Saudi-Arabien – vorsichtige religiöse Öffnung?

Koptische Kirche
Neben politischen Schritten gibt es auch religiöse Bewegung in Saudi-Arabien: Im Januar wurde erstmals ein koptisches Weihnachtsfest öffentlich gefeiert – ein weiterer Höhepunkt in einem jahrelangen Prozess der vorsichtigen Öffnung.

Das Königreich Saudi-Arabien hat sich kürzlich überraschend bereit erklärt, seine Beziehungen zum Iran zu normalisieren. Das Abkommen zwischen den benachbarten sunnitischen und schiitischen Erzrivalen dürfte die Spannungen innerhalb des Islam deutlich verringern, kommentierte «Christianity Today».

Weniger öffentlichkeitswirksam hat das Königreich in jüngster Zeit Schritte in Richtung einer anderen religiösen Normalisierung unternommen: der öffentlichen Anerkennung des christlichen Glaubens.

Prozess seit 2012

Am 7. Januar feierte Bischof Marcos von der Koptisch-Orthodoxen Kirche Ägyptens als Höhepunkt eines einmonatigen Pastoralbesuchs mit 3'000 im Königreich lebenden koptischen Christen die Weihnachtsliturgie. Mit Unterstützung der ägyptischen Botschaft fanden weitere Gottesdienste in Riad, Jeddah, Dammam, Khobar und Dhahran «unter voller Schirmherrschaft der saudischen Behörden» statt. Es war die erste öffentliche christliche Weihnachtsfeier in dem islamischen Staat, in dem die Pilgerstätten Mekka und Medina liegen. Nach muslimischer Überlieferung hat Mohammed die Koexistenz zweier Religionen in Arabien verboten, wobei sich die Gelehrten über den geografischen Geltungsbereich nicht einig sind.

Im Königreich Saudi-Arabien leben rund 50'000 Kopten, die zu den 2,1 Millionen Christen im Land gehören, die meisten von ihnen philippinische Katholiken. Bereits 2014 hatte Marcos unbehelligt Gottesdienste mit etwa 4'000 Kopten gefeiert; 2016 besuchte der saudische König Salman bin Abdel Aziz den koptischen Papst Tawadros II. in Ägypten. Das Jahr 2018 führte zu weiterer Offenheit: Kronprinz Muhammad bin Salman (bekannt als MBS) besuchte im März die koptisch-orthodoxe Kathedrale in Kairo und machte ein berühmtes Foto mit Tawadros vor einer Ikone von Jesus, dem Guten Hirten. Er lud den koptischen Papst zu einem Besuch in Saudi-Arabien ein und ermutigte ihn gleichzeitig, die Besuche von Marcos fortzusetzen.

Auch wenn MBS nach dem Mord an Kamal Kashoggi vorgeworfen wird, sein Image «reinwaschen» zu wollen, hat er es doch mit der religiösen Öffnung ernst gemeint: 2016 schränkte er die Macht der Religionspolizei ein und 2018 empfing er eine evangelikale Delegation unter der Leitung von Joel Rosenberg (Livenet berichtete). Dabei wurde auch über den Bau einer Kirche gesprochen.

Christlicher Tourismus

2019 öffnete Saudi-Arabien das Land für den christlichen Tourismus. In der Region, die angeblich zum antiken Midian gehört, gibt es einen alternativen Standort für den Berg Sinai und einen gespaltenen Felsen, der an das Wunder am Horeb erinnert, wo ein Schlag mit Moses' Stab den Israeliten Wasser brachte. US-Pastor Joel Richardson, der bereits elf christliche Reisen nach Saudi-Arabien durchgeführt hat, sagte: «Die Regierung lässt langsam mehr Religionsfreiheit zu. Die Hoffnung ist, dass wir eines Tages echte Religionsfreiheit sehen werden, auch für saudische Bürger, die Christen geworden sind.»

Er sei von den Saudis stets mit «aussergewöhnlicher Wärme und Freundlichkeit» empfangen worden, auch wenn bei seinen Reisen aus der Bibel vorgelesen und christliche Lieder gesungen würden.

Offiziell steht auf den Abfall vom Islam noch immer die Todesstrafe, und Saudi-Arabien steht an 13. Stelle im «Weltverfolgungsindex», der Aufzählung von 50 Ländern, in denen es am schwersten ist, Christ zu sein.

Schirrmacher «beeindruckt»

Ebenfalls 2019 rief Saudi-Arabien 1'200 Gelehrte aus 139 Ländern dazu auf, die Mekka-Erklärung zu unterzeichnen, eine 30 Punkte umfassende Charta zur internationalen Religionsfreiheit. In Punkt 21 verpflichten sich die Staats- und Regierungschefs der Welt darin, Diskriminierung zu vermeiden. In Punkt 22 verpflichten sich die Regierungen, Gebetsstätten und Minderheitenrechte zu schützen. Punkt 29 ruft zur Umsetzung auf.

Drei Jahre später scheint diese Vision an Kraft zu gewinnen. Im Mai dieses Jahres fand in Riad ein kleines interreligiöses Treffen statt, an dem der Staatssekretär des Vatikans, der orthodoxe ökumenische Patriarch, der Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA), Thomas Schirrmacher, 15 prominente Rabbiner und der US-Botschafter für internationale Religionsfreiheit teilnahmen. «Ich habe an vielen internationalen Dialogtreffen teilgenommen, die nur aus Show und Worten bestanden», sagte Schirrmacher nach dem Treffen. «Das war hier nicht der Fall.»

Da auch die «National Association of Evangelicals» aus den USA eingeladen war, seien etwa die Hälfte der Delegierten Protestanten gewesen, so Schirrmacher weiter. Er rechne mit weiteren positiven Nachrichten für die halbe Million Evangelikalen in Saudi-Arabien. «Sie haben mit den Kopten begonnen  der grössten Kirche im Nahen Osten», sagte Schirrmacher. «Aber unsere Gespräche stimmen uns zuversichtlich, dass ähnliche Schritte auch für Katholiken und Protestanten folgen könnten.»

Auch christliche Führer in den Vereinigten Arabischen Emiraten begrüssten den Besuch von Marcos. «Andere Länder auf der Arabischen Halbinsel haben entdeckt, dass die Öffnung für christliche Kirchen ein Gewinn für das Land ist und keine Bedrohung für lokale Traditionen darstellt», sagte Eric Zeller, Präsident des 2016 gegründeten Gulf Theological Seminary. «Saudi-Arabien hat die Chance, hier aufzuholen, und das ist ein ermutigender Schritt in diese Richtung.»

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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Christianity Today

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