Wie geht es den Menschen in Marokko?
Die Strassen in Marrakesch sind – ganz anders als erwartet – voll. Jeder Fleck im Park ist belegt. Die Menschen meiden ihre eigenen Wohnungen aus Angst vor Instabilität und Nachbeben. Der Schreck vom Freitag steckt ihnen immer noch tief in den Knochen. Ein Schweizer Ehepaar, das sich zufällig in Marokko auf Hochzeitsreise befindet, beschreibt, wie das Erdbeben sie für etwa 20 Sekunden in ein Gefühl versetzte, als wären sie auf der Ladefläche eines Lkw über eine holprige Straße gefahren.
Die Hoffnung bleibt
Das junge Ehepaar durfte bei lokalen Bekannten übernachten. Als das Beben begann, rannten sie zum Schutz unter einen Türrahmen, während die Gastfamilie im Wohnzimmer eng zusammenstand und sich gegenseitig Halt gab. Nach dem Beben versammelten sich alle auf dem Dach, um für das Land zu beten.
Ueli Meier (Name aus Sicherheitsgründen geändert) arbeitet seit vielen Jahren in Marokko und befindet sich gerade in seinem Projektland. Die Situation vor Ort sei erdrückend. Humanitäre Hilfe von der Regierung bestehe nur begrenzt und die Menschen versuchten, mit ihrer Angst zurecht zu kommen.
Netzwerke
Zu den Hilfswerken vor Ort gehört auch die HMK (Hilfe für Mensch und Kirche). Sie unterstützt lokale Christen, damit diese Hausgemeinden bauen und dadurch humanitär, wie auch geistlich helfen können. Genau diese Hausgemeinden sind nun die Netzwerke, die nach der Katastrophe helfen können. Meist beginnt die Hilfe bei einem Verwandten, später beim ganzen Umkreis dieses Verwandten. Dafür braucht es Fingerspitzengefühl! Ueli Meier erklärt: «Muslime rechnen damit, dass Christen nicht aufrichtig helfen wollen, sondern 'nur' Bibeln verteilen. Deshalb ist es wichtig, dass man sich aufrichtig einsetzt und geduldig wartet, dass die Taten der Nächstenliebe die Menschen mit der Zeit auf den christlichen Glauben neugierig machen.»
Unterstützen kann man die Menschen – von der Schweiz aus – durch Gebet und finanzielle Hilfe. Ueli Meier bespricht mit seinen Partnern momentan die Situation, um gerade die finanziellen Güter auf einer nachhaltigen Basis zu investieren. Dazu gehört beispielsweise der Wiederaufbau von Geschäften und Häusern sowie die Deckung von Krankenhauskosten von Unversicherten.
Die Regierung nahm bisher nur die Hilfe von vier Ländern an. Warum die Schweiz sich nicht darunter befindet, darüber kann man nur spekulieren. Es könne an der West-Sahara-Thematik liegen, bei der die Schweiz sich kritisch geäussert hat, sagt Ueli Meier. Und dennoch könne man nicht sagen, dass Marokkos Regierung nichts macht. Gerade die Flugwege werden freigehalten, um den Transport von Hilfsgütern zu verschnellern. Die schleppende Hilfewelle der Regierung kommt also weitaus später als die der Bevölkerung und Privatinitiativen, aber sie ist nicht inexistent.
Extrovertierte Regierung
Grundsätzlich seien die Marokkaner aber Folgendes gewohnt: «Die Regierung interessiert sich in erster Linie für ihr Image gegen aussen – dazu gehören auch Touristen. Wie es ihrer Bevölkerung geht, ist zweitrangig», so Meier. Einen Aufstand werde es aber vermutlich auch jetzt nicht geben, oder höchstens in den Medien.
Doch gerade die Medien und die Bevölkerung des Westens haben die Verantwortung, die Katastrophe nicht zu vergessen. Ueli Meier betont: «In zwei Monaten wird das Beben in Marokko nicht mehr aktuell sein, weil das nächste grosse Unglück passiert ist. Das wir Marokko, Syrien, die Türkei und andere weiterhin im Gebet unterstützen, ist von grosser Bedeutung!»
Gute Nachrichten gebe es jedoch auch: Marokkos Regierung geht nicht mehr aktiv gegen die Christen vor. Man wisse, dass es Christen gibt, erkenne aber, dass sie keine Gefahr sind – im Gegenteil. Aufgrund der sozialen und humanitären Hilfe der Christen gehe es dem Land besser.