Wenn Angst und Unsicherheit aufkommen
Schon mal was vom «Angst-Index» gehört? Laut einer jährlichen Umfrage, welche die R+V Versicherung seit 30 Jahren durchführt, stellt dieser den Durchschnitt der grössten Ängste der Menschen in Deutschland dar. Im Oktober 2022 wurde der höchste Wert seit vier Jahren erreicht. Vor allem wirtschaftliche Ängste haben sich verstärkt, aber auch die Kriegsangst wächst – ebenso wie die vor Naturkatastrophen und dem Klimawandel. Hauptsorge der Deutschen bleibt jedoch die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten und unbezahlbarem Wohnraum.
Probleme über Probleme
Das kommt mir alles durchaus bekannt vor. Ich mag zwar keine Verallgemeinerungen und den Studien von Wissenschaftlern, die herausgefunden haben, dass Wissenschaftler besonders attraktiv sind, möchte ich ohnehin nicht trauen. Doch auch ich finde mich wieder in einer Welt, die geprägt ist von grossen sozialen und ökonomischen Herausforderungen. In einer Welt, in der mir «alle Türen offenstehen» und in der ich trotzdem vergeblich nach einem erfüllten Leben suche. Ich verzettele mich in meinen Alltagssorgen und wenn ich dann die Suppe des Organisationschaos, die ich mir mit all meinen Terminen und Verpflichtungen eingebrockt habe, endlich ausgelöffelt habe, blicke ich über meinen Tellerrand. Und sehe die globalen Probleme: Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer, das Ökosystem bricht allmählich zusammen, die scheinbare Sicherheit unserer hochtechnisierten Welt trügt und politische Systeme geraten ins Wanken. Das lässt mich manchmal verzagt und auch bitter werden.
Und damit bin ich nicht allein, denn auch im europäischen Vergleich sind wir hierzulande Spitzenreiter im «Sich-Sorgen-Machen». Eigentlich ganz schön seltsam, wenn wir unsere wirtschaftliche Lage mit der anderer Länder vergleichen. Und irgendwie komisch, wenn ich meine Lebenswirklichkeit als Christin mit der von Menschen, die nicht an Jesus glauben, vergleiche. «Top Eins» meiner Sorgen dreht sich darum, keine Anerkennung zu bekommen. Dabei sollte ich mich doch als geliebtes Kind Gottes wertvoll und geborgen fühlen.
Nicht wegzureden
Sorgen und Ängste kennen wir alle. Die Sorge, zu kurz zu kommen. Die Sorge, dass die anvertrauten Menschen und Aufgaben dir über den Kopf wachsen. Die Sorge, den richtigen Partner nicht zu finden. Sorgen um deine zukünftige oder jetzige Arbeitsstelle. Sorgen um deine Familie. Die Sorge, Erwartungen nicht zu erfüllen. Nicht genug Geld zu haben. Abgabetermine. Krankheit. Einsamkeit.
Eigentlich sind das alles Bereiche, in denen wir uns an Gott wenden und seiner Fürsorge vertrauen könnten. Aber in unserem alltäglichen Leben ist das oft nicht so einfach zu glauben geschweige denn umzusetzen. Wie können wir mit der Spannung zwischen Gottes Zusagen und unserem Erleben umgehen? Sorge wehrt sich dagegen, vorschnell beschwichtigt zu werden: Ich kann sie nicht einfach wegreden – weiss ich denn, ob nicht wirklich ein Anlass zur Beunruhigung besteht? Und müssten wir einander nicht oft eher zur Sorge als zur Sorglosigkeit ermahnen angesichts einer Welt, die immer gefährdeter und zerbrechlicher wird? Sorglos sein – heisst das nicht am Ende nur seine Sorgen auf andere abzuwälzen? Kleine Kinder dürfen das: Sie wenden sich mit all ihren Unsicherheiten direkt an ihre Bezugsperson. Wenn es sein muss laut weinend. Ihre Bedürfnisse werden im Idealfall gesehen oder gehört und gestillt. Aber als Erwachsene können wir unsere Mitmenschen meistens nicht mehr derartig beanspruchen. Wir müssen selber Wege finden, mit unseren Sorgen umzugehen. Das Gute ist, dass wir auf dieser Suche nicht allein gelassen sind.
Mit Vertrauen fängt es an
Was sagt Jesus denn dazu? In Matthäus, Kapitel 6, Verse 24-34 steht: «Sorgt euch nicht … darum sollt ihr nicht sorgen…». Wir sollen uns also nicht sorgen. Na, super. Alles klar! Wir sollen uns an der Schöpfung erfreuen, sehen wie Gott all seine Geschöpfe versorgt und darauf vertrauen, dass er das für uns auch tut. Danke, Jesus, du hast ja leicht reden, mit deinem «ich zieh so durch die Lande, lass mich einladen und mache ein Dauer-Open-Air mit meinen Jüngern», aber ich habe eine Familie zu ernähren, einen Job, der mich sehr fordert, die nächste Tankfüllung zu bezahlen, ich muss eine passende Arbeitsstelle finden, meine Ausbildung schaffen… Hast du mir, in meiner Situation, nichts zu sagen?
