Islamisten übernehmen Aleppo
Einem Bericht zufolge werden bereits Weihnachtsdekorationen von öffentlichen Plätzen entfernt. Der maronitische Erzbischof der 2,3 Millionen-Stadt Aleppo, Joseph Tobji, beschreibt die Lage als «im Schwebezustand». Die Milizen hätten nach einem Überraschungsangriff die Kontrolle übernommen, berichtet die Nachrichtenagentur «Agenzia Fides». «Das Leben hatte hier wieder begonnen. Es war ruhig, aber jetzt ist alles geschlossen», bedauert Joseph Tobji.
Das Leben steht still
Geschäfte und Bäckereien haben ihren Betrieb eingestellt und die Bevölkerung konnte keine Vorräte anlegen, da es vor den Angriffen keine Vorwarnung gab. Obwohl es bisher keine gezielten Angriffe auf christliche Einrichtungen gegeben hat, ist die Unsicherheit gross, was als nächstes passieren könnte.
Pater Hugo Alaniz vom «Institut des Menschgewordenen Wortes» berichtet, dass fast die ganze Stadt unter Kontrolle der Milizen sei. Religiöse Führer versuchen dennoch, durch Besuche in den Pfarreien Unterstützung zu leisten. Alaniz erklärte gegenüber «Fides», dass seine Kirche weiterhin geöffnet sei. Viele Bewohner hätten sich jedoch in andere Stadtteile begeben, um dort Sicherheit zu finden.
Weihnachtsdekorationen entfernt, Soldaten enthauptet
Die «Iraqi Christian Foundation» berichtete auf sozialen Medien, die Milizen hätten bereits begonnen, Weihnachtsdekorationen zu entfernen und gefangene Soldaten zu enthaupten. Die Organisation rief zum Gebet für die Christen und andere Minderheiten in Aleppo auf.
Die Schweizer Menschenrechtsorganisation «Christian Solidarity International» (CSI) erklärt, dass die dschihadistische Gruppe «Hayat Tahrir al-Sham» (HTS), früher bekannt als Jabhat al-Nusra, die Kontrolle über Aleppo übernommen hat. Diese Entwicklung erinnere an die Eroberung von Mossul durch den Islamischen Staat IS im Jahr 2014.
CSI betont, dass die Übernahme durch HTS grosse Angst unter den religiös vielfältigen Gemeinschaften in Aleppo ausgelöst habe, darunter Christen, Alawiten, Schiiten und säkulare Sunniten. HTS sei dafür bekannt, eine extremistische sunnitische Ideologie mit brutaler Verfolgung Andersgläubiger durchzusetzen.
«Wahlversprechen einhalten»
Die UN-Kommission für Syrien hat wiederholt dokumentiert, dass HTS für eine brutale Herrschaft bekannt ist, die von Hinrichtungen, Folter, sexueller Gewalt, willkürlichen Verhaftungen und der Schändung religiöser Stätten geprägt ist. Diese Gräueltaten erinnern an die Zeit zwischen 2012 und 2016, als die Gruppe bereits Teile von Aleppo kontrollierte.
John Eibner, internationaler Präsident von CSI, erinnert daran, dass der neu gewählte US-Präsident Donald Trump versprochen hat, verfolgte Christen zu schützen. «Der künftige Präsident hat nun die Chance, sein Versprechen einzulösen», so Eibner. «Christen und alle, denen Religionsfreiheit und Menschenrechte wichtig sind, sollten darauf drängen, dass dieses Wahlversprechen eingehalten wird.»
Mehr als 300 Tote in wenigen Tagen
Die in Grossbritannien ansässige «Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte» berichtete, seit Beginn der Offensive am Mittwoch vergangener Woche seien mehr als 300 Menschen getötet worden, darunter mindestens 20 Zivilisten. Die Rebellen, angeführt von HTS und verbündeten Gruppen, hätten den Flughafen von Aleppo und Dutzende umliegende Ortschaften unter ihre Kontrolle gebracht.
Nach Angaben der syrischen Armee erfolgte der Angriff auf Aleppo aus mehreren Richtungen und erstreckte sich über mehr als 100 Kilometer Frontlinie. Die Armee meldete zahlreiche Verluste unter ihren Soldaten und bestätigte, dass die Rebellen nun weite Teile der Stadt kontrollieren. Die Regierungstruppen kündigten eine Gegenoffensive an, machten aber keine Angaben zum Zeitpunkt.
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