In der Krise von Gott gestärkt
Der 15. Juli 2021 bleibt vermutlich im kollektiven Gedächtnis hängen. In dieser Nacht ereignet sich eine der schlimmsten Naturkatastrophen in Deutschland. Im Ahrtal sterben mehr als 130 Menschen. Wie die Ereignisse das Leben einer Familie durcheinander wirbeln, erzählt Vivien Neufeld in ihrem Buch «Der Tag, an dem der Sommer zu Ende ging».
Die Fernsehbilder sind surreal. Wassermassen drücken Wohnwagen durch Brücken. Menschen ertrinken in einem Fluss, der normalerweise 40 Zentimeter Wasser führt und riesige Hilfskonvois machen sich auf den Weg ins Ahrtal, als das Ausmass der Katastrophe feststeht. Vivien Neufeld beschreibt die Ereignisse aus ihrer Sicht als Mutter einer jungen Familie und nimmt den Leser mit auf eine gefühlsmässige Berg- und Talfahrt.
Von ihren Schwiegereltern und dem Schwager fehlt kurz nach der Flutkatastrophe jede Spur. Die Autorin erzählt von ihrem Hoffen und Bangen, Verzweiflung, Panik und Erleichterung. Und doch wird deutlich, dass es sich nicht um einen schlechten Traum handelt, der irgendwann zu Ende geht.
Kein schlechter Traum, der zu Ende geht
Fragen über Fragen beschäftigen Neufeld: Wie lange darf sie daran glauben, die Vermissten wieder zu finden? Wie lange wird diese Ungewissheit sie begleiten? Warum lässt Gott das alles geschehen? Es ist ein ständiges Zittern und Bangen – auch für den Leser. Neufeld kehrt ihr Inneres nach aussen, zeigt ihr eigenes Gefühlschaos und ihre Leere in dieser Lebenskrise.
Obwohl ihre vermissten Schwiegereltern Ella und Hans und ihr Schwager Franky nie als lebende Personen in dem Buch vorkommen, sind sie doch immer präsent. Denn mit der Flut hat für alle Beteiligten eine neue Zeitrechnung begonnen: die Zeit vor und die Zeit nach der Flut. Kleine Hoffnungsschimmer wechseln mit seelischen Tiefschlägen und sorgenvollen Momenten.
Dabei ist es für Neufeld nur wenig tröstlich zu wissen, dass die Schwiegereltern für ihr Sterben gewappnet waren. Nach fast drei Wochen wird die Ahnung zur traurigen Gewissheit: die Leichen der Schwiegereltern werden an völlig unterschiedlichen Orten identifiziert. «Je mehr wir wissen, desto schrecklicher wird das Bild, das sich uns offenbart», beschreibt Neufeld ihren damaligen Gemütszustand.
«Ich möchte Gottes Weg lieben lernen»
Die Flutkatastrophe hat nicht nur das Leben der Autorin grundlegend verändert. Es funktioniert nicht, das Erlebte einfach so abzuschütteln und zur Tagesordnung überzugehen. Sollte Gott ihnen als Familie wirklich mehr zumuten, als sie tragen konnten? Neufeld zeigt auch auf, wie sie als Paar das Ereignis verändert hat und wie sie anders mit ihren Gefühlen und Emotionen umgeht.
Aber gerade weil der Einschnitt so gravierend für ihr Leben ist, möchte sie sich nicht davon lähmen lassen und Frieden für sich finden: «Ich möchte Gottes Handschrift in meiner Geschichte finden und den Weg, den er mit mir gegangen ist, lieben lernen», schreibt sie. Als Leser hat man den Eindruck, dass ihr dies gelingt, auch wenn es schwer denkbar ist.
Sicherheit, dass Gott sie nicht allein lässt
Vor allem alle Jahrestage rund um die Flut sind Punkte, an denen es emotional wird. Neufeld hat für sich und ihr Leben klar gemacht, dass Gottes Glaube, Liebe und Hoffnung bleiben – und das möchte sie mit dem wertvollen Buch auch vermitteln. Deswegen hat sie ihre Sicht der Dinge aufgeschrieben. Sie schreibt sich ihre Trauer von der Seele und wie sie alles verarbeitet hat.
Der Leser hat den Eindruck, dass sie ihren persönlichen Frieden mit der Situation findet, in der sie Gott auch angeklagt hat. Aber irgendwie strahlt die Autorin auch eine Sicherheit aus, dass Gott sie nicht allein lässt. Und so kann vielleicht aus einem schrecklichen Ereignis doch noch etwas Gutes werden und ihre Geschichte anderen trauernden Personen dabei helfen, positiv in die Zukunft zu blicken – trotz allem.
Dieser Artikel erschien bei PRO Medienmagazin.
Zum Buch:
«Der Tag, an dem der Sommer zu Ende ging» von Vivien Neufeld.
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