns, auch unser sonstiges Reden, unser Denken, unsere «Gedanken versteht er von ferne...», heisst es in Psalm 139, Vers 2.

Oder wir haben mit dem Beten aufgehört, weil wir zutiefst enttäuscht sind. Wir hatten gebetet und gehofft, um Heilung gebeten – und er hat nicht geholfen, hat nicht eingegriffen, hat nicht erhört. Beten nützt also doch nichts. So lässt der Schriftsteller Heinrich Heine die schlesischen Leineweber etwa um das Jahr 1850 ihre grosse Enttäuschung über einen Gott hinausschreien, der nicht helfend eingriff, als ihre Arbeitskraft durch neuartige Maschinen ersetzt wurde: «Wir haben vergebens gehofft und geharrt; er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt.»

Warum greift Gott nicht ein?

Die jüngste Tochter des ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider, Meike, stirbt mit 22 Jahren an Leukämie. «Kurz vor ihrem Tod hat Meike gesagt: In der Bibel steht doch, dass der Glaube Berge versetzen kann – aber Krebszellen töten, das kann er wohl nicht.» Seine Frau Anne habe sich am Ende «eine Auszeit vom Beten genommen. Sie hatte das Gefühl, Gott hört nicht hin, es hat keinen Sinn.» Auch Nikolaus Schneider, der bis zuletzt am Krankenbett gebetet und gehofft hat, hatte Fragen an Gott: Warum hat er Meike sterben lassen – obwohl er die Macht hatte, sie zu heilen? «Ich verstehe manchmal Gottes Wege nicht. Aber das ist kein Grund, die Gottesbeziehung zu kündigen.»

Samuel Koch, gläubiger Christ, war Leistungsturner. Nachdem er sich im Dezember 2010 in der Sendung «Wetten, dass...?» schwer verletzte, sei die Erkenntnis, dass er nie wieder laufen wird, nur ganz langsam in sein Gehirn gesickert. Während der Reha waren die Schmerzen oft so gross, dass er fragte: «Gott, was soll das?» Aber als man ihn im Rollstuhl auf einen Balkon schob, sah er die Alpen, die Seen, den blauen Himmel. Da hat er tief Luft geholt «und plötzlich habe ich gegrinst», erzählt er. Damals habe er seinen inneren Frieden gefunden.

Gebetet und mit Gott gerungen haben sie alle. Meike musste sterben, Samuel Koch wurde nicht bewahrt. Anne Schneider, die später auch an Krebs erkrankte, geht es wieder besser.

Schlüsselwort «Beziehung»

Auch wir kennen unerhörte Gebete. Gott verhindert nicht, dass wir leiden, oft jahrelang, auch chronische Schmerzen gehören hierher, oder Süchte, von denen man nicht frei wird. Und manchmal lässt Gott sogar zu, dass wir sterben. Wie gehen wir mit dieser Verzweiflung und Aussichtslosigkeit um? Wenn Beten nichts zu «bringen» scheint, dann kann man doch auch einfach damit aufhören. Wäre das nicht konsequenter und ehrlicher?

Aber das führt zu einer Vertrauenskrise mit fatalen Folgen. Wenn man tatsächlich nicht mehr betet und auch nichts mehr von Gott erwartet, hat die Beziehung zu Gott einen Knacks bekommen. Sie ist brüchig geworden. Und irgendwann ist dann dieses Leben ohne Gebet ein Leben mit einer abgebrochenen Beziehung zu Gott. ­«Beziehung» ist das Schlüsselwort, das uns hier weiterhelfen kann.

Eine enge Beziehung zu Gott sahen die Jünger an Jesus. Sie erleben, wie Jesus sich zum Beten zurückzieht – gerade auch nach anstrengenden Tagen, mit vielen Menschen und mit harten Auseinandersetzungen: «Als er aber das Volk entlassen hatte, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten» (Matthäus Kapitel 14, Vers 23). Auch nachts betete Jesus oder frühmorgens. Und seinen Jüngern fiel auf, wie verändert er von solchen Gebetszeiten zurückkam:

• entspannt und gelassen, Ruhe ausstrahlend

• erfüllt vom Frieden Gottes

• warmherzig, mit einem Ausdruck voller Liebe.

Befreit und neu erfüllt, beschenkt von Gottes Nähe konnte Jesus nach solchen Zeiten des Betens wieder vor die Menschen treten.

Das Geheimnis des Betens

Jesus musste einfach immer wieder ganz allein mit seinem Vater im Himmel sein. Sein Beten war ein Reden des Herzens mit Gott: «Lass dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor dir, Herr», heisst es in Psalm 19, Vers 15. Oder, wie Martin Luther sagte: «Rechtes Beten ist ein Seufzen des Herzens, nicht äusseres Wortemachen.»

Das praktizierte Jesus. Sein «Gebetsbuch» waren die Psalmen. Eine Hilfe ist, sie laut zu beten und den Text aufzuschreiben. Das habe ich während eines fünfwöchigen geistlichen Übungswegs gemacht. Die Texte wurden vorgegeben, wiederholt, und wie Luther empfiehlt: durchgekaut. Ein geistlicher, persönlicher Gewinn! Ich hatte den Eindruck: Die Beziehung zum Herrn wurde aufgefrischt, es machte mich dankbar und auch demütig.

Aber Jesus hatte nicht nur feste Gebetszeiten. Er war in ständiger Verbindung zu seinem Gott, seinem Vater, die Beziehung stimmte. «Betet ohne Unterlass», so beschreibt Paulus es (1. Thessalonicher Kapitel 5, Vers 17). Also: Den Alltag einfach mal unterbrechen. Vielleicht einen Psalm beten – oder ein kurzes Gebet, ein Not- oder ein Dankgebet: für den schönen, sonnigen Tag, das leckere Mittagessen. Mit Gott im Gespräch sein, das meint Paulus hier.

Kraft aus dem Gebet

Die Jünger erlebten an Jesus, wie bei ihm Reden und Tun zusammenpassten. Sie spürten, dass die Vollmacht, die Kraft, die von ihrem Herrn ausging, mit seinem Beten zusammenhing. Einem Beten, das nicht vor anderen geschieht, um sie mit vielen Worten zu beeindrucken, sondern im Verborgenen (Matthäus Kapitel 6, Verse 1-8).

Bei Jesus sehen wir:

• Er frischte im Beten seine enge Beziehung zu seinem Vater immer wieder auf, sodass er mit Überzeugung sagen konnte: «Ich und der Vater sind eins» (Johannes Kapitel 10, Vers 30).

• In dieser lebendigen, persönlichen Beziehung zu Gott, seinem Vater, lebte er, lud alles ab, was ihn beschwerte, ihm Not machte. Er erfragte seinen Weg, seine Aufträge und holte sich neue Weisungen von Gott. Ohne diese Stille vor seinem Vater konnte er nicht leben.

Der indische Christ Sadhu Sungar Singh, der um 1900 herum lebte, beschreibt dieses innige Beten in einer lebendigen Gottesbeziehung als «Atemholen der Seele in Gottes Geist. Gottes Geist wiederum bläst seinen Odem in sie hinein, dass sie eine lebendige Seele wird. Wer aufhört, im Gebet so zu atmen, ist ein Kind des geistlichen Todes. Menschen des Gebets reden mit Gott wie mit einem Freund.» Und über die Folgen solchen Betens schreibt er: «Kraft, Freude, Friede – das sind die wunderbaren Wirkungen, die Christus im Herzen der Betenden zurücklässt.»

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Autor: Otto Buchholz
Quelle: Magazin LebensLauf 06/2023, SCM Bundes-Verlag

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