Wie predigt die künstliche Intelligenz?

Eine offene Bibel auf einem Rednerpult
Würde eine Gemeinde es merken, wenn eine Künstliche Intelligenz die Predigt für den Gottesdienst geschrieben hätte? Der Bayerischer Rundfunk hat den Versuch gemacht.

Die Software ChatGPT ist derzeit in aller Munde: Der Chatbot des amerikanischen Unternehmens OpenAI wurde im November 2022 der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und fasziniert seitdem Fachleute sowie Laien. Denn in natürlicher Sprache erzeugt die Künstliche Intelligenz (KI) Texte, die auch von einem Menschen stammen könnten. Ob sie nicht nur Fragen beantworten und kurze Aufsätze über ein Thema verfassen kann, sondern auch eine gute Predigt?

In der Sendereihe «Stationen», der wöchentlichen Kirchensendung des Bayerischen Rundfunks, machten die Fernsehredakteure gemeinsam mit einem evangelischen Pfarrer ein Experiment. Am vergangenen Mittwoch ging es um das Thema Künstliche Intelligenz. Pfarrer Stephan Seidelmann von der Evangelischen Kirchengemeinde München-Freimann sollte eine Predigt von ChatGPT erzeugen lassen und diese dann vor seiner Gemeinde halten.

Seinen Anspruch an eine gute Predigt formuliert der Pastor vorab so: «Ich möchte die Menschen erreichen. Es soll nicht egal sein, ob man im Gottesdienst war oder nicht. Ausserdem sollen nicht immer die gleichen Leute sagen: 'Das war eine gute Predigt.'»

Unpersönlich und ohne Herz

Für den Bayerischen Rundfunk bittet der Pfarrer die Künstliche Intelligenz ChatGPT, für ihn die Predigt für den Sonntagsgottesdienst zu schreiben. Die Software fragt, ob ein bestimmter Bibelvers oder ein Thema gewünscht ist. Pfarrer Seidelmann gibt über die Computertastatur ein: «Es soll eine Predigt mit einem Jahresausblick sein, der die Probleme aufnimmt, aber eine hoffnungsvolle Perspektive beinhaltet.»

Schon nach wenigen Momenten spuckt ChatGPT einen Vorschlag aus. «Liebe Gemeinde», beginnt der Computer, «wir beginnen ein neues Jahr und blicken zurück auf all das, was wir im vergangenen Jahr erlebt haben…». Der Pfarrer merkt sofort, dass hier offenbar kein Meisterwerk entsteht. Er lässt die Software noch weitere Predigten generieren. Als er mit einem Ergebnis einigermassen zufrieden ist, hält er die künstlich erzeugte Predigt vor seiner Gemeinde. Die weiss vom Experiment nichts.

Anschliessend lüftet der Pfarrer das Geheimnis. Ein Gottesdienstbesucher gibt danach im Interview zu, er habe es nicht bemerkt. Eine andere Gläubige sagt: «Da war kein Herz drin.» Ein Dritter stellt fest: «Bei einer guten Predigt ist der Pfarrer in der Lage, aus dem eigenen Leben oder aus den Leben von Menschen, mit denen er zu tun hat, etwas zu erzählen, die einen Gott näherbringt. Dass eine Maschine Gott finden könnte, halte ich doch für sehr unwahrscheinlich.»

Das Fazit für Pastor Seidelmann lautet: Für einen Geschäftsbrief würde er sich von einer KI vielleicht helfen lassen. Aber Predigten schreibt er lieber weiterhin selber.

Autor: Jörn Schumacher
Quelle: PRO Medienmagazin

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