Persönlichkeits-Entwicklung und das Vollmass göttlicher Fülle
Im Livenet-Talk stellt Martin Kaltenrieder sich als Ehemann, Familienvater und leidenschaftlicher Gemeindebauer vor. Seit bald 40 Jahren setzt er sich in unterschiedlichen Funktionen für die Gemeinde ein. Aktuell arbeitet er als reformierter Pfarrer in einem Pfarramt. «Gleichzeitig bin ich mit einer Reihe von Freikirchen und Gemeinschaften unterwegs.» An vorderster Front hatte er sich schon für Gemeindegründung eingesetzt, vernetzt Pastoren und heute leitet er ein Netzwerk.
Privileg und Bürde des geistlichen Leiters
«Es ist ein riesiges Privileg, zu sehen, wie Gott Menschenleben verändert!» Wenn Martin sieht, wie Leute, die sich bis dahin nichts zutrauten, plötzlich aufblühen und mutig vorwärtsgehen, freut er sich. «Wenn dann Teams entstehen, die gemeinsam und in der Gegenwart Gottes vorwärtsgehen, dann begeistert mich das!»
Als Leiter steht man oft im Fokus von frustrierten und verletzten Menschen. Da muss man immer wieder einmal einstecken können. Martin erwähnt das Buch «Gemeinsames Leben» von Dietrich Bonhoeffer, welches ihm diesbezüglich geholfen habe. Die Gewissheit, von Gott in eine bestimmte Gemeinschaft gerufen worden zu sein und dort als Persönlichkeit wachsen zu können, brachte ihn immer wieder auf Kurs. «Heute laufen Menschen zu schnell davon», beobachtet er. «Doch: Jede Krise ist eine Chance!» Und diesen will er nicht ausweichen und scheut sich auch nicht davor, Dinge klar anzusprechen – diese Eigenschaft hat ihm schon öfters heftige Reaktionen eingebracht.
Persönlichkeitsentwicklung ist wichtiger als Aktivitäten
«Ein grosses Thema ist für mich die Persönlichkeitsentwicklung.» Martin beobachtet, wie dies in Freikirchen eher auf der Strecke bleibt als in Landeskirchen. «Da gibt es Top-Programme, Super-Flyer und die Leute sind voll engagiert.» Dabei begegnet ihm öfters der Umstand, dass Leute zwar bei Aktivitäten einen grossen Einsatz an den Tag legen, während in ihrer Persönlichkeit und in Bezug auf innere Baustellen vieles auf der Strecke bleibt. «Es braucht Leidenschaft für Jesus!», werde gesagt – doch kaum will sich jemand zurückziehen, um Raum für innere Prozesse und den persönlichen Glauben zu schaffen, wird der Person fast schon eine «Glaubenskrise» diagnostiziert. «Dem müssen wir uns dringend stellen – und zwingend.»
Die Tatsache, dass Leiter und Mitarbeiter ihr eigenes Herz ausser Acht lassen, erkennt Martin als Hauptursache für die meisten Probleme in den Gemeinden. Besonders als Leiter stehe man in Gefahr, sich einem zu grossen Engagement hinzugeben und die Beziehung mit Gott zu vernachlässigen. Martin kennt dieses Problem aus eigener Erfahrung. Vor Jahren entdeckte er dann ganz neu die Kraft, Zeit in der Stille zu verbringen. Vor Gott zur Ruhe zu kommen, wurde in seinem Leben zu einem Schlüssel.
Wer lebt im Vollmass göttlicher Fülle?
Ein anderes Thema, welches Martin seit vielen Jahren bewegt, ist der fünffältige Dienst. «Als ich entdeckte, dass der fünffältige Dienst gegeben wurde, damit die Gläubigen ins Vollmass der Fülle gelangen, war ich elektrisiert.» «Leben wir im Vollmass der Fülle?», fragte er sich. Und: «Fördert unser Gemeindeleben diese Fülle?» Martin erkannte, dass zum Finden dieser Fülle der fünffältige Dienst ein Schlüssel ist.
Gerade im apostolischen Dienst erkennt Martin einen grossen Mangel. Er spricht von Zerrbildern dieses Amtes, welche den Blick aufs Wesentliche verhindern. Martin bezeichnet apostolisch begabte Menschen nicht als starke Bühnenpersönlichkeiten, sondern vielmehr als meistens unauffällige Personen, die beobachten, zuhören und in deren Wirkungskreis starke Teams entstehen. Es seien Menschen, die anderen helfen, in ihren gottgegebenen Begabungen aufzublühen.
Wir dürfen das Evangelium nicht seiner Kraft berauben
Ein weiterer Teil des Talks wird dem Thema der neuen liberalen Theologie gewidmet. Portale wie Worthaus ziehen viele und ganz unterschiedliche Leute an. «Ich will ihnen nicht die Leidenschaft oder den Glauben absprechen», räumt Martin ein, wobei er gleichzeitig seine Irritation darüber äussert, wie viele Christen von dieser Theologie begeistert sind. Er selbst studierte vor Jahrzehnten Theologie an der Universität Bern, welche damals als Hochburg der liberalen Theologie galt. Heute blickt er dankbar darauf zurück, weil er seinen eigenen Glauben schärfen konnte, indem er die vermittelten Inhalte prüfte und vieles auch widerlegte. Umso mehr ist er erstaunt, wie heute genau dieselben Inhalte von Christen ungefiltert angenommen werden.
Eine Sache kann Martin nur mit Klarheit ausdrücken: «Die liberale Theologie hat das Evangelium geköpft!» Unter anderem berichtet er von einer Koryphäe unter den liberalen Theologen, welche eingestehen musste, dass ihre Theologie «die Kirchen leergefegt habe». Mit grossem Erstaunen stand Martin daneben, als er diese Aussage hörte. «Es erschüttert mich zu sehen, wie freikirchliche Verbände heute auf solches abfahren.» Wiederholt habe er beobachtet, wie die Mitgliederzahl von Freikirchen, die sich auf die Spur liberaler Theologie begeben hatten, in der Folge schnell und drastisch zurückging. «Wenn die Kirche kein Profil mehr hat, hat sie in unserer Gesellschaft nichts mehr zu sagen.» Das Schlimmste, was wir tun könnten, sei es, dem Evangelium die Kraft zu berauben.
Sehen Sie sich hier den Talk mit Martin Kaltenrieder an:
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