Ok, ich schau mir den Text noch mal genauer an. In Vers 24 spricht Jesus zunächst mal von einer grundlegenden Entscheidung, die wir in unserem Leben treffen müssen: entweder Gott oder den Mammon lieben. Mit «Mammon» meint er die Personifizierung des Reichtums. Es bedeutet so viel wie «mein Besitz, dem ich vertraue». Kapital ist in unserer Gesellschaft zu einer eigenständigen Grösse, zu einer Macht geworden, mit der wir rechnen. «Hassen und Lieben» stehen im hebräischen Sprachgebrauch nicht für Stimmungs- oder Gefühlswerte, sie bedeuten eher «den Vorrang geben oder vernachlässigen». Der Vers beschreibt also die Entscheidung, vor die wir gestellt sind: Wir sollen uns nicht durch materielle Absicherung von Gott unabhängig machen, wir sollen in allem zuerst ihm vertrauen.
Das klingt an sich gut und ich möchte auch gerne lernen, Gott meine Finanzen anzuvertrauen und immer mal wieder meine Sicherheit für ihn aufgeben. Aus meinem gewohnten Umfeld heraustreten und das, was ich habe, mit anderen teilen. Ja, ich möchte lernen, mich von Gott abhängig zu machen.
Gott kümmert sich
In eurem Leben geht es um mehr als Essen und Kleidung, ermahnt Jesus seine Hörer. Diese Dinge sind vergänglich und wenn ihr euch ihnen in ständiger Sorge unterordnet, werdet ihr nie genug haben. Das zeigt sich auch in unserer Gesellschaft. Je mehr wir haben, umso sicherer fühlen wir uns, wir bauen uns Häuser mit höchstem Komfort, hängen uns im Job bis zum Burn-out rein und konsumieren, konsumieren, konsumieren. Jesu Rede von Vögeln und Blumen soll uns an etwas erinnern. Sie erinnert an Gott, den liebenden Vater, der das Leben geschenkt hat und sich um seine Kinder kümmert. Er hat seine Geschöpfe in einen Bezugsrahmen hineingeschaffen, in dem sie alle einen Platz, eine Aufgabe und ausreichend Versorgung finden sollen.
Im Hier und Jetzt
Leider sieht unsere Wirklichkeit aber oft nicht so aus. Wir sehen die Schöpfung nicht mehr als wunderbares und versorgtes Werk Gottes, sondern als zerbrechliches, vielfach geschädigtes Ökosystem. Hungersnöte, Kriege, Naturkatastrophen flimmern durch die Nachrichten. Ungerechtigkeit und unbeschreibliches Unrecht widerfahren den ärmsten und wehrlosesten Menschen. Finanzkrisen und Arbeitslosigkeit bedrohen auch die Reichen und Mächtigen. Der Druck steigt in dieser gefallenen Welt, die in unseren Händen zu zerbrechen droht. Wie soll sich also unser Denken verändern, wie sollen wir auf Gottes Fürsorge vertrauen, wenn doch anscheinend genug Anlass zur Sorge besteht?
Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat, sagt Jesus. Es gilt zu lernen, im Jetzt zu leben. Dieses «Jetzt» ist Jesus sehr wichtig, denn in unserem Heute hat er eine Aufgabe für uns: «Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.» (Matthäus, Kapitel 6, Vers 33)
Unseren ängstlichen, unzufriedenen, selbstzerstörerischen Sorgen stellt er damit die Fürsorge für sein Reich gegenüber. Danach sollen wir «trachten», also uns ausstrecken, uns sehnen, darum kämpfen und dafür einstehen. Für mich heisst das: Wir alle befinden uns in einem bestimmten Setting. Und in diesem konkreten Umfeld gestaltet jeder von uns aktiv an diesem Reich des Friedens und der Gerechtigkeit mit.
Sorglos und verantwortungsvoll
Ich wünsche mir, eine Einstellung zu entwickeln, aus der heraus ich bereit bin, Verantwortung für sein Reich zu übernehmen. So, dass ich mich nicht mehr selbst verwirklichen muss, sondern weiss: Gott wird mich verwirklichen. Ich kann hineinwachsen in ein Vertrauen, das alles von Gott erwartet. Im Wissen, dass er mich versorgt und um meine Nöte, Ängste und Sorgen weiss.
Sorglos leben bedeutet nicht verantwortungslos leben, sondern leben im Wissen, dass diese Welt und wir in ihr gehalten sind von einem liebenden Vater. Er traut uns viel zu und vertraut uns seine Welt an. Aber in dieser Verantwortung lässt er uns nicht allein, sondern sagt uns seinen ewigen Beistand zu.
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