Freikirchen entwickeln sich gegen den Trend
«Man muss unterscheiden zwischen einer bei Geburt erhaltenen religiösen Zugehörigkeit und einem persönlichen Glauben. Ich bin überzeugt, dass der persönliche Glaube an Jesus Christus nichts an Bedeutung verloren hat. Gerade weltweite Geschichten von verfolgten Christinnen und Christen dokumentieren eindrücklich, wie stark ihnen der persönliche Glaube in der schwierigen Situation Kraft zum Überwinden gibt», hält Peter Schneeberger, Präsident des Dachverbandes Freikirchen.ch, fest. Er ist überzeugt, dass der Glaube trotz der zunehmenden Modernisierung aktuell bleibt.
Das zeige sich nur schon daran, dass die Welt insgesamt spiritueller wird. Das Christentum wächst in Südostasien, in Südamerika oder im südlichen Afrika stark. Peter Schneeberger: «Leider differenzieren die meisten Statistiker nicht zwischen Religion und Evangelium, denn es gibt Tausende von Religionen, doch nur ein Evangelium. Religion heisst auch ’zurückbinden/gefügig machen’. Aber Jesus setzt frei, dies war den religiösen Führern schon immer ein Dorn im Auge.»
Schweizer Freikirchen legen leicht zu
In der Schweiz sind im Dachverband der Freikirchen und christlicher Gemeinschaften 20 Bewegungen aus der Deutschschweiz zusammengeschlossen, zu denen über 750 örtliche Kirchen mit ihren diakonischen Werken gehören. Zusammen mit dem Réseau évangélique Suisse (RES) vertreten die Freikirchen in der Schweiz rund 1’000 Lokalkirchen. Wie eine Auswertung des Dachverbandes Freikichen.ch von 2019 bis 2022 zeigt, haben sie sich in den letzten drei Jahren stabil entwickelt: Rund ein Drittel sind gleich gross geblieben, ein Drittel sind leicht abnehmend und ein Drittel wachsend.
Dass die innere Verbundenheit mit der Lokalkirche keinen Abbruch erlitten hat, zeigt sich auch in den leicht, aber kontinuierlich steigenden Spenden. Diese Stabilität bestätigen auch die neusten Zahlen zur Wohnbevölkerung des Bundesamtes für Statistik, die mit 5,6 Prozent für «andere christliche Gemeinschaften» gleich geblieben ist.
Fünf Erfolgsfaktoren
Wieso können sich die Freikirchen dem allgemeinen Trend entziehen? Ihre Stärken der Freiwilligkeit kamen gerade in der Pandemie zum Zug. Bestehende Dienstleistungen wurden bewusst attraktiv gestaltet oder ausgebaut. Fünf Punkte traten in der Auswertung in den Vordergrund:
- Freikirchen sind unermüdlich im Einsatz und haben in den letzten drei Jahren insgesamt 22 neue Lokalkirchen gegründet.
- Das Gottesdienst-Angebot wurde mit der Verteilung auf mehrere Anlässe und einem Livestream-Angebot erweitert. In der Pandemie hat vor allem das rasche Angebot von Livestreams zusätzliche Gäste beschert. Miteinander Gott suchen und anbeten zieht viele an. Der Verband FEG berichtet, dass in den letzten zehn Jahren 24 der 80 Bundesgemeinden stark renoviert oder neu gebaut haben. Dies hatte einen grossen Effekt auf die Auftragsorientierung der Lokalkirchen und häufig haben sie ein ganz neues Segment von Leuten gewonnen.
- Es gibt verstärkt Beziehung fördernde Angebote wie Kleingruppen, gemeinsame Essen oder gemeinsame Wochenende. Die sind sehr beliebt, denn die Attraktivität der sozialen Netzwerke hat in der Pandemie zugenommen. In den Kirchgemeinden suchen die Menschen den Austausch mit anderen über das, was sie bewegt. Sie wollen Alltagsfragen mit tieferen Lebensfragen verbinden.
- Viele haben nach der Pandemie bewusst Anlässe mit wenig Programm geplant, dafür mit viel Raum für Gespräche.
- Auch profitieren die Freikirchen davon, dass sie Leute aus verschiedenen Kulturen/Nationalitäten zusammenbringen.
Als Hintergrund: Das Nationale Forschungsprogramm «Religionsgemeinschaften, Staat und Gesellschaft» (NFP 58) hat für ein normales Wochenende in der Schweiz 690'000 Personen ermittelt, die an einem religiösen Ritual teilnehmen. Davon entfallen 261'510 (37,9%) auf katholische Gemeinden, 200’790 Personen (29,1%) gehen in einen freikirchlichen Gottesdienst, 96'600 Personen (14%) sind in reformierten Kirchen und 72'450 Personen (10,5%) in muslimischen Versammlungen.