Frankreich: Religionsfreiheit oder Kontrolle?
Die Weltweite Evangelische Allianz (WEA), eine der Nichtregierungsorganisationen mit Rederecht bei den Vereinten Nationen, sagte, das «Gesetz zur Stärkung des Respekts vor den Prinzipien der Republik» vom 24. August 2021 habe die Regulierung religiöser Aktivitäten in Frankreich erheblich verändert und zu einem «Überwachungssäkularismus» der Gottesdienste geführt, der die Religionsfreiheit untergraben könne.
WEA-Sprecher Marcus Hofer bezog sich auf ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz, das in Frankreich als «Anti-Separatismus-Gesetz» bekannt ist und vor dem Hintergrund eines wachsenden militanten Islamismus in bestimmten Teilen des Landes verstanden werden muss. Das Gesetz hat zur Schliessung von mindestens einer Moschee geführt, weil dort «inakzeptable» Predigten gegen Homosexuelle und Christen gehalten wurden, wie die Regierung im Dezember 2021 bestätigte. Gegen etwa hundert weitere muslimische Gebetsstätten seien Ermittlungen eingeleitet worden, teilte die Polizei mit.
Der Nationale Rat der Evangelikalen in Frankreich (CNEF), der die Mehrheit der evangelikalen Freikirchen vertritt und Mitglied der Weltweiten Evangelischen Allianz ist, analysierte den Gesetzesentwurf vor zwei Jahren, als er von den Parlamentariern diskutiert wurde, und gab den Kirchen Empfehlungen.
Kann nicht nur gegen Islamisten angewandt werden
Das evangelikale Gremium kritisierte, dass das Gesetz nicht nur den Vormarsch radikaler islamistischer Ideen eindämmen würde, sondern auch zur «Unwissenheit und manchmal zum Misstrauen gegenüber der Religion generell beiträgt, die sich im Herzen der öffentlichen Institutionen ausbreiten», so Romain Choisnet, Kommunikationsdirektor des CNEF. Auch der protestantische Historiker Sébastien Fath argumentiert, dass «dieser Entwurf nicht die Gewissensfreiheit stärkt und die Freiheit der Religionsausübung garantiert, sondern die Kontrolle über die Religionsgemeinschaften verstärkt».
Die Fédération protestante française, die römisch-katholische Bischofskonferenz und die orthodoxe Bischofsversammlung haben ebenfalls darauf hingewiesen, dass die neue Regelung «das Gesetz von 1905 über die Trennung von Kirche und Staat verrät» und zu einem neuen Kontext führen wird, in dem religiöse Aktivitäten «unter der Aufsicht des Präfekten ausgeübt werden». Die drei Religionsgemeinschaften haben das «Antiseparatismusgesetz» vor dem französischen Verfassungsgericht angefochten, sind jedoch gescheitert.
Ein weiteres Thema, das von der WEA während der UPR-Sitzung zu Frankreich in Genf angesprochen wurde, war die Forderung nach einer Verweigerungsklausel für Angehörige der Gesundheitsberufe, insbesondere in Arbeitsbereichen, die mit «Fortpflanzung und dem Ende des Lebens» zu tun haben. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat ein neues Bioethikgesetz auf den Weg gebracht, während das Parlament die Frist für Abtreibungen von 12 auf 14 Schwangerschaftswochen verlängert hat und der Senat später dafür gestimmt hat, das Recht auf Abtreibungen in der Verfassung zu verankern.
Evangelikale Christen in Frankreich
In Frankreich leben 745'000 evangelikale Christen. Sie versammeln sich in Gemeinden, die fast immer aus Einwanderern verschiedener Nationalitäten bestehen. Bereits 2017 wurde alle zehn Tage – allein im Rahmen des CNEF – eine neue Gemeinde gegründet. Heute kann man damit rechnen, dass es jede Woche eine neue Gemeinde irgendwo im Land gibt. Damit haben die Evangelikalen im letzten Jahrzehnt die «kritische Masse» überschritten, die sie gesellschaftlich sichtbar macht.
Pastoren und Kirchen haben die Regierung wiederholt aufgefordert, Desinformation und Vorurteile über ihre Kirchen zu vermeiden, in einem säkularisierten Kontext, in dem Regierungsminister die evangelikalen Kirchen wiederholt falsch dargestellt haben.
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