«Wissenschaftlich gesehen hätte ich tot sein müssen»

Kristen Jane Anderson mit zwei ihrer sechs Kinder
Kristen Jane Anderson (41) versuchte sich im Alter von 17 Jahren das Leben zu nehmen. Sie überlebte, verlor aber beide Beine. Heute macht sie als Motivationsrednerin anderen Menschen Mut.

«Meine Eltern liebten mich», erinnert sich Kristen Jane Anderson an ihre Jugend in Illinois. Gleich wie ihre beiden Geschwister «hatte ich alles, was ich brauchte und das meiste, was ich mir als Kind gewünscht hatte».

Als sie ungefähr zwölf Jahre alt war, begannen sie Themen wie Kriege, Obdachlosigkeit, die es in ihrer Gegend gab, oder sexueller Missbrauch zu belasten. «Ich wollte einfach nur die Welt zu einem besseren Ort machen.» Sie engagierte sich ein Jahr lang einmal wöchentlich in einem Obdachlosenheim. «Es schien, als kämen jede Woche die gleichen Leute, darunter auch Kinder mit ihren Eltern. Es war wirklich hart.»

Abwärtsspirale

Als sie 17 Jahre alt wurde, reihten sich mehrere traumatische Dinge aneinander: «Ein Kind aus meiner Schule starb bei einem Motorradunfall, ein anderes bei einem Autounfall, ein weiteres wegen einem Gehirntumor und ein viertes beging Selbstmord. Ausserdem starb meine Grossmutter und ich wurde von einem jungen Mann, dem ich vertraute, vergewaltigt.»

Sie geriet in eine Depressionsspirale. «Meine Eltern wussten, dass etwas nicht stimmte. Sie brachten mich zu verschiedenen Ärzten und Beratern, aber niemand benutzte jemals das Wort ‘Depression’. Ich dachte, ich müsste einfach so tun, als wäre alles in Ordnung.»

Verzweifelter Entscheid

Sie fühlte sich gebrochen, desillusioniert, leer, verloren und verwirrt. «Unser Haus lag direkt an der Bahnlinie. Dort stand schon seit einiger Zeit ein Zug auf einem unbenutzten Geleise.» Sie entschied sich, sich in diesen zu setzen.

Dabei erinnerte sie sich an den Suizid eines Freundes. «Wie hatte er das nur tun können?» Es schien einfach so morbide, dunkel und hoffnungslos. Doch dann blieb sie mit ihren Gedanken daran hängen…

Plötzlich fuhr ein Zug auf einem anderen Gleis vorbei. «Ich dachte, dass ich es nicht überleben würde, wenn ich mich auf die Gleise legen und überfahren würde.» Eineinhalb Stunden sass sie da und überlegte, was sie tun sollte, bis sie sich irgendwann auf die Gleise legte.

Überrollt

Kristen Jane Anderson

Dann rollte ein Zug über sie. «Ich spürte Schmerzen, aber diese waren eher im Hintergrund. Ich fühlte das Rauschen des Windes. Meine Haare, mein Kopf, meine Schultern und die Mitte meines Körpers erhoben sich und sehr schnell danach fühlte ich, wie etwas mich nach unten drückte und mich fest hielt.»

Im Polizeibericht steht, dass Kristen von 33 Güterwaggons mit einer Geschwindigkeit von rund 90 Kilometern pro Stunde überfahren wurde. «Ich schaute hinter mich und sah meine Beine etwa drei Meter hinter mir liegen. Ich wusste, dass es meine Beine waren, weil sie diese strahlend weissen Tennisschuhe trugen, die ich zu Weihnachten bekommen hatte.»

«Ich hätte tot sein müssen»

Die Sanitäter sagten, dass Kristen aufgrund des hohen Blutverlustes hätte verbluten müssen. «Wissenschaftlich gesehen hätte ich tot sein müssen. Es ist ein Wunder, dass ich überlebt habe.»

Sie wachte am nächsten Tag auf der Intensivstation auf. «Der Arzt sagte, dass mein linkes Bein weit oberhalb des Knies abgetrennt war, mein rechtes Bein direkt unter dem Knie, aber dass ich eines Tages mit Beinprothesen würde gehen können.»

Aus einem bestimmten Grund am Leben geblieben

Immer wieder sagten die Leute zu ihr: «Kristen, Gott hat dich aus einem bestimmten Grund hier behalten. Es gibt einen Auftrag, den du hier hast.» Als 17-jähriges Mädchen, das gerade seine Beine verloren hatte, dachte sie: «Warum sollte Gott mich ohne meine Beine hier lassen?» Zuerst schien dies grausam zu sein.

Schon eine Woche später konnte sie das Krankenhaus für das Wochenende verlassen. Von einem Pärchen, das bei der Familie zum Abendessen kam, hörte sie das Evangelium. «Mir wurde klar, dass ich Jesus nie persönlich angenommen hatte, weder in meinem Herzen noch in meinem Leben. An diesem Abend betete ich ein einfaches, kleines Gebet, in welchem ich Gott bat, mir alles zu vergeben, was ich jemals falsch gemacht hatte, und ihn bat, mir ein neues Leben zu schenken. Als ich einschlief, fühlte ich mich anders; so, als wäre eine Last von meinen Schultern genommen worden.»

Ermutigung für andere

Sie gewöhnte sich an das Leben im Rollstuhl. Sie besuchte regelmässig eine christliche Gemeinde, wo sie sich in einer Gruppe junger Erwachsener engagierte. «Ich wurde gebeten, meine Geschichte mit den Jugendlichen unserer Kirche zu teilen, und von da an ging es bergauf. Jedes Mal, wenn ich davon erzählte, veränderten sich die Leben anderer Menschen.»

Sie gründete im Dezember 2004 eine Organisation namens «Reaching you», nachdem sie von verschiedenen Kirchen und Jugendgruppen eingeladen worden war, um ihre Geschichte zu erzählen. «Viele Menschen hatten sich an mich gewandt, um Hilfe und Ermutigung zu erhalten.»

Bald lernte sie Alan kennen, der sich ehrenamtlich engagierte. «Es war sein Diener-Herz, das mich zu ihm hinzog. Wir haben 2011 geheiratet und 2012 unser erstes Kind bekommen. Grayson ist gerade elf Jahre alt geworden, Adeline ist sieben, Evelyn sechs und Lillian vier. Wir haben eine grosse Familie, denn mein Mann hatte bereits zwei Kinder, als wir geheiratet haben, also haben wir jetzt sechs.»

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Autor: Jemimah Wright/Daniel Gerber
Quelle: Woman Alive/gekürzte Übersetzung: Livenet

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