«Kommt in unsere Immobilie»
«Die Kirche ist tot – es lebe die Kirche» heisst das neueste Buch des bekannten deutschen Theologen. Sein Vorwurf: «Seit Jahrzehnten stecken wir in der evangelischen Kirche in Strukturdebatten, man dreht an kleinen Schräubchen, ist aber nicht bereit, sich mit dem System als solches auseinanderzusetzen.» Diese «Reförmchen», wie er sie nennt, lenkten vom grossen Problem der Kirche ab: «Die Kirche hat ihr Proprium – oder wie man es heute nennt, ihr USP – verloren.» Diese «Unique selling proposition», also das Alleinstellungsmerkmal der Kirche, nennt er klar beim Namen: «Es gibt nur einen Grund, sich zur Kirche zu halten – zu Christus kommen. Alles andere ist Larifari, kann begleiten, darf aber die Mittelpunktaufgabe nicht verdrängen.»
Von der Komm- zur Geh-Struktur
Eines der zentralen Probleme sieht Hempelmann in der Komm-Struktur der Kirche. «Wir laden die Leute in Orte ein, wo sie gar nicht hinwollen: `Kommt in unsere Immobilie`. Wenn sie die Konfirmation, die Moralität hinter sich haben, würden sie nie wieder dahingehen.» Sein Vorschlag, den er mit vielen missionalen Praktikern teilt: «Wir brauchen eine Geh-Struktur. Gott hat es ja auch so gemacht – er kam zu uns und zeltete unter uns. Wir müssen umdenken, hinein in die Lebenswelten der Menschen und das sagen, was nur wir zu bieten haben.»
Dazu müssten nicht nur Theologen, sondern auch Pioniere und Performer ausgebildet und in die kirchliche Leitung kommen: «Entrepreneure sind nötig – junge Menschen, die fähig sind, in der Grossstadt eine Gemeinde zu gründen.» Die hochakademische Ausbildung der klassischen Pfarrer sei nicht in der Lage, auf Herausforderungen vorzubereiten – «nicht jeder Hauptamtliche muss Althebräisch können».
13 Milliarden Kirchensteuern
Wie geht die Kirche in Deutschland mit – immer noch – 13 Milliarden Euro Kirchensteuern pro Jahr um? Hempelmann: «Ein Bruchteil wird für soziale Projekte aufgewendet, die grosse Masse für die Erhaltung des Systems. Wir haben in Deutschland grosses soziales Elend. Im Winter erfrieren Menschen, und die Kirchen betteln um Spenden.»
Dieses System zu erhalten, werde von Jahr zu Jahr schwieriger. «Wir haben Reförmchen, machen Fusionen – aber man versucht, sich als Amtsträger zu erhalten.» Die evangelische Kirche in Deutschland ist ja bekanntlich nach dem System der Parochie organisiert: «Jeder Quadratmeter in Deutschland ist kirchlich besetzt durch das regional-lokale Erfassungs- und Organisationssystem; für die Einheiten ist ein Pfarrer oder eine Pfarrerin zuständig.» Dieses parochiale Netz wird nun «völlig ausgedünnt, die Bereiche werden immer grösser – eine seelsorgerliche Begleitung wird immer weniger möglich». Das Problem sei bekannt, «aber man überdenkt das System nicht, sondern entwirft ständig neue Fahrpläne, Finanzpläne, um die knapper werdenden Ressourcen besser zu nutzen. Das führt zu Verteilungskämpfen, die alle Energie fressen.»
Keine Lust auf palliative Theologie
Hempelmann will aber mit seinem Buch nicht einfach «palliative Theologie» betreiben, also eine Sterbebegleitung der Kirche zelebrieren, sondern zu grundlegend neuen Schritten aufrufen und stärker von Aufbrüchen reden, die eben auch da sind. Eine seiner Anregungen: «Wir müssen den Reich Gottes-Gedanken stärker machen. Es gibt so viele Brüder und Schwestern ausserhalb der Kirche. Früher kannten die Pfarrer weder ICF noch Hillsong.»
Man könne und müsse die Mission aufteilen: «Welche Gemeinde erreicht was, wo sind Spezialisierungen möglich?» Und er fordert: «Wenn es zu Aufbrüchen kommt, müssen wir sie wachsen lassen und nicht durch bürokratischen Geist dämpfen. Der Geist Gottes IST am Werk – lasst uns vernetzen und ermöglichen!» Eine weitere Anregung: «Lass uns Milieu-Missionare aussenden!» Hempelmann hat «Hunderte von Jesus-begeisterten jungen Menschen getroffen. Oft findet man sie am Rand der Kerngemeinde. Es gibt viele, die sich von Gott rufen lassen, aber die Etablierten müssen sie unterstützen und nicht ausbremsen.»
Sehen Sie sich den Talk mit Heinzpeter Hempelmann an:
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