GEIST-reiches zu Pfingsten
«Was ist Geist überhaupt?», will Florian Wüthrich von Andreas Loos wissen. Der Theologe bringt ein Beispiel: «Warum sage ich zu, wenn ich für einen Talk angefragt werde?», fragt er rhetorisch. «Weil ich einen freundlichen, wachen Geist von dir her spüre, auch wenn wir räumlich weit getrennt sind. Ich spüre eine Kraft, eine Energie, einen feinen Draht, der uns verbindet.»
Geist sei nichts Religiöses, habe mit Theologie oder christlichem Glauben erstmal nichts zu tun. «Mit Geist bezeichnen wir eine Wirklichkeit des Lebens, dieser Welt, eine Kraft, die in Bewegung ist und andere in Bewegung setzt.» Jesus habe das auch gesagt: «Du siehst den Geist oder den Wind nicht. Aber du kannst sein Rauschen hören und seine Wirkung sehen.»
Geist ist ein Kraftfeld
Ein Geist beflügle, zum Beispiel der Geist der Liebe. «Er ist eine Wirklichkeit, ein Kraftfeld, eine Energie, welche die Menschen ergreift.» Auch wenn Verliebte körperlich komplett voneinander getrennt seien, wenn sie gleichzeitig davon ergriffen würden, dann seien sie nicht mehr bei sich selbst, sondern ekstatisch. «Sie denken nur noch an einander, sind beflügelt in all ihrem Denken und Tun.» Es erzeuge Inspiration und Kreativität.
Doch es gebe auch andere Geistesströmungen. Wer sich im Stadion mitreissen lasse und gemeinsam mit den anderen den Schiedsrichter niederschreie, den habe auch ein gewisser Geist ergriffen. «Begeisterung ist nicht einfach gut, sie kann auch problematisch sein. Geist ist nicht einfach Geist. Gerade als Deutscher weiss ich, von was für einem Geist sich ein Volk kollektiv erfassen lassen kann», gesteht er. Trotzdem sei es wunderschön, dass es Geist gebe, der in Bewegung setze und Menschen miteinander verbinde.
Priestertum aller Gläubigen
Die Reformation in der Schweiz und in Deutschland habe sich zuerst in einem wilden Wirken des Geistes Gottes gezeigt und damit auch Schwärmer hervorgebracht. Die Nachreformatoren hätten dies dann schnell etwas kanalisiert. Sie betonten: «Der Geist wirkt durch das ausgelegte und verkündigte Wort Gottes.» Damit hätten sie jedoch mit der linken Hand zugehalten, was sie mit der rechten hochhielten – das Priestertum aller Gläubigen, führt Loos aus. Zuerst sei verkündet worden: Alle Gläubigen sind mit dem Geist Gottes erfüllt, das heisst, sie können die Bibel lesen und verstehen, können ihren Teil zum Verständnis beitragen. «Danach dämmte man diese Überzeugung und damit den Geist wieder ein.»
Gefühle und Mystik
«Mit Sinnlichkeit, mit Ekstatik, mit Gefühlen und Mystik können konservativ-evangelikale Christen oft nicht gut umgehen», findet Andreas Loos. Doch es gebe auch den Pietismus, der das Erweckliche, das Pfingstlerisch-Charismatische, das Wilde des Geisteswirkens immer zusammenbringen wollte mit dem anderen. «In diesem lebendigen Pietismus bin ich gross geworden», erklärt er. Geist und Denken gehörten zusammen – aber es gebe nicht nur Verstand, Rationalismus, nicht nur Wort Gottes. «Glaube im Geist – da geht es durchaus auch sinnlich und ekstatisch-begeistert zur Sache», erlebt Loos. Florian Wüthrich stellt fest: «Menschen sehnen sich nach Spiritualität, nach authentischer Begeisterung, sie wollen ergriffen sein von etwas, das man nicht logisch erklären kann.»
Leistungsgesellschaft
Heute gelte: Wir wollen begeistert sein von dem, was wir jeden Tag tun, wir wollen einen guten Geist im Team erleben, nicht einfach Geld verdienen. Das solle im Alltag passieren, nicht irgendwann in der Freizeit. «Begeisterung ist eine der schönsten Ressourcen des Menschen», findet Loos. Auch Firmenleiter wüssten: Wenn du begeisterte Mitarbeiter und Kunden hast, dann floriert das Geschäft. Dies lasse sich jedoch nicht instrumentalisieren. «Ergriffensein hat immer etwas Selbstvergessenes, und Begeisterung muss spielerisch bleiben», mahnt Andreas Loos.
Auf den Glauben bezogen zitiert er den katholischen Theologen Karl Rahner: «Der Gläubige der Zukunft wird ein Mystiker sein oder er wird nicht mehr sein.» Die Begegnung mit Gott solle nicht immer durch den Verstand abgefedert werden, sondern offen bleiben, auch Unmittelbares zulassen. «Es tut dem Glauben gut, wenn wir uns gegenseitig inspirieren.»
Pfingsten – Gottes Nähe erleben
«Der Geist Gottes ist nicht verfügbar», mahnt Loos, «auch nicht während einer Lobpreiszeit. Der Geist weht, wo er will!» Die Intimität mit Gott lasse sich nicht verordnen oder manipulieren. «Doch Transpiration und Inspiration gehören zusammen.» Wenn die Musiker nicht geübt, das Technikteam nicht alles vorbereitet hätte, geschähe gar nichts. Ein Konzert könne etwas auslösen, das sich nicht vorbereiten lasse. «Wir können uns Glauben nicht herbeidenken – wir sind darauf angewiesen, dass immer wieder Pfingsten geschieht», stellt der Theologe klar.
Spielgefährten werden
Es gebe Menschen, die hätten objektiv gesehen keinen Grund für Begeisterung. Zum Beispiel die, welche mit Hingabe einen Menschen pflegen oder sich für unseren Planeten einsetzen. Doch selbst im Konzentrationslager habe es Menschen gegeben, die begeistert blieben vom Leben. «Wir sollten aufhören, den Zeitgeist zu verteufeln», findet er. «Warum sollen Heiliger Geist und Zeitgeist nicht Spielgefährten werden?»
Vor 500 Jahren wollten die Menschen Bildung, wollten selbst lesen, verstehen und glauben. Man könnte es so sehen: Heiliger Geist und Zeitgeist schmiedeten eine heilige Allianz und ermöglichten damit die Reformation. «Zur rechten Zeit stellt der Heilige Geist uns an einen Ort, an dem nur wir etwas tun können», ermutigt Andreas Loos. Der Heilige Geist liebe es, sich mit uns zu verbünden, bis in die Zeit hinein. Florian Wüthrich ergänzt: «An Pfingsten können wir diesem Geist und seinem Wirken auf die Spur kommen – ist das nicht faszinierend?»
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