«Ich lerne von postevangelikalen Freunden»

Roland Hardmeier im Livenet-Talk
Im Livenet-Talk spricht der Schweizer Theologe Roland Hardmeier mit Achtung von Ansätzen der Postevangelikalen. Trotzdem hat er ernsthafte Anfragen und bringt schwerwiegende Kritik an.

«Glauben wir einander den Glauben noch?» Dies ist der Name einer Serie von Livenet-Talks, in welcher der Spannung zwischen Postevangelikalen und klassisch Evangelikalen nachgespürt wird. Diesmal spricht Chefredaktor Florian Wüthrich mit dem Theologen Roland Hardmeier.

Was ist Postevangelikalismus?

«Der Begriff Postevangelikalismus steht für Nach-Evangelikalismus und deutet zwei Dinge an. Es sind Leute, die aus der evangelikalen Bewegung kommen, sich von dieser Bewegung entfremden und einen nach-evangelikalen Glauben leben möchten.» Sie wollen den Glauben nicht aufgeben, jedoch anders leben. Der Glaube soll weitergeführt werden, auch wenn gegenüber dem evangelikalen Standpunkt eine gewisse Entfremdung geschieht.

Roland Hardmeier beschreibt drei Eigenschaften, welche bei postevangelikalen Gläubigen in der Regel gefunden werden. Erstens spricht er von einer Emigration aus evangelikalen Gemeinschaften. «Anlass ist in der Regel, dass engagierte Christen sich nicht mehr mit der Art identifizieren können, wie der Glaube gelebt, die Bibel interpretiert wird oder über Himmel und Hölle gesprochen wird.» Deshalb entfremden sie sich von evangelikalen Gemeinschaften, treffen sich mit Gleichgesinnten und leben in informellen Gemeinschaften.

Neubildung des Glaubens

«Zuerst kommt es zu einer Dekonstruktion des Glaubens», schildert Hardmeier seine Beobachtung. Postevangelikale bauen ihr Glaubensgebäude nicht ab, weil sie nicht mehr glauben, sondern weil sie neu glauben wollen, um mit der toleranten Lebensweise der Postmoderne irgendwie kongruent sein zu können.

Weiter stellt Hardmeier fest, wie diese Neukonstruktion theologisch begleitet werden will und deshalb entsprechende Inspiration braucht. «Man nimmt diese Inspiration in der Regel aus der modernen Bibelwissenschaft, welche die Bibel nicht nur im Vertrauen liest, sondern auch kritisch.» So werde beispielsweise gefragt, ob wir noch an den Sühnetod oder die Auferstehung von Jesus glauben können.

Evangelikale Zeitenwende

In der evangelikalen Bewegung blicken wir auf wesentliche Veränderungen zurück. «Bis vor 20 Jahren gab es gewisse ethischen Wertsetzungen und theologische Grundüberzeugungen, welche für Evangelikale identitätsstiftend waren», erklärt Hardmeier die einigermassen homogene Theologie der Vergangenheit. Man hätte zwar durchaus Glaubenszweifel äussern dürfen, doch diese hätten nicht zu einer Dekonstruktion des Glaubens geführt. «Den Postevangelikalismus sehe ich als eine Zeitenwende, weil kritisch hinterfragt wird, ob wir der Bibel noch so Glauben schenken können, wie wir es bisher getan haben.»

Hardmeier glaubt, dass wir uns in einer theologischen Zeitenwende befinden. Er erwartet, dass wir in eine Zeit hineinkommen, wo unterschiedliche theologische Meinungen nebeneinander bestehen. «Damit müssen wir konstruktiv umzugehen lernen. Wir können das nicht wegpredigen oder wegbeten – es ist die Realität einer pluralistischen und toleranten Gesellschaft.» Hardmeier glaubt, dass ein konstruktiver Umgang mit dieser Situation zukünftig eine der Kernkompetenzen der christlichen Gemeinden sein wird.

Richtige Fragen und Auflösung elementarer Glaubensinhalte

«Im Postevangelikalismus werden meiner Meinung nach die richtigen Fragen gestellt», betont Roland Hardmeier. Ihm ist wichtig, dies festzuhalten. «Ich habe postevangelikale Freunde, die innovative Ideen einbringen, wie wir den Glauben identisch leben können.» Roland drückt Achtung aus gegenüber diesen Menschen, die andere lieben und ein authentisches Leben ihres Glaubens anstreben.

Sie stellten die richtigen Fragen und hätten oftmals auch gute Ansätze. «Ich lerne von meinen postevangelikalen Freunden. Aber ich habe auch Anfragen, gerade in ethischer und bibelkritischer Hinsicht.» Es sei tatsächlich so, dass der Grundbestand des Glaubens aufgelöst wird, wenn wir die Bibel konsequent kritisch lesen. Letztlich ist es unmöglich, Gottes Wort nach Belieben abzubauen und gleichzeitig darin einen Halt fürs Leben zu finden. Entweder nehmen wir die Bibel als Wahrheit oder wir beginnen damit, sie kritisch zu hinterfragen.

Sehen Sie sich den Livenet-Talk mit Roland Hardmeier an:
 

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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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