Digitales Lagerfeuer für spirituelle Nomaden
80 Prozent der Besucher von reflab.ch sind nicht traditionell kirchlich engagiert. Sie finden im beliebten «Ableger der reformierten Kirche im digitalen Raum» einen Ort, wo sie in offener Form über Spiritualität und Glauben nachdenken und austauschen können, ohne sich bestimmten Glaubenssätzen unterordnen zu müssen. «Ganz niederschwellig, niemand weiss, wo du bist, du musst dich nirgends zeigen», fasst Evelyne Baumberger einige der Gründe zusammen, warum Leute das Portal besuchen. «Oder es sind dann Leute, die von herkömmlichen Gefässen enttäuscht sind, den Anschluss und ihr Umfeld verloren haben, aber trotzdem an Fragen interessiert sind.»
«Ohne reflab hätte ich den Glauben verloren»
Was die einen als unverbindlich und subjektiv empfinden, ist offenbar für andere genau der Grund, dass sie noch «glauben»: Hier kommt kein Dogma und auch keine Predigt rüber, sondern Einzelne mit ihrer individuellen Sicht tauschen sich aus. Evelyne Baumberger selbst gibt in ihren (relativ kurzen) Video-clips eine «Auslegeordnung» zu einem Thema, kurz ihren persönlichen Standpunkt dazu und dann kommt «Was haltet ihr davon»: «Wir sagen nicht, was sie glauben müssen, sondern lösen ein Gespräch aus» – wie an einem Lagerfeuer eben: «Da werden Geschichten erzählt, diskutiert, zugehört, manchmal auch nur in die Glut gestarrt…»
Gott gemeinsam suchen
Mit diesem Stil trifft reflab offenbar einen Zeitgeist-Nerv. «Mit dem Internet hat sich viel verändert und demokratisiert», erklärt Baumgartner. «Früher haben Theologen von der Kanzel her gesagt, wo Gott hockt – das ist heute nicht mehr so. Wir bei reflab sind ausgebildete Theologen, aber wir wissen auch, dass Glaube ein Prozess ist. Wir suchen Gott in unserer Gegenwart – eine Lerngemeinschaft eben.» Es macht Evelyne Baumberger denn auch traurig, dass Leute, die sich als postevangelikal outen, oft ihr ganzes Umfeld und ihre Gemeinde verlieren und auf Unverständnis in der Familie stossen: «Der Glaube wird einem abgesprochen, das ist schmerzhaft.» Solchen Christen will reflab.ch eine Community bieten.
Obwohl mit Livenet eher im evangelikalen Biotop beheimatet, freut sich Flo Wüthrich an dem «respektvollen Ton», der bei reflab.ch herrscht, und an den guten Beziehungen, die man trotz unterschiedlicher theologischer Akzente zueinander hat.
Das Portal reflab.ch wird von der Zürcher Landeskirche mit 430 Stellenprozenten finanziert. Baumberger: «Obwohl wir wenige sind, haben wir so ein Projekt wie das Podcast Festival gestemmt. Das Weekend war unser bisher grösstes Projekt und mega motivierend. Es hat uns zusammengeschweisst und unser Sensorium verstärkt, wer uns hört und liest. Wir haben unsere Besucher besser kennengelernt.»
Sehen Sie sich den Talk mit Evelyne Baumberger an:
Zur Website:
reflab.ch
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