Evangelisation ist nicht nur für die «Verlorenen»
Evangelisation ist für Christen ein Muss. Nicht nur, weil Jesus selbst den Auftrag gab, die Völker zu Jüngern von ihm zu machen, sondern auch weil es in unserer DNA liegt: Wir folgen Jesus nach, wir lieben ihn, wir wissen, dass nur er dem Leben Sinn gibt – das können wir doch gar nicht verschweigen. Also reden wir mit anderen über unseren Glauben, laden zu Evangelisationen ein, geben Traktate weiter und versuchen, Menschen den Glauben an Jesus nahe zu bringen.
Ein Mythos der westlichen Welt
Doch in Bezug auf die Evangelisation gibt es einen grossen Mythos, so beschreibt es Louis Posthauer, der Pastoren und Gemeinden der USA beratend zur Seite steht. Dieser Mythos bestehe vor allem in der westlichen Welt seit einigen Jahrzehnten. Worum geht es? Posthauer schreibt: «Der Mythos ist, dass es sich bei Evangelisation einzig um die 'Verlorenen' handelt. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war das so. Aber bis damals war auch die grosse Mehrheit der Christen zu einem gewissen Mass aktiv in der Kirche beteiligt. Und der Rest ausserhalb der Kirche fiel in die Kategorie der 'Verlorenen'. Aber heutzutage besteht ein grosser Teil der Menschen ausserhalb der Kirche aus Kichenaussteigern», also Menschen, die früher mal in der Kirche waren und jetzt nicht mehr hingehen.
Posthauer bezieht sich auf Zahlen aus den USA, aber auch im deutschsprachigen Europa gibt es viele Menschen, die schon irgendwie an Gott glauben, aber nie (wieder) in eine Kirche gehen würden.
«In der Kirche sind so viele Heuchler!»
Wenn man mit den «traditionellen Evangelisationsmethoden» auf diese Menschen zugeht, hat das oft wenig Erfolg. Auf eine Einladung in die Gemeinde gibt es dann Antworten wie: «Ich glaube an Jesus, nur nicht an die Kirche.» – «In der Kirche sind so viele Heuchler!» – «Ich wurde so verletzt, da gehe ich nie wieder hin.» – «Ich finde Jesus in der Natur…» – «Ich habe andere Prioritäten…» – usw.
Fazit: Wenn wir uns bei der Evangelisation nur auf diejenigen konzentrieren, die noch nie von Jesus gehört haben oder ihn noch nie angenommen haben, fallen die Kirchenaussteiger durch das Raster. Deshalb hier die Herausforderung: Wie können wir auch diejenigen erreichen, welche die Nase voll haben von Kirche? Wie können wir Menschen, die verletzt oder enttäuscht wurden, wieder in die Gemeinschaft der Christen holen, die so wichtig ist, um miteinander und voneinander zu lernen, im Glauben zu wachsen und durch die gegenseitige Liebe ein Zeugnis für die Welt zu sein?
Tools, um Aussteigern zu begegnen
Ein Anfang ist, die Beziehung zu dem Aussteiger (wieder) aufzubauen. Interessieren Sie sich für ihn, nicht nur für die Gründe, weshalb er nicht mehr in die Gemeinde geht, sondern wie es ihm beruflich, familiär, persönlich geht… Laden Sie ihn zu sich nach Hause ein oder gehen Sie einen Kaffee mit ihm trinken und nehmen Sie sich vor, ihn regelmässig zu treffen. Im Vordergrund bei diesen Treffen steht nicht unbedingt das Gespräch über den Glauben, sondern über das persönliche Ergehen; so entsteht eine Freundschaft.
Wenn Interesse besteht, kann man auch beginnen, gemeinsam in der Bibel zu lesen. Hierfür muss man nicht grossartig studiert haben. Es geht darum, gemeinsam eine Geschichte zu lesen – beispielsweise aus dem Lukasevangelium oder der Apostelgeschichte – und dann einige Fragen zu beantworten: Welche Personen tauchen in der Geschichte auf? Welche Charaktereigenschaften haben diese Personen? Mit wem identifiziere ich mich und weshalb? Hier lernt man nicht nur die Bibel ganz neu kennen, sondern es gibt einen persönlichen Austausch und am Ende ist das gemeinsame Gebet und gegenseitige Fürbitte gut geeignet.
Ausdauer, Geduld, Liebe und echtes Interesse
Beten Sie auch zu Hause regelmässig für diese Person. Der persönliche Einsatz, das Gebet und Gottes Timing können viel bewegen. Und wer weiss, wenn Sie die Person, diesen Freund, später einmal wieder in einen besonderen Gottesdienst einladen, sagt er vielleicht zu und kommt.
Diese Art der «Evangelisation» ist nicht mit einem dreistündigen Strasseneinsatz getan, auch nicht mit einem vierwöchigen Glaubenskurs. Es braucht Ausdauer, Geduld, viel Liebe und echtes Interesse am anderen, oft jahrelang. Aber es lohnt sich – denn allein schon Ihre Zeit und Ihr Interesse am anderen zeigen ihm, wie wichtig er Gott ist. Und um den Rest kümmert sich Gott selbst.
Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Neuauflage. Er erschien zuerst am 27.05.2018 auf Jesus.ch
